Journalisten hinter Gittern

Keine Pressefreiheit in der Türkei

Die langjährigen Haftstrafen gegen mindestens zwölf Journalisten im Rahmen des Ergenekon-Prozesses werfen ein Schlaglicht auf die ungelösten Probleme der Türkei mit Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit. „Der Prozess hat einmal mehr gezeigt, wie nötig grundlegende Justizreformen in der Türkei sind“, sagte Michael Rediske von Reporter ohne Grenzen.


Die dju in ver.di protestiert in einem Schreiben an den türkischen Botschafter in Berlin gegen die Verurteilung der Journalistinnen und Journalisten und fordert ihre sofortige Freilassung: „Wir sehen darin einen Angriff auf das Recht der freien Meinungsäußerung und auf die Pressefreiheit in der Türkei. Das Verfahren genügte nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen, eine solche Vorgehensweise ist einer Demokratie nicht würdig.“ Als Beweismaterial in dem am 5. August zu Ende gegangenen Prozess dienten unter anderem illegal abgehörte Telefonate sowie Aussagen anonymer Zeugen, berichtet ROG. Zwei der nun verurteilten Journalisten, Mustafa Balbay und Tuncay Özkan, verbrachten vier bzw. fünf Jahre in Untersuchungshaft.
Die juristische Aufarbeitung der Vorwürfe um den nationalistischen Ergenekon-Geheimbund seit 2007 hat die türkische Öffentlichkeit gespalten. Die Verfolgung hochrangiger Militärs und Beamter wurde zunächst als Sieg von Demokratie und Justiz über die Vormachtstellung der Armee gefeiert. Im Laufe der Zeit entwickelten sich die Ergenekon-Ermittlungen aber mit immer neuen Verhaftungswellen zu einer Generalabrechnung mit Oppositionellen und Regierungskritikern.
Verurteilt wurde nun unter anderem Mustafa Balbay, früherer Kolumnist der Zeitung Cumhuriyet und Parlamentsabgeordneter der Republikanischen Volkspartei CHP. Er erhielt 34 Jahre und acht Monate Haft. Der ebenfalls politisch aktive frühere Besitzer des Fernsehsenders Biz TV, Tuncay Özkan, soll in lebenslange Haft. Mehmet Haberal, Eigentümer des Senders Baskent TV, erhielt eine Haftstrafe von zwölfeinhalb Jahren, die wegen der langen Untersuchungshaft zur Bewährung ausgesetzt wird. Deniz Yildirim, ehemals leitender Aydinlik-Redakteur, erhielt 16 Jahre und zehn Monate Haft. Der Journalist Caner Taspinar ist einer der 21 Freigesprochenen in dem Mammut-Prozess mit insgesamt 275 Angeklagten.
Gegen 13 Angeklagte geht der Prozess noch weiter. Ihnen wird vorgeworfen, durch Bücher und Veröffentlichungen auf der Website des oppositionellen Online-Fernsehens Oda TV das Ergenekon-Netzwerk unterstützt und dessen juristische Verfolgung diskreditiert zu haben. Unter ihnen sind die bekannten Journalisten Ahmet Sik und Nedim Sener. Sik gehörte zu den Reportern des Magazins Nokta, die den Ergenekon-Geheimbund aufdeckten. Sener machte sich einen Namen als Enthüller von Korruptionsfällen, bevor er zum Mord an Hrant Dink recherchierte.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Italien plant harte Strafen für Journalisten

Italien plant eine Reform seines Verleumdungsgesetzes. Das Vorhaben wird derzeit vom Justizausschuss des italienischen Senats geprüft und sieht neben höheren Geldstrafen auch ein gefährliches Verbot journalistischer Berufsausübung vor. Verurteilte Reporter*innen könnten ein Arbeitsverbot von bis zu sechs Monaten erhalten. Auch Haftstrafen für Medienschaffende, die eigentlich nicht im Gesetz auftauchen sollten, werden in einem jüngsten Änderungsantrag wieder hinzugefügt.
mehr »

Top Tarifergebnis im Kino

In den Tarifverhandlungen mit der Kino-Kette UCI (United Cinemas International GmbH) wurde am 19. Februar 2024 ein Tarifergebnis erzielt, das an vielen Stellen die ver.di-Forderungen erreicht, so auch den Einstiegslohn von 14 Euro. In der anschließenden Befragung der Mitglieder bis zum 4. März gab es keinerlei Ablehnung. Somit beschloss auch die ver.di-Tarifkommission einstimmig die Annahme des Tarifergebnisses.
mehr »

Einschüchterungsversuche der Hohenzollern

Eine Studie der Universität Leipzig hat am Beispiel der deutschen Adelsfamilie Hohenzollern untersucht, wie kritische Berichterstattung und Forschung durch gezielte Anwaltsstrategien beeinflusst oder behindert werden sollen. Die Kommunikationswissenschaftler*innen haben dabei die Wirkung von SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation) aus Sicht der Betroffenen nachvollzogen. Verunsicherung und Einschränkung der Arbeitsfähigkeit sind direkte Folgen bei ihnen.
mehr »

Honoraruntergrenzen bei der Kulturförderung

Claudia Roth will ein Versprechen einlösen und Mindeststandards für Honorare von Freien bei der Kulturförderung des Bundes sichern. Laut Ampel-Koalitionsvertrag von 2021 sollten öffentliche Gelder für die Kultur an faire Vergütung gekoppelt sein. Nun, so die Kulturstaatsministerin, werden „für den Kernbereich der Bundeskulturförderung“ Mindesthonorare für Künstler*innen und Kreative eingeführt.
mehr »