Keine Lust auf Debatte

Schweres Fahrwasser für BBC im Klima politischer Instabilität

Großbritannien wählt am 7. Mai ein neues Parlament. Diese Wahl findet in einem Klima politischer Instabilität statt, wie sie die britische Gesellschaft in der Nachkriegsgeschichte noch nicht gekannt hat. Auch wenn Schottland (vorerst!) im Vereinigten Königreich bleibt, ist neben der andauernden Diskussion über das Für und Wider der Sparpolitik der Regierung das Zusammenspiel der verschiedenen Städte, Regionen und Nationen Großbritanniens ein Thema von zunehmender Bedeutung für die Politik. Das geht an den Medien nicht spurlos vorbei. Schon gar nicht an der BBC.

Foto: epa / Facundo Arrizabalaga
Foto: epa /
Facundo Arrizabalaga

Seit 1927 sendet die BBC mit Erlaubnis des Königshauses. Diese Erlaubnis muss alle zehn Jahre erneuert werden. Das geht immer mit einer langwierigen Reformdiskussion einher. Ende 2016 ist es wieder soweit. Um 2017 weiter senden zu können, braucht die BBC eine Erneuerung der so genannten „Royal Charter“, in der Auftrag und Rahmenbedingungen für den Sender definiert werden. Es wird Aufgabe der neuen Regierung sein, sich damit herumzuschlagen. Doch die Diskussion darüber ist schon Monate vor der Wahl entbrannt.
Und hier kommt die politische Instabilität auf der Insel ins Spiel. Sie hat die BBC bereits vor einige Herausforderungen gestellt. Darüber, ob sie diese bewältigt hat, gibt es geteilte Meinungen. So fanden in den Wochen vor dem schottischen Unabhängigkeitsreferendum wütende Demonstrationen von Unabhängigkeitsbefürwortern statt, die der BBC eine mangelnde Balance in der Berichterstattung vorwarfen.

Tendenzberichterstattung

„Future of News“ kann HIER frei geladen werden
„Future of News“ kann HIER frei geladen werden

Bereits Ende 2013 veröffentlichte der schottische Professor John Robertson eine Langzeitstudie. Von September 2012 bis September 2013 hatte er die Berichterstattung der BBC über die schottische Unabhängigkeitsbewegung beobachtet. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit der von der BBC produzierten Beiträge eine Tendenz gegen das schottische Unabhängigkeitslager im Allgemeinen und die Scottish National Party im Besonderen aufwiesen.
Die BBC reagierte empfindlich getroffen und protestierte beim Präsidenten der University of West Scotland, bei der Robertson angestellt war. In der BBC wurde über die Studie nicht berichtet. Dabei hätte sie die Möglichkeit gehabt, die Untersuchung im Rahmen einer Berichterstattung kritisch zu hinterfragen. Robertson bot wiederholt an, sich der Debatte zu stellen. Doch die damaligen Chefs der BBC Schottland hatten darauf keine Lust.

Solches Verhalten kann sich nun rächen, wenn nach den Wahlen im Mai dutzende Abgeordnete der Scottish National Party (SNP) im britischen Unterhaus sitzen werden. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass die neue britische Regierung deren Stimmen brauchen wird. Das könnte den SNP-Abgeordneten auch Einfluss auf den Diskussionsprozess um die Erneuerung der Sendelizenz für die BBC geben.
Zwar verteidigt die BBC ihre Schottland-Berichterstattung auch weiterhin. In anderen von der Corporation veröffentlichten Dokumenten ist aber auch Selbstkritik zu lesen. In einem Anfang dieses Jahres unter dem Titel „The Future of News“ veröffentlichten Papier ist unter anderem von einem Demokratiedefizit in Großbritannien die Rede: Über Teile des Landes gebe es keine ausreichende Berichterstattung; in anderen würden öffentliche Dienstleistungen nicht hinterfragt und die Mächtigen nicht auf effektive Weise zur Rechenschaft gezogen. Doch gerade dies sei wesentliche und einzigartige Aufgabe der BBC.

Weniger Geld für mehr Bereiche

Dieses Defizit hat zum einen mit Einsparungen zu tun. Vielerorts, zum Beispiel in der 500.000 Einwohner zählenden nordostenglischen Stadt Bradford, hat die BBC in den letzten Jahren Regionalstudios geschlossen. 2010 handelte der damalige BBC-Generaldirektor Mark Thompson hinter verschlossenen Türen mit der Regierung die Nichterhöhung der Rundfunkgebühren aus. Gleichzeitig werden seitdem Teile der BBC durch die Gebühren mitfinanziert, die vorher Gelder aus anderen Töpfen bekamen. Das gilt beispielsweise für den World Service, der bis 2010 vom britischen Außenministerium finanziert wurde. Weniger Geld muss also auf mehr Bereiche verteilt werden. Hinzu kommt ein wachsendes Imageproblem. Manchen BBC-Journalisten wird zu große Nähe zu Politik und Wirtschaft nachgesagt. So konnte Andrew Marr, der ehemalige Chefkorrespondent für Politik, aus einem von ihm verfassten Roman im Amtssitz des Premierministers Cameron vortragen. Dieser sprach einleitende Worte, anwesend waren dutzende führende Politiker und Wirtschaftstreibende.
Auch dieser Problematik ist man sich bei der BBC scheinbar bewusst geworden. Im Bericht „The Future of News“ steht zu lesen, in Zukunft würde das Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber den Medien eher zu- als abnehmen. Wie man mit diesem Misstrauen in Zeiten wirtschaftlicher und politischer Instabilität umgeht, wird Teil der Lizenzverhandlungen nach den Wahlen sein.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Sorge um Pressefreiheit in Osteuropa

„Journalistinnen und Journalisten stehen In vielen Ländern Osteuropas unter enormem Druck von Regierungen. Von Pressefreiheit kann angesichts von Repressalien wie Klagen, Bedrohungen und Inhaftierungen keine Rede mehr sein. Dabei machen die Journalist*innen einfach nur eins – ihre Arbeit“, betont Tina Groll, Bundesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, anlässlich der Verleihung der Free Media Awards 2024 für Medienschaffende in Osteuropa heute norwegischen Nobel-Institut in Oslo.
mehr »

Immerhin gibt es Presse

Der Iran gehört zu den repressivsten Ländern weltweit für Journalist*innen. Hunderte wurden strafverfolgt, inhaftiert oder hingerichtet. Medien unterliegen systematischer staatlicher Kontrolle, das Internet wird umfassend zensiert und überwacht. Dennoch wird viel über den Iran berichtet und viele Iraner*innen nutzen soziale Medien. Es gibt einen öffentlichen politischen Diskurs. Ein Gespräch mit dem Historiker Arash Azizi.
mehr »

Bundesregierung ohne Exit-Strategie

Vor drei Jahren übernahmen die Taliban die Macht in Afghanistan. Während viele Menschen im Land heute angeben, die Situation sei sicherer, leben Journalisten fast nirgends gefährlicher. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (RSF) rutschte das Land mittlerweile auf Platz 178 von 180 Staaten. Ein Hoffnungsschimmer sollte das Bundesaufnahmeprogramm (BAP) für besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen sein. Doch nur sechs Journalist*innen konnten darüber gerettet werden. Und das BAP stehe vor dem Aus, beklagt RSF. 
mehr »

Türfent: Rettender öffentlicher Druck

Der internationale Tag der Pressefreiheit ging in Deutschland in diesem Jahr mal wieder zwischen Feier- und Brückentagen unter. Dabei gerät die Pressefreiheit weltweit immer weiter unter Druck. So plante die Türkei ein „Agentengesetz“ nach Vorbild Russlands und Georgiens, mit dem kritische Journalist*innen kriminalisiert werden. Wie wichtig öffentlicher Druck für inhaftierte Journalist*innen ist, verdeutlichte der türkische Kollege Nedim Türfent. Er ist sich sicher: Ihm hat dieser Druck das Leben gerettet.
mehr »