Emmanuel Vargas Penagos ist Jurist, Journalist und arbeitet an der Universidad de los Andes der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá. Daneben berät der 30jährige auch die Stiftung für Pressefreiheit in Kolumbien (FLIP). Das Land im nördlichen Lateinamerika belegt in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen Platz 129 von 180. M hat mit Vargas Penagos über die schwierige Situation von kolumbianischen Journalist_innen und die Gefahren der anstehenden Präsidentschaftswahl gesprochen.
M | Noch vor ein paar Jahren galt Kolumbien als eines der gefährlichsten Länder für Journalisten weltweit. In den vergangenen Jahren hat Mexiko, wo im letzten Jahr elf Berichterstatter ermordet wurden, Kolumbien aus den negativen Schlagzeilen verdrängt. Ist Kolumbien heute sicherer als noch vor ein paar Jahren?
EVP | Die Zahl der Morde an Journalist_innen ist in den letzten Jahren im Vergleich zu den 1990er und 2000er spürbar gesunken. Im Jahr 2016 haben wir erstmals seit Jahrzehnten keinen einzigen toten Kollegen bzw. Kollegin registriert. Das ist deutlich besser als im Jahr 2002, wo es zehn waren. Aber das Risiko, in Kolumbien im Kontext der journalistischen Arbeit ermordet zu werden, existiert nach wie vor. Das zeigt das Beispiel der indigenen Journalistin Efigenia Vásquez Astudillo, die Anfang Oktober 2017 erschossen wurde, als sie über die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und indigenen Demonstranten im Cauca berichtete.
Welche Bedeutung hat dabei der Friedensprozess, der nach fast vier Jahren Verhandlungen im November mit der Unterzeichnung des Friedensvertrages endete?
Einen geringen, denn auch heute ist es immer noch gefährlich, in den Regionen zu recherchieren, weil es dort bewaffnete Akteure gibt, seien es die Guerilla-Bewegung ELN (Ejército de Liberación Nacional, deutsch Nationale Befreiungsarmee, Anm.d.Red.) oder die kriminellen Banden. Auch die staatlichen Ordnungskräfte haben längst nicht immer Interesse an Berichterstattung. Das ist Teil der kolumbianischen Realität. Trotz des Friedensabkommens ist Kolumbien kein befriedetes Land, es gibt in dieser Hinsicht keine signifikanten Verbesserungen.
Seit 2011 gibt es in Kolumbien allerdings eine staatliche Einheit für den Schutz von Journalisten, Gewerkschaftern, Politikern (UNP). Hat sie einen positiven Effekt?
Die UNP hat das vorherige System für den Schutz von Journalist_innen abgelöst, welches im Jahr 2000 eingerichtet wurde. Unter dem Strich ist der Rückgang der Morde an Journalist_innen zwar auch auf die UNP zurückzuführen, wir kritisieren jedoch, dass das UNP-Konzept rein reaktiv und nicht präventiv ausgelegt ist. Es wird erst reagiert, wenn die Drohung auf dem Tisch liegt. Zuvor wird keine Risikoanalyse durchgeführt und es gibt keine direkte Verbindung zur Justiz. Die Personenschützer arbeiten nicht mit der Staatsanwaltschaft und den Ermittlungsbehörden direkt zusammen – aus unser Sicht ein Defizit.
Gibt es denn wenigstens Ermittlungserfolge?
Eben nicht. Die Aufklärungsquote bei Morden an Journalist_innen ist genauso wie die bei den Drohungen ausgesprochen niedrig. So erinnere ich mich an genau eine Verurteilung im Anschluss an die Bedrohung eines Journalisten. De facto herrscht weitgehend Straflosigkeit.
Die Zahl der Morde geht zwar zurück. Aber wie ist es mit den Drohungen und Anfeindungen gegen Journalist_innen?
2016 waren es rund neunzig Drohungen, die in Redaktionen und bei Kolleg_innen eingingen. Sie sollen einschüchtern und damit haben die intellektuell Verantwortlichen oft Erfolg, denn Selbstzensur ist in Kolumbien weitverbreitet. Es gibt in Kolumbien Regionen, die stumm sind, wo nicht mehr kritisch informiert wird – entweder, weil die Gewalt sich gegen die Journalist_innen richtet oder die wirtschaftliche Lage journalistische Arbeit nicht möglich macht. Es gibt Radiosender, die ausschließlich Musik spielen und Medien, die nur positive, leichte Themen verarbeiten.
Welches sind die gefährlichsten Verwaltungsbezirke?
Die Grenzregion zu Venezuela, also der Norte de Santander, ist besonders gefährlich, aber auch die Region von Catatumbo, wo die ELN- und die EPL-Guerilla operiert, sowie Teile von Antioquia und große Teile des Valle de Cauca, im Süden Kolumbiens. Dort ist die Dichte von kriminellen Banden sehr hoch.
Teilweise geht die Bedrohung allerdings auch direkt von Politikern wie Ex-Präsident Álvaro Uribe Vélez aus, manchmal sogar von staatlichen Amtsträgern – genießt der Journalismus in Kolumbien keinen Respekt?
Gute Frage. Die Angriffe von Ex-Präsident Uribe auf Journalist_innen machen immer wieder Schlagzeilen, aber im Kontext der Präsidentschaftswahlen vom 27. Mai könnten derartige Angriffe auf Berichterstatter_innen sogar noch zunehmen – das Klima ist schon jetzt polarisiert. Die Stigmatisierung der Presse könnte sich verschärfen, denn auch der noch amtierende Präsident Juan Manuel Santos hat sich mehrfach über negative Berichterstattung echauffiert. Das sorgt für ein Ambiente, wo es schwer wird, die eigene Meinung auszusprechen und zu ihr zu stehen, obwohl das ein von der Verfassung geschütztes Grundrecht ist.
Hat es Aktionen der Regierung gegeben, um für mehr Respekt für die Presse zu werben und welche Rolle spielt die Konzentration der Medien in den Händen weniger?
Zum ersten Teil der Frage Nein, oder besser zu wenig. Die Medienkonzentration ist hingegen ein Problem, welches in einigen Regionen bereits sichtbar wird. Die Leute dort wissen mehr über die Verkehrsinfarkt in Bogotá als über die Korruption im eigenen Rathaus – das ist ein zunehmendes Problem in Kolumbien.
Welche Rolle spielen aktuell alternative Medien wie „La Silla Vacia“?
Das Angebot nimmt zu, aber sie bedienen eine Nische und ein eng begrenztes Publikum, welches sich zusätzlich über diese Medien informiert. Sie haben bisher keine gesellschaftliche Relevanz.