Kolumbien: Politik gegen Pressefreiheit

Kolombianische Abgeordnete debattieren im Dezember 2018 im Kongress in Bogotà über eine Steuerreform
Bild: REUTERS/Luisa Gonzalez

Zwei Gesetzesvorlagen haben in Kolumbien für Diskussionen unter Journalist*innen gesorgt: die Initiative, einen Presseausweis einzuführen und das Gesetz, welches die Vergabe von Sendelizenzen und den Internetzugang neu regeln sollen. Beide Initiativen gehen auf Abgeordnete des Centro Democrático zurück. Die Partei des amtierenden Präsidenten ist für massive Angriffe auf kritische Medien bekannt.

Presseausweise gehörten viele Jahre auch in Kolumbien zum Alltag der Journalist*innen. Doch 1998 hat ein Urteil des Verfassungsgerichts dafür gesorgt, dass sich das änderte. „Die Argumentation halten wir bis heute für wegweisend, denn das Verfassungsgericht stufte die freie Meinungsäußerung höher ein als die berufliche Qualifikation“, erklärt Emmanuel Vargas von der Stiftung für die Pressefreiheit (Flip) in Bogotá.

Das sehen die Abgeordneten der Regierungspartei Centro Democrático allerdings anders. Sie möchten, dass Journalist*innen in einem zentralen, vom Staat verwalteten Register erfasst sind, und wollen obendrein noch Kriterien für die Berichterstattung festlegen. Unterstützt werden sie dabei von einigen anderen Parteien sowie der einen oder anderen Journalistenorganisation. „Es gibt durchaus Kollegen, die für den Journalistenausweis plädieren, weil sie hoffen, dass ihr Beruf so aufgewertet wird“, sagt Vargas, „wir halten diese Initiative allerdings für gefährlich, denn ihr Ziel ist, die Presse mehr und effektiver zu kontrollieren“

Der Gesetzesinitiative, die schon aus der letzten Legislaturperiode stammt, steht allerdings auch ein Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) entgegen. Die Richter haben klar definiert, dass Journalismus nicht mehr und nicht weniger als die Ausübung der freien Meinungsäußerung sei, so Vargas. Folgerichtig sei es überaus problematisch, wenn die Regierung Kriterien definieren sollte, wer einen Presseausweis erhalte und wer nicht, so der 32-jährige Jurist und Journalist.

Kleinere und kritische Medien sollen Netzausbau finanzieren

Diese Einschätzung teilt auch Diana Salinas, die vor ziemlich genau einem Jahr mit zwei Kollegen das investigative Online Portal „Cuestion Pública“ gegründet hat. Vor allem, weil sie eigenständig und unabhängig arbeiten will, und das ist bei den großen Sendern immer schwieriger. „Ich wurde 2016 beim Fernsehsender RCN entlassen, weil wir eine kritische Sendung über den damaligen Parlamentspräsidenten ausstrahlen wollten. Ein Anruf der Familie genügte, um das gesamte Format zu kippen. 25 Kollegen landeten auf der Straße“, erinnert sich Salinas. Für sie war das ein Wendepunkt und genau deshalb hat sie mit „Cuestion Pública“ etwas Eigenes, wirklich Unabhängiges auf die Beine stellen wollen.

Für sie ist der Journalistenausweis ein neuerlicher Versuch, Berichterstattung zu lenken, was in Kolumbien ohnehin schon gang und gebe sei. „Die großen Medien sind in den Händen großer einflussreicher Holdings, die eigene Interessen verfolgen. Wir brauchen eher einen Weckruf für eine unabhängige Presse als weitere Eingriffe in die Strukturen.“

Als solchen begreift die in Argentinien ausgebildete Journalistin auch die anvisierte Verabschiedung des Gesetzes 512. Dieses soll den Ausbau des Breitband-Internets in Kolumbien vorantreiben. Eine Initiative, die generell überfällig ist, denn rund zwanzig Millionen der knapp fünfzig Millionen Kolumbianer*innen hätten bisher keinen Zugang zum schnelleren Internet, so die zuständige Ministerin Sylvia Constaín. Doch die Umsetzung wirft Fragen auf. Denn finanziert werden soll der Netzausbau durch Beiträge der kolumbianischen Medien. „Doch warum soll ein kritisches Medium wie ‚Noticias Uno‘, das auch mit Geldern der Regierung arbeitet, mehr in den Topf einzahlen als die großen privaten Kanäle wie RCN und Caracol?“, fragt Diana Salinas. Eine Tatsache, die auch Emmanuel Vargas schleierhaft ist. Er sieht hingegen noch ein weiteres strukturelles Problem, weil die noch zu gründende Regulierungsbehörde für die Vergabe von Sendelizenzen ein staatliches und damit kein unabhängiges Gremium ist. „Das sorgt für zu viel Regierungseinfluss, denn die Vergabe der Sendelizenzen darf eben nicht nach parteipolitischen Kriterien erfolgen“, argumentiert Vargas. Doch genau das droht, weil die Mitglieder der Regulierungsbehörde direkt von der Regierung ernannt werden sollen. Darauf hat die Stiftung für die Pressefreiheit (FLIP) mehrfach öffentlich hingewiesen, zuletzt in ihrem Jahresbericht.

Dort ist auch ein massiver Anstieg der Bedrohungen von Journalist*innenen dokumentiert. Neben drei Morden an Medienvertretern verzeichnet die Stiftung einen großen Anstieg der Morddrohungen. Laut Vargas auch eine Folge der verbalen Attacken auf Medien durch Politiker*innen. Ein Phänomen, das in Kolumbien nicht neu ist, aber massive Folgen für die Berichterstatter*innen hat, vor allem in den Regionen außerhalb der Hauptstadt, wo Journalist*innen besonders gefährlich leben.

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