Journalist_innen in Bosnien und Herzegowina leben gefährlich
Wie in ganz Südosteuropa ist es auch in Bosnien und Herzegowina trotz eines relativ fortschrittlichen Mediengesetzes um die Pressefreiheit eher trist bestellt. Nicht nur ihre miserable Bezahlung und Kurzzeitverträge machen den Journalist_innen im ethnisch zerrissenen Vielvölkerstaat zu schaffen. Die meisten Medien werden direkt oder über Strohmänner von Bosniens mächtigen Politclans und ihnen nahestehenden Unternehmern kontrolliert – und dienen als publizistische Instrumente im deren Dauerkampf um die Fleischtöpfe der Macht.
Die Narben auf der Stirn des hochgewachsenen Journalisten sind verheilt, die Schläge unvergessen. Am Abend des 26. August hatte Vladimir Kovacevic für den unabhängigen TV-Sender BN im bosnischen Banja Luka über die Proteste zur Aufklärung des mysteriösen, von der Polizei offensichtlich vertuschten Mordes an dem Studenten Davor Dragicevic berichtet. Bei seiner Rückkehr lauerten dem Reporter auf der Straße vor seinem Haus zwei maskierte Männer auf. „Sie sagten kein Wort, schlugen mich mit ihren Metallstangen mehrmals gezielt auf den Kopf,“ berichtet der 36jährige: „Sie wirkten wie Profis – wie Leute, die diesen Job schon häufiger gemacht haben.“
Glücklicherweise sei er bei dem Angriff auf den Rücken gefallen und habe darum mit den Händen noch einige Schläge abwehren können, so der nach der Attacke mit Platzwunden und einer Gehirnerschütterung in die Klinik eingelieferte TV-Reporter. Die Staatsanwaltschaft ermittle nun wegen Mordversuchs. Wer hinter dem Angriff stehe und ob er nur eingeschüchtert oder getötet werden solle, wisse er nicht. Mögliche Auftraggeber und Motive für den Überfall könne er nur vermuten, Beweise habe er keine: „Seit Jahren verfasse ich Beiträge über Kriminalität und Korruption in Bosnien und Herzegowina.“
Die wenigen unabhängigen Medien und Journalisten sehen sich hier nicht nur mit Anfeindungen von Politikern konfrontiert, sondern sind häufig auch wüsten Drohungen und Attacken einflussreicher Dunkelmänner ausgesetzt. Der wichtigste Sinn der journalistischen Arbeit sei, „das zu kritisieren, was nicht gut“ ist, sagt Kovacevic. Doch die Machthaber im Teilstaat der Republika Srpska würden Journalisten und Medien, die über Unregelmäßigkeiten berichteten, wie „Landesverräter“ behandeln: „Dabei sind sie es, die mit ihren trüben Geschäften, Vetternwirtschaft und Korruption die Integrität des Landes untergraben. Doch am leichtesten ist es, diejenigen zu verunglimpfen, die ihrer Arbeit und Aufgabe nachkommen.“
Kurz vor dem Überfall auf Kovacevic hatte Milorad Dodik, einer der mächtigsten Politiker der Republika Srpska, zwei von dessen BN-Kollegen als „Spione“ im Dienst einer fremden Macht beschimpft. Nach dem Überfall habe Dodik ihn am Krankenbett besucht, berichtet Kovacevic. Er habe sich zwar für dessen Visite bedankt. Doch er habe seinem Besucher auch gesagt, dass Übergriffe gegen Journalisten Folgen der vergifteten Atmosphäre seien, für die er mitverantwortlich sei. Die Situation in Bosnien habe einen „kritischen Punkt“ erreicht, so Pauline Ades-Mevel von „Reporter ohne Grenzen“. Dodik müsse aufhören, Journalisten zu beleidigen, „damit die verbale Gewalt nicht den Weg für mehr physische Attacken ebnet.“ Vor Niger aber hinter Haiti dümpelt der Balkanstaat auf dem jüngsten Pressefreiheitsindex von „Reporter ohne Grenzen“ auf dem 62. Rang.
Bei den Parlaments-, Präsidentschafts- und Teilstaatswahlen Anfang Oktober haben fast alle von Bosniens Strippenziehern ihre Machtposition zementieren können. Auch dem bisherigen Teilstaatspräsident Dodik ist der anvisierte Wechsel auf den Posten des serbischen Vertreters im dreiköpfigen Staatspräsidiums in Sarajevo geglückt. Das Ausbleiben echter Machtwechsel hätten in Bosnien zu einer „Privatisierung“ der Staatsinstitutionen durch die herrschenden Clans geführt, so Kovacevic. Wie die USA beklage sich zwar auch die EU „mit protokollarischen Protesten“ über Korruption, Kriminalität und die bedrohte Pressefreiheit: „Aber dann kommt die Europäische Entwicklungsbank und der Internationale Währungsfonds und drücken den hiesigen Machthabern neue Milliardenkredite in die Hand.“
Überall in der Region sei es um die Pressefreiheit schlecht bestellt, seufzt Kovacevic. Bei der Frage, ob er daran glaube, dass Bosniens Justiz die Drahtzieher des Überfalls zur Rechenschaft ziehen werde, zuckt er resigniert mit den Schultern: „Das hängt davon ab, wer hinter der Attacke stand.“
Seine bei dem Angriff zerstörte Brille hat der Reporter durch eine neue ersetzt. Ob er noch lange als Journalist und in seinem Land arbeiten werde, wisse er seit dem lebensgefährlichen Überfall allerdings nicht mehr, gesteht er. Eigentlich habe sich seine Karriere bisher so entwickelt, wie er sich das vorgestellt habe und er würde gern weiter seiner journalistischen Arbeit nachgehen: „Aber es ist nicht nur mein Leben. Ich habe auch eine Verantwortung gegenüber meinen kleinen Kindern.“ Freunde in Dänemark, Deutschland und den USA hätten ihm bereits ihre Hilfe angeboten, falls er emigrieren wolle: „Doch wenn ich auswandere, kann ich den Journalismus vergessen – und wären 15 Jahre Berufserfahrung umsonst: Im Ausland könnte ich höchstens noch Zeitungen verkaufen.“