Kritischer Journalist erneut verurteilt

ver.di: Pressefreiheit und die Schaffung demokratischer Strukturen in der Türkei einfordern

Mit einer harschen Kritik geht Horst Gobrecht, stellvertretender Bezirksvorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgesellschaft (ver.di) in Wiesbaden, an die Öffentlichkeit. Während in der Türkei Behörden und Gerichte die Handlungs- und Meinungsfreiheit von Demokraten weiter einschränkten, sorge sich z.B. der Internationale Währungsfonds nur darum, wann endlich die versprochenen Bankreformen durchgesetzt werden. Wenn mit Blick auf die Türkei Ermahnungen an die Regierung gerichtet würden, sich „nicht mehr länger hinhalten“ zu lassen, gehe es meist nicht um die Einhaltung der Menschenrechte, die Garantie von Pressefreiheit oder fehlende demokratische Strukturen.

Dass es um die Pressefreiheit und die Schaffung demokratischer Strukturen aber bis heute in dem NATO-Land schlecht bestellt ist, so Gobrecht, belege ein für Aufsehen sorgender Fall: Am 26. Juni 2001 verurteilte der Dritte Senat des Staatssicherheitsgerichts (DGM) der Türkei den freiberuflichen Journalisten Zeynel Abidin Kizilyaprak aus Istanbul zu 16 Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe in Höhe von 1,62 Milliarden Türkische Lira (etwa 3250 DM). Die Geldstrafe beträgt mehr als das Zehnfache seines Monatseinkommens, das nach Schätzungen von ver.di zwischen 250 und bis 300 DM im Monat liegt.

Angeklagt wurde Kizilyaprak, weil er zwei Texte eines bereits am ersten Erscheinungstag durch Gerichtsbeschluss beschlagnahmten Jahrbuchs „Die Kurden von 1900 bis zum Jahr 2000“ für „separatistische Propaganda“ genutzt hatte, so das Urteil der Richter. Die beiden Texte analysieren historische Ereignisse und ihre Folgen: den Militärputsch vom 12. September 1980 und den ersten Überfall der Guerillas der Kurdischen Arbeiterpartei PKK auf eine staatliche Einrichtung am 15. August 1984.

Kizilyaprak ist den Behörden in der Türkei schon lange ein Dorn im Auge: Er war bis zu ihrer erzwungenen Einstellung Koordinator der prokurdischen Wochenzeitung „Newroz“ und Eigentümer des 1994 geschlossenen Pelesor-Verlages. In diesem erschien u.a. sein für viel Aufsehen sorgendes Buch „Die Erinnerungen eines Soldaten“. Es enthält authentische Berichte über die Gräueltaten des türkischen Militärs an Kurden. Anfang der 90er Jahre gehörte Kizilyaprak der später verbotenen prokurdischen Demokratie-Partei (DEP) an. Er war außerdem Gründungsmitglied sowie zeitweise stellvertretender Vorsitzender der Demokratischen Partei des Volkes (HADEP).

Im Februar 1997 überfielen ihn türkische Sicherheitskräfte und verschleppten ihn in ein Polizeigefängnis. Tagelang blieben seine Angehörigen ohne jegliche Nachricht. Nach Intervention von Amnesty International und auf Druck einer vom damaligen IG-Medien-Bezirk Wiesbaden gestarteten Solidaritätskampagne, mit der verhindert werden sollte, dass die Polizei den Verhafteten, „wie viele andere unbequeme Journalisten spurlos verschwinden lässt“, so Gobrecht, wurde erfolgreich auf seine Entlassung gedrängt. Nachdem sich auch der Hauptvorstand der IG Medien sowie die Wiesbadener SPD-Bundestagsabgeordnete und heutige Bundesentwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul für seine Freilassung eingesetzt hatten, kam er am 13. Mai 1997 aus der Haft.

In seiner Verteidigung gegen die neuerliche Anklage verwies der unbequeme Journalist nun darauf, dass einer der inkriminierten Artikel bereits 1998 in der Enzyklopädie „Die 75 Jahre der Türkischen Republik“ ohne juristisches Nachspiel veröffentlicht wurde. Doch das Staatssicherheitsgericht ignorierte diese Einlassung und verurteilte den Journalisten auf der Basis des Artikels 8 des Anti-Terror-Gesetzes. Seine Rechtsanwälte wollen den Fall jetzt vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Snowden und die große Datenmisshandlung

Zehn Jahre nach Beginn der bedeutenden Enthüllungen über die globale Überwachung durch Geheimdienste ist die journalistische Auswertung der von Edward Snowden bereitgestellten Dateien unbefriedigend. Große Medien haben sich dem Druck der betroffenen Regierungen gebeugt und die Auswertung der Dokumente abgebrochen oder sogar behindert.
mehr »

Wahlsieg gegen die Pressefreiheit  

Angst und Verzweiflung. Das sind die Gefühle vieler Journalist*innen nach dem erneuten Wahlsieg des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan (AKP) am Sonntag in der Türkei. Sind sie begründet? Was kommt als Nächstes auf die am Boden liegende Pressefreiheit zu? Und wie könnte es trotz allem weitergehen? Eine Kolumne aus Istanbul. 
mehr »

Keine Zeitung in Alamogordo New Mexico

Die Stadt Alamogordo im südlichen New Mexico mag mit ihren Kettenrestaurants und leeren Parkplätzen nicht die schönste sein, doch die umliegenden Berge und gigantischen Halbwüsten machen den spröden Beton allemal wett. In der Militärstadt leben rund 31 000 Menschen. Holloman Air Force Base, eine Basis der Luftwaffe, ist der größte Arbeitgeber. Was Alamogordo nicht mehr hat, ist eine eigene Zeitung. Zumindest nicht im klassischen Sinne. In ganz New Mexico gibt es derzeit noch 36 Zeitungen.
mehr »

Fenster zur Welt: RAW Photo Triennale

In ihrer vierten Ausgabe zeigt die RAW Photo Triennale Worpswede unter dem Thema „Turning Point. Turning World“ noch bis zum 11. Juni die Welt im Wandel. In den vier Häusern des Worpsweder Museumsverbundes gibt es vier Hauptausstellungen: „#EGO“ bietet künstlerische Positionen im Dialog, die von der Suche nach sich selbst erzählen. Bei „#FAKE“ geht es um die Suche nach Wahrhaftigkeit. „#NEXT“ dreht sich um aktuelle sozioökologische Fragestellungen und „#RISK“ verhandelt aktuelle politische und gesellschaftliche Themen. Festivaldirektor Jürgen Strasser über die Schau und den Mythos Worpswede.
mehr »