Lernen von den Briten

Politische Vorgaben zum Schutz kleiner Filmproduktionsfirmen

Bei Film und Fernsehen arbeiten viele Beschäftigte befristet oder als Selbstständige. Ausgerechnet in Großbritannien ist es gelungen, die prekären Jobs durch staatliche Medienpolitik abzusichern.

Die Arbeitsbedingungen in der Medienbranche sind härter geworden. Feste Stellen sind vielerorts schon lange die Ausnahme und Auftragsarbeiten die Regel. Vor allem um die privaten Sender herum spannt sich ein weit verzweigtes Netz von Subfirmen und Freiberuflern. Gutes Geld wird nur so lange verdient, wie die Einschaltquote stimmt. Wenn die Sendung floppt, ist das Projekt zu Ende. Für langjährige Angestellte wären dann teure Abfindungen fällig, formal Selbstständige dagegen verursachen keine weiteren Kosten. Die Firmenzentralen sind personell aus­gedünnt, beschränken sich auf Koordination. Sie bilden nur noch den zentralen Knoten innerhalb einer „hybriden“ Struktur, in dem Auftraggeber und Auftragnehmer zeitlich begrenzt kooperieren.

Interessenverbände zersplittert

Innerhalb dieser zerfaserten Verhältnisse entstehen aber durchaus neue Verbindlichkeiten. Pauschalisten oder „Feste Freie“, deren widersprüchlicher Status sich schon in der Sprache ausdrückt, umkreisen den Kern als stabile Satelliten. Für den Bereich Film und Fernsehen unterscheidet eine aktuelle Studie an der Universität Osnabrück zwischen „abhängigen“ und „unabhängigen“ Produktionsfirmen: Wenige große Zulieferer, so die Sozialwissenschaftler Helmut Voelzkow und Sabine Elbing, würden „systematisch bevorzugt“, während Kleinunternehmen zu ­Opfern eines „ruinösen Wettbewerbs“ zu werden drohten.
Die Untersuchung, von der Hans-Böckler-Stiftung finanziert, vergleicht die Strukturen der Interessenvertretung in der deutschen Medienwirtschaft mit denen in Großbritannien. Jenseits des Kanals schützen politische Vorgaben, die eine Kooperation der Sozialpartner überhaupt erst ermöglichen. Ein vergleichbarer rechtlicher Rahmen wurde bei der Einführung des Privatfernsehens in Deutschland nicht gesetzt. „Die Medienpolitik hat darauf verzichtet, der unabhängigen Film- und Fernsehproduktion durch regulative Markteingriffe den Rücken zu stärken“, heißt es in einem Bericht des Forschungsprojektes.
Anders als in Großbritannien sind die deutschen Interessenverbände stark zersplittert. In der „heterogenen“ Großgewerkschaft ver.di, so die Studie, seien die Mitarbeiter von Film und Fernsehen „nur eine kleine Teilmenge“. Positiv hervorgehoben wird in diesem Zusammenhang das Projekt connexx.av, das seit Ende der neunziger Jahre mit neuen Formen der Ansprache den Kontakt zu Medienbeschäftigten sucht. Auf der Arbeitgeberseite existiert eine Vielzahl von Produzentenver­einigungen nebeneinander, das gemein­same Dach „Spitzenorganisationen der Filmwirtschaft“ (SPIO) ist lediglich eine Art Branchenforum. „Wenn ver.di Vereinbarungen abschließen will, hat sie es gleich mit mehreren Verhandlungspartnern zu tun, die aber aufgrund ihrer internen Konfliktlinien zurückhaltend agieren“, analysieren Voelzkow und Elbing.
Im Vergleich dazu sind die britischen Verhältnisse klar strukturiert. Es gibt nur einen Zusammenschluss der Produktionsfirmen, die „Producers Alliance for Cinema and Television“ (PACT), die gegenüber der staatlichen Regulierungsbehörde „Ofcom“ als Interessenvertretung auftritt und überbetriebliche Vereinbarungen aushandelt. Die Spezialgewerkschaft „Broad­casting Entertainment Cinematograph & Theatre Union“ (BECTU) organisiert neben den Festangestellten auch die zahlreichen Selbstständigen der Branche. Die Mediengesetzgebung sichert den unabhängigen TV-Zulieferern eine garantierte Abnahme zu: 25 Prozent der Sendezeit in öffentlichen wie privaten Kanälen hat sie für die Kleinproduzenten reserviert.
Zugleich sind die britischen Verbände autorisiert, Arrangements über so genannte „Terms of Trade“ und „Codes of Practise“ zu treffen. Im Kern geht es darum, dass die Urheberrechte der gelieferten Produktionen nicht mitverkauft werden, sondern bei den Herstellerfirmen verbleiben. Weil vergleichbare Regelungen fehlen, lenken die deutschen Fernsehsender ihre Gelder zum größten Teil in von ihnen abhängige Tochterunternehmen. Für freie Anbieter bleibt kaum etwas übrig. Kleinere Filmproduzenten haben „praktisch keine Chance, ihre wirtschaftliche Eigenständigkeit über die Verwertungsrechte zu stabi­lisieren“, kritisiert Voelzkow.

Gesetze sichern Sendegarantien

In Großbritannien, so das Ergebnis der Osnabrücker Studie, existiere ein „gewisser staatlicher Bestandsschutz“, weil die Medienpolitik eine „Verschiebung des Marktes“ zu Lasten der Minifirmen unterbindet. Gesetze sichern der unabhängigen Fernsehproduktion über Sendegarantien ihr Überleben. In Deutschland dagegen sehen sich die Produzenten der Marktmacht der Medienkonzerne schutzlos ausgeliefert. Die Folge sind miese Arbeitsbedingungen vor allem für freie Mitarbeiter, an die der wirtschaftliche Druck weitergegeben wird.
Die Untersuchung beschreibt „pre­käre Beschäftigungsverhältnisse mit extensiven Arbeitszeiten, teilweise auch mit deutlich schlechterer Bezahlung als in den Jahren des Wachstums“. In der Privatwirtschaft existiere „praktisch keine Tarifbindung“, die Übernahme der Kosten für die Aus- und Weiterbildung sei ein dauernder Streitpunkt. Es fehle ein Rechtsrahmen. „Die Medienpolitik des Staates macht den Unterschied“, so die Kernaussage der Studie. Noch nicht berücksichtigt wurde an dieser Stelle von den Wissenschaftlern offenbar der im Frühjahr 2006 abgeschlossene Film-Tarifvertrag zwischen ver.di und den Produzentenverbänden. Er soll und kann jedoch lediglich die „Hartz-Schäden“ für Filmschaffende abfedern. Dabei werden über Zeitkonten sozialversicherungspflichtige Beschäftigungstage so berechnet, dass viele Filmschaffende nach einer Verkürzung der Anrechnungszeiten für Arbeitslosengeld überhaupt die Chance haben, ALG I zu erhalten.
Die Empfehlungen des Forschungsprojektes legen dem deutschen Gesetzgeber nahe, die „Spielregeln“ der Branche zu verändern. Die Wissenschaftler schlagen vor, dass Sender, Produzentenvereinigungen und Gewerkschaften „auf der Grundlage von politisch vorgegebenen ‘Codes of practice’ über die Mindestbedingungen in ihrem Organisationsbereich verhandeln und ‘Terms of Trade’ festlegen“. Im zweiten Schritt könne man dann über Arbeitsstrukturen und soziale Sicherung der festen und freien Beschäftigten reden. Erst diese Politik der „regulierten Selbstregulierung“ habe die britischen Verbände handlungsfähig gemacht. Indirekt haben die Freelancer der britischen Film- und Fernsehwirtschaft ihren besseren Status ausgerechnet Margaret Thatcher zu verdanken: In die Amtszeit der erzkonservativen Premierministerin fielen die medienpolitischen Weichenstellungen der 1980er Jahre. Thatcher habe es mit Sicherheit fern gelegen, die Gewerkschaften zu fördern, stellt Helmut Voelzkow fest: „Das war kein politisches Projekt, sondern eher eine nicht beabsichtigte Nebenfolge.“

Die Studie

Der Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück untersuchte die „Dienstleistungen der Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften in der Film- und Fernsehproduktion im deutsch-britischen Vergleich“. Wichtigste empirische Grundlage waren standardisierte Interviews, die mit jeweils zwanzig Produktionsunternehmen der Branche in London und Köln geführt wurden.
Kontakt:
Prof. Dr. Helmut Voelzkow,
Universität Osnabrück
Seminarstraße 33
49069 Osnabrück
Telefon 0541 / 969 – 42 07
E-Mail: helmut.voelzkow@uos.de

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