Medienfreiheit am Hindukush

Kritische Berichterstattung vom afghanischen Staat torpediert

Nach dem Ende des Talibanregimes 2001, und damit nach dreißig Jahren Krieg, war es dem gebeutelten Land erstaunlich schnell gelungen eine beeindruckende Medienlandschaft aufzubauen. Die killid media group stellte auf ihrer Konferenz „media is development“ in Kabul eine Studie vor, nachdem landesweit etwa 500 Print-Produkte erstellt werden und im letzten Jahr weitere 150 Publikationen veröffentlicht wurden. Es gibt 42 Radiosender und neun TV-Sender. Dennoch wird derzeit wieder verstärkt versucht, die Medien zu reglementieren, nehmen die Repressalien gegen Journalisten wieder zu.


Es war um sieben Uhr abends und bereits stockdunkel in Kabul, die meisten Menschen schliefen schon, allein der Muhedzin bereitete sich auf das erste Morgen­gebet vor, als Polizisten sich gewaltsam Zutritt zu Tolo TV verschafften, um drei Redakteure zu verhaften. Der erfolgreiche und moderne TV-Sender, der vor allem von jungen Menschen Afghanistans geschaut wird, hatte Abdul Jabar Sabet erzürnt. Als General-Staatsanwalt wurde er seiner Meinung nach in einer Parlamentsanhörung falsch von Tolo TV wiederge­geben. Diese Aktion nahm Najib Roshan, der ehemalige Generalintendant der staatlichen Fernseh- und Radiogesellschaft RTA, zum Anlass im Interview mit Spiegel-Online von „einer fundamentalistischen Unterwanderung der Medien“ zu sprechen.
Die Medien in Afghanistan unterscheiden sich nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ erheblich, gerade weil die Ausbildung der Journalisten nach dem Krieg große Mängel aufweist. Zudem unterstützt die internationale Gemeinschaft, allen voran die Europäische Union und USAid, meist keinen gezielten Aufbau von professionellen Medien. Während Zeitungen und Zeitschriften die Stadt­bevölkerung gut erreichen, wird bei der hohen Quote von Analphabeten in den ländlichen Regionen stark auf den Rundfunk gesetzt. Mehr als dreißig unabhängige Lokalradios senden ihre Programme in den Regionen unter teilweise katastrophalen Bedingungen. So haben diese Radiosender oftmals nicht nur eine vorsintflutliche technische Ausstattung, verfügen über keinen Internet- und Newszugang. Sie werden zudem im Wettstreit um Werbeeinnahmen gegenüber städtischen ­Medien immer wieder vergessen.
Medienunternehmen aus Kabul, wie die killid- oder die moby group mit mehreren Zeitungen und Radiosendern, stehen gut am Markt und machen die ersten Gewinne. Die Newsagentur pajhwok Afghan News ist drei Jahre nach ihrer Gründung zum Marktführer aufgestiegen und gemeinhin als modernes und effektives Medienunternehmen anerkannt. Auch wenn diese Unternehmen nur Leucht­türme der Medienlandschaft darstellen, stehen sie doch für die Zukunft – unabhängig von internatio­nalen Geldgebern. Nach Angaben von Emmanuel de Dinechin, Geschäftsführer von Altai Communication, betrug das geschätzte Gesamt-Werbeaufkommen in Afghanistan im Jahre 2006 knappe 17 Millionen Dollar. Von dieser Gesamtsumme flossen nur neun Prozent als Werbebeiträge in die Print­medien, 29 Prozent in den TV-Bereich und 25 Prozent in die Radio-Landschaft. Nach de Dinechin werden derzeit 80 Prozent des Medienmarktes über internationale Unterstützung gefördert, was dazu geführt hat, dass ein kundenorientiertes Marketing oder zielgruppenorientierter Journalismus noch nicht vorhanden ist und statt­dessen oftmals an den Zielgruppen vorbei Medien entstehen und gefördert werden.
Auch wenn die Erfolge im westlichen Maßstab vergleichsweise gering waren, konnte man bisher von einer fortschrittlichen Medienlandschaft in Afghanistan sprechen. Aber nach dem Rauswurf des RTA-Generalintendanten Najib Roshan, nach dem fundamentalistischen Vorschlag zum neuen Mediengesetz und nach der Zunahme der Gewalt gegen einheimische und ausländische Journalisten zeigt sich, dass die Medienordnung in Afgha­nistan am Scheideweg steht.
aajib Roshan war als Journalist aus Deutschland nach Afghanistan gekommen, um dort die Umwandlung von RTA zu einem Rundfunk nach westlichem ­öffentlich-rechtlichem Modell voranzutreiben. Gemeinsam mit BBC, der Deutschen Welle und mit Unterstützung der Europäischen Kommission wurden Kooperationen angeschoben, junge talentierte Journalisten eingestellt und der 2.000 Mann-Betrieb reformiert. Nach einer Kabinettsumbildung war plötzlich ein anderer Informationsminister für RTA zuständig, der in einer Nacht-und-Nebel-Aktion fast 80 Beschäftigten von RTA Hausverbot erteilte und Roshan veranlasste Ende letzten Jahres den Hut zu nehmen.
Derselbe Minister, Mohammed Khorram, betreibt momentan die Neufassung des Mediengesetzes und versucht damit RTA und die afghanische Nachrichtenagentur vollständig zu verstaatlichen und zudem über die neu zu schaffende Medienkommission Einfluss auf die privaten Medien zu bekommen. Der Entwurf sieht ferner vor, dass Journalisten den Islam nicht in Frage stellen dürfen. Auch dem zuständigen Ausschussvorsitzenden aus der „Meshrano Jirga“, dem afghanischen Unterhaus, war es bei der Vorstellung seiner Thesen auf der killid Medienkonferenz im Frühjahr wichtig, dass die Medien den Glauben promoten, die Regierung stützen und die Umweltbildung fördern.
Als Ende April noch bekannt wurde, dass der afghanische Journalist Ajmal Naqshbandi durch die Taliban ermordet wurde und sogar Recherchetelefonate von Journalisten aus Kabul in den südlichen Regionen abgehört werden, war klar, dass es schlecht um die Medienfreiheit bestellt ist. Doch in Afghanistan regt sich Widerstand. Einen Tag nach dem Eindringen bei Tolo TV versammelten sich 150 afghanische Journalisten und Intellektuelle vor dem Parlament, um die Absetzung des ­General-Staatsanwalts zu verlangen. Johid Mohseni von Tolo TV geht sogar noch weiter und fordert eine Ermittlungskommission, um weitere Beteiligte aus dem Staatsdienst zu suspendieren. Organisationen wie NAI – Supporting Open Media oder AINA schulen derzeit mehr als 2.000 Journalisten für ihren Beruf – die Nach­frage ist weiterhin groß. Und sowohl die afghanischen Medienunternehmen als auch die internationale Gemeinschaft sehen, dass die Zukunft der Medienlandschaft nicht in immer neuen Förderquellen liegt, sondern in einer Professionalisierung der Angebote und einem größer werdenden Werbemarkt.
Unklar ist, wie die afghanische Medienlandschaft in Zukunft aussehen wird, ob sie sich den fundamentalistischen Strömungen in der Regierung beugen muss oder weiterhin unabhängig berichten kann. Wird es gelingen das Mediensystem weiter auszubauen, damit alle Regionen erreicht werden? Klar ist, dass Journalisten in Afghanistan selber diese Zukunft gestalten wollen, wie nicht zuletzt die Medienkonferenz „media is development“ gezeigt hat. Mehr als 150 afghanische Verleger und Journalisten hatten sich zum ersten Mal zu dieser landesweiten Konferenz versammelt. Am Ende stand die Forderung nach einem Gesetz zur Sicherung von Informationsfreiheit, angelehnt an den „freedom of information act“ in den USA. Damit zeigten die Teilnehmer deutlich auf, wohin ihr Visionen gehen.

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