Investigatives Magazin bildet in Guatemala Nachwuchs aus
Plaza Pública heißt das erste investigative Online-Medium Guatemalas. In der 15-köpfigen Redaktion herrscht viel Fluktuation, denn das von der Universität Rafael Landívar 2011 gegründete Magazin ist auch eine Ausbildungsstätte. Hier haben viele Journalist_innen, die ähnliche Projekte aufgebaut haben, ihre ersten Erfahrungen gemacht. In dem mittelamerikanischen Land hat das für deutlich mehr Vielfalt im Mediensektor und auch für mehr Qualität in der Berichterstattung gesorgt. Doch die Angriffe auf die kritischen Berichterstatter_innen häufen sich.
Im Flur gegenüber vom Schreibtisch der Sekretärin, die gerade die Abrechnung einer Recherchereise kontrolliert, hängt das Bild einer Nationalfahnen schwenkenden Menschenmenge auf dem Platz der Verfassung. „Das war ein Fest der Demokratie. So eine Demonstration gegen einen Präsidenten hatte es in Guatemala noch nicht gegeben“, meint César León, einer der Koordinatoren bei Plaza Pública. Die Proteste führten im September 2015 zum Rücktritt von Otto Pérez Molina, dem damaligen Präsidenten. Pérez Molina sitzt heute wegen massiver Korruption im Gefängnis. „Dabei spielten die Medien eine wichtige Rolle, denn sie sorgten für Hintergrundinformationen, schilderten die Tragweite der von den Ermittlern der UN-Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) vorgelegten Beweise, die in der Bevölkerung auf Empörung stießen“, so León.
Ergänzen statt konkurrieren
Mehr als ein halbes Dutzend Online-Medien, die sich auf solide Recherche, kritische Berichterstattung und ihre Unabhängigkeit berufen, gibt es inzwischen in Guatemala. Die beiden wichtigsten mit je rund 150.000 Lesern pro Monat heißen Plaza Pública und Nómada. Deren Geschichte ist eng miteinander verbunden, denn der Gründer und Vorsitzende von Nómada, Martín Rodríguez Pellecer, hat von 2011–2014 die Redaktion von Plaza Pública geleitet, bevor er begann, Nómada aufzubauen. „Nómada hat ein etwas jüngeres Publikum im Blick, die 20 bis 30-jährigen. Unsere Leser finden sich hingegen in der Altersgruppe der 25- bis 44-jährigen. Natürlich gibt es auch Überschneidungen“, so León.
Er sieht die beiden Online-Medien weniger als Konkurrenten, sondern als zwei Medien, die sich ergänzen und die dazu beitragen, dass der Journalismus in Guatemala besser und informativer wird. „Fernsehen und auch Radio sind an Sensationen orientiert, die Presse des Landes hat in den letzten Jahren an Auflage verloren. Die Redaktionen wurden verkleinert und haben mit sinkenden Anzeigenaufkommen zu tun – teilweise aus politischen Gründen“, meint León. So wird die größte Tageszeitung des Landes Prensa Libre von einigen konservativen Unternehmerfamilien boykottiert, weil sie über Korruption in der Regierung und deren Verbindungen in die wichtigsten Unternehmerfamilien berichtet.
Deutlich unabhängiger sind da die Online-Portale, weil sie sich nur zu einem kleinen Teil ihrer Einnahmen durch Anzeigen und Werbung generieren. „Bei Plaza Pública trägt die Universität 70 Prozent des Etats, der Rest kommt über Projekte mit Gebern wie der Ford Stiftung, der Heinrich-Böll-Stiftung oder der Open Society Stiftung sowie durch Spenden zusammen“, erklärt León. Bei Nómada war es hingegen ein großer Kredit sowie zahlreiche private Spender, die für die Anschubfinanzierung des Portals gesorgt haben. Der laufende Betrieb wird hingegen von Spenden und über spezifische Projekte, aber auch über die Durchführung von Veranstaltungen gedeckt. CEO und Redaktionsleiter Martín Rodríguez Pellecer hat das Modell für andere Online-Medien publik gemacht. Daran orientieren sich auch neue Portale wie No Ficción oder die noch nicht online gegangene Agencia Ocote von Alejandra Gutiérrez Valdizán. Die Journalistin hat mehrere Jahre die 15-köpfige Redaktion von Plaza Pública gemeinsam mit Enrique Naveda geleitet, bis sie vor einem Jahr den Entschluss fasste ein eigenes Portal auf die Beine zu stellen. Auch bei No Ficción sind mehrere Journalist_innen mit von der Partie, die bei Plaza Pública in die Schule gingen.
Attacken auf kritische Berichterstatter
Das ist, so César León, Teil des Konzepts: „Journalistische Ausbildung ist bei uns einer von drei Eckpfeilern: wir wollen informieren, für Diskussion in der Gesellschaft sorgen und ausbilden“. Dafür werden Veranstaltungen organisiert, Debatten angeschoben. Dabei arbeitet Plaza Pública eng mit anderen Organisationen und Institutionen, internationalen wie nationalen, zusammen. Doch die Freiräume sind in den letzten drei Jahren unter der Regierung von Präsident Jimmy Morales kleiner geworden. „Heute ist die Polarisierung quasi greifbar geworden. Investigativer Journalismus ist zudem in der Regierung nicht gerade erwünscht. Angriffe auf unabhängige Medien wie Plaza Pública, Kampagnen, um Medien zu diskreditieren oder einzelne Journalisten zu diffamieren, gibt es vor allem in den sozialen Netzwerken zuhauf“.
Die sind zwar oft haltlos, machen die Recherche aber nicht einfacher, so die unabhängige Journalistin Maríajosé España. Sie arbeitet für Nómada, verdient rund einhundert Euro pro Artikel und beschäftigt sich mit der Korruption innerhalb des politischen Systems. Ein brisantes Thema. Dabei sind die Journalist_innen auf verlässliche Quellen angewiesen und die liefern bis dato meist die Ermittler der UN-Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG). Die Kommission und deren Vorsitzender Iván Velásquez, ein Kolumbianer, werden von der Regierung derzeit offen angefeindet. Das Mandat wurde gekündigt, so dass die CICIG im September 2019 ihre Arbeit einstellen muss. Zudem wird derzeit die Arbeit der UN-Ermittler mit allerlei Schikanen erschwert. Das werde sich künftig auch auf die investigative Arbeit der Redaktionen auswirken, befürchtet César León. „Wir sehen uns einem politischen Roll-Back gegenüber, der mit der Einschränkung gesellschaftlicher Freiräume einhergeht mit Folgen für den unabhängigen Journalismus“.
Bisher haben sich die Redaktionen in dem schwierigen Umfeld behauptet. Ein wichtiger Faktor dabei ist die Ausbildung des Nachwuchses. Bei Plaza Pública sind gerade ein knappes Dutzend junger Journalist_innen aus den Regionen des Landes angekommen. Sie sollen in den nächsten elf Monaten lernen, wie dort gearbeitet wird und sich inspirieren lassen, wie kritische Berichterstattung auch abseits der Hauptstadt möglich sein könnte. Ein Projekt, das in die Zukunft weist. Genau dafür ist Plaza Pública vor rund sieben Jahren gegründet worden: als Wiege eines neuen unabhängigen kritischen Journalismus in Guatemala.