In Afghanistans Medien ist der Islam ein Tabu
Gut sieben Jahre nach dem Amtsantritt des afghanischen Präsidenten Hamid Karzai zieht die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) eine beunruhigende Bilanz: Die Pressefreiheit wird zunehmend weniger geachtet, und vor allem bei religiösen Fragen werden politische Urteile gefällt.
Im Oktober 2007 machte Sayed Perwiz Kambachsch etwas nahezu Alltägliches: Der Journalismus-Student lud einen Artikel aus dem Internet herunter. Der Text drehte sich allerdings um die Rolle der Frau im Islam – und damit begann für Kambachsch eine unvorstellbare Welle der Strafverfolgung. „Wenn man sich die Verfassung ansieht, stellt man fest, dass ich kein Verbrechen begangen habe. Aber kein Gericht hat jemals meine Schuld überprüft. Ich bin lediglich verurteilt worden, weil bestimmte Leute Druck ausgeübt haben“, sagte Kambachsch im Januar 2009 einer Delegation von ROG, die ihn in Kabul im Gefängnis besuchte.
Im Januar 2008 musste sich der 23-Jährige in Mazar-i-Sharif erstmals wegen angeblicher Blasphemie vor Gericht verantworten. Das Recht auf Verteidigung wurde ihm verweigert. Er wurde zum Tode verurteilt. Weil es keinen Straftatbestand für das „Vergehen“ Kambachschs gibt, wurde mit Artikel 130 der afghanischen Verfassung die islamische Rechtsprechung als Hilfsmittel zum Gesetzbuch hinzugezogen, um so einen Weg für eine Verurteilung zu finden.
International erfolgte ein Aufschrei. Proteste und Petitionen begleiteten das erneut unfaire Berufungsverfahren, das schließlich mit einer 20-jährigen Haftstrafe für Kambachsch endete. Im Februar 2009 wurde dieses Urteil ohne weitere Anhörung bestätigt. Der Vorsitzende Richter Abdul Salam Quazizadeh, ein Mullah, kein Jurist, behauptete in einem französischen Radiosender wahrheitswidrig, dass Kambachsch den kritisierten Artikel – er stammt aus der Feder eines Exiliraners – selbst geschrieben habe. „Wer den Koran angreift, muss bestraft werden“, begründete er das Urteil.
Für ROG ist das Beispiel Kambachsch symptomatisch für die Entwicklung der Pressefreiheit in Afghanistan. Die Organisation würdigt ausdrücklich den Fortschritt in dem westasiatischen Land: Dort sei unter Karzai eine Medienvielfalt mit mehreren hundert Redaktionen entstanden. Aber zuletzt hätten die Übergriffe gegen Journalisten zugenommen. Beispielsweise wurde die Tageszeitung Payman auf Druck konservativer Kräfte geschlossen. „In Afghanistan gibt es zwar das Recht auf freie Rede. Aber die Behörden übernehmen nicht die Verantwortung für dessen Durchsetzung“, kritisiert ROG. Zudem sei das Thema Islam ein Tabu. Wer sich dazu äußere, riskiere immer ein Verfahren wegen Blasphemie.
Zwar stehen hinter den meisten Angriffen auf Journalisten die Taliban, doch gibt es auch Behinderungen der Medien durch offizielle Stellen. Vor allem aber verteidige die Regierung die Pressefreiheit nicht genügend. Jedoch: „Ohne eine freie, unabhängige Presse wird es in Afghanistan keine Fortschritte hin zu einem stabilen und demokratischen System geben“, so ROG.