Nach einem Jahr Haft ist Deniz Yücel frei

Deniz Yücel (Archivbild) Foto: imago/Müller-Stauffenberg

Deniz Yücel kommt frei. Für die Dauer des weiteren Verfahrens soll er auf freiem Fuß bleiben. Der „Welt“ zufolge soll keine Ausreisesperre verhängt worden sein. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu hatte zuvor gemeldet, dass die Istanbuler Staatsanwaltschaft eine Anklageschrift vorgelegt habe, in der 18 Jahre Haft gefordert würden. Die Bundesregierung bestätigte die angekündigte Freilassung. Drei andere Journalisten wurden heute in der Türkei zu lebenslanger Haft verurteilt.

Mit Freude und Erleichterung hat ver.di auf die Nachricht über die Haftentlassung Yücels reagiert: „Eine unerträgliche Zeit als politische Geisel, die ohne Anklage weg gesperrt wird, geht nun endlich zu Ende. Die Entlassung von Yücel war überfällig und offenbar hat der politische Druck endlich gereicht, um seine Freilassung zu erzwingen“, stellte der stellvertretende ver.di-Vorsitzende Frank Werneke fest.

Bei aller Freude dürften jedoch auch die anderen Journalistinnen und Journalisten nicht in Vergessenheit geraten: „Deniz Yücel ist nur einer von mehr 100 Kolleginnen und Kollegen, die weiterhin gegen jede rechtstaatliche Logik in einem Land festgehalten werden, das demokratische Grundrechte wie die Pressefreiheit mit Füßen tritt. Für dieses Grundrecht und für die zu Unrecht Inhaftierten müssen und werden wir uns auch weiter stark machen und erwarten dies auch von den politisch Verantwortlichen“, kündigte Werneke an.

Deniz Yücel saß am 14. Februar genau ein Jahr in Haft, lange Zeit isoliert, mit nur wenigen Kontakten nach außen. Ihm werden „Terrorpropaganda“ und „Volksverhetzung“ vorgeworfen. Die Inhaftierung des deutsch-türkischen Korrespondenten der Welt hat die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei schwer belastet. Bundesweit war es zu vielen Protesten und Solidaritätsbekundungen mit Yücel und den anderen inhaftierten Medienschaffenden in der Türkei gekommen. Beim jüngsten Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim bei der deutschen Bundeskanzlerin am 15. Februar in Berlin, deutete dieser an, dass er es eine baldige Veränderung in Bezug auf die Haft Yücels geben könnte. Konkreteres sagte er nicht, außer einem Bekenntnis, die Beziehungen zu Deutschland verbessern zu wollen. Bundesaußenminister Siegmar Gabriel hatte sich vor allem in den letzten Tagen „intensiv bemüht, zu einer Lösung beizutragen“, heißt es aus dem Auswärtigem Amt. Auf Nachfrage der „Welt“ wurde bekräftigt, dass es dabei keinerlei „Deals“ mit der Türkei gegeben haben soll, etwa im Bereich von Rüstungsexporten.

Noch am heutigen Freitag (16.02.) werde ein Urteil im Prozess gegen den Kolumnisten Mehmet Altan, seinen Bruder Ahmet Altan und die bekannte Journalistin Nazli Ilicak erwartet, meldet Reporter ohne Grenzen. Ihnen wird eine Beteiligung am Putschversuch im Juli 2016 und Verbindungen zu „terroristischen Organisationen“ vorgeworfen.

Aktualisierung 17.00 Uhr

Journalisten zu lebenslanger Haft verurteilt

Ein türkisches Gericht hat heute sechs Menschen, darunter drei Journalisten, zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Richter hätten die Brüder Ahmet und Mehmet Altan sowie Nazlı Ilıcak des „Versuchs zum Umsturz der Verfassungsordnung“ schuldig befunden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Die Angeklagten hatten die Vorwürfe als absurd zurückgewiesen.

Reporter ohne Grenzen (ROG) ist entsetzt über das harte Urteil gegen den Kolumnisten Ahmet Altan, seinen Bruder Mehmet und die Journalistin Nazlı Ilıcak. Es ist der erste Schuldspruch gegen Journalisten, denen eine Beteiligung am Putschversuch im Juli 2016 vorgeworfen wird (http://t1p.de/ou29).

„Das Urteil gegen Ahmet Altan, Mehmet Altan und Nazlı Ilıcak ist ein verheerendes Signal für die weiteren Prozesse in den kommenden Wochen gegen Journalisten, die wegen gleicher Vorwürfe auf der Anklagebank sitzen“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Angesichts des harten Urteils ist es umso wichtiger, dass die Weltöffentlichkeit auch nach der Freilassung von Deniz Yücel in die Türkei schaut und sich für alle Journalisten einsetzt, die weiterhin der Willkürjustiz im Land ausgesetzt sind.“

Die drei Journalisten sitzen trotz ihres fortgeschrittenen Alters bereits seit über anderthalb Jahren in Untersuchungshaft. Auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 155 von 180 Staaten. Weitere Informationen über die Lage der Journalisten im Land unter www.reporter-ohne-grenzen.de/türkei.

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Öffentlichkeit ohne Journalismus

Schwindende Titel, schrumpfende Redaktionen, immer geringere Abonnentenzahlen – dass gerade der Lokaljournalismus vielerorts unter Druck steht, ist nicht neu. Doch was bedeutet das für die lokale Öffentlichkeit, die inzwischen von vielen selbstbewussten Medien-Akteuren mitgestaltet wird? Eine aktuelle Studie der Otto-Brenner-Stiftung beschäftigt sich mit genau dieser Frage.
mehr »

Drei Fragen: Zur Deutschen Welle

Bei der Deutschen Welle (DW) arbeiten rund 1.800 festangestellte und 2.000 freie Mitarbeiter*innen in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern. Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) hat die Belegschaft der DW in Bonn und Berlin am 13.11. zu einem ganztägigen Streik aufgerufen. Denn nach sechs Runden stocken die Verhandlungen. Wir sprachen vor Ort in Berlin mit der ver.di-Sekretärin Kathlen Eggerling.
mehr »

Filmtipp: Turmschatten

Hannu Salonens Verfilmung des Romans „Turmschatten“ ist ein famos fotografierter Hochspannungs-Thriller. Heiner Lauterbach spielt in der sechs-teiligen Serie den deutschen Juden und ehemaligen Mossad-Agenten Ephraim Zamir, der zwei Neonazis für den Tod seiner Adoptivtochter verantwortlich macht. Die Internetgemeinde soll über ihr Schicksal entscheiden. Er nennt sich „Vollstrecker“, weil er angeblich nur den Willen der Mehrheit ausführt, aber in Wirklichkeit ist Zamir Staatsanwalt, Richter und Henker in einer Person.
mehr »

Der SWR-Staatsvertrag wird erneuert

Die Landesregierungen von Baden-Württemberg und Rheinland-Platz wollen den Südwestrundfunk künftig (SWR) moderner aufstellen. Dazu legten sie Anfang November einen Entwurf zur Novellierung des SWR-Staatsvertrags vor. Zentrale Änderungen betreffen die Organisationsstrukturen sowie die Aufsichtsgremien des SWR. Rundfunkrat und Verwaltungsrat sollen bei der Mitgliederzahl jeweils um rund 30 Prozent verkleinert werden. Der SWR soll noch stärker auf Regionalität ausgerichtet werden.
mehr »