Nachrichtenwerte

Al Jazeera English seit einem Jahr auf Sendung

Im ersten Irakkrieg war CNN der Sender, der live für die Welt aus Bagdad berichtete. Heute gibt es eine Reihe von Konkurrenten für den Nachrichtenkanal aus Atlanta. Besonders Al Jazeera English bemüht sich um eine neue Perspektive. Im November feierte der Sender in Katar sein einjähriges Bestehen.


Langsam gleitet die Kamera durch das perfekt ausgeleuchtete Großraumstudio an den Moderator heran. Hinter ihm erstreckt sich eine 21 Meter lange Videoleinwand. Die Nachrichten kommen heute aus Pakistan, Myanmar, Dafur und natürlich aus dem Irak. Die neuen Erkenntnisse zum Tod von Lady Diana werden nicht erwähnt. Als Al Jazeera English am 15. November letzten Jahres auf Sendung ging, lautete das Versprechen „den globalen Nord-Süd Nachrichtenfluss umzudrehen.“ Nach einem Jahr lässt sich resümieren, dass der Sender dem gerecht zu werden scheint. Es werden deutlich mehr Nachrichten aus der Dritten Welt gezeigt als aus den Industrienationen. Während es in Europa neben der Sendezentrale in London nur noch ein weiteres Büro in Athen gibt, werden in Afrika gleich fünf Büros unterhalten. Eines davon liegt in Simbabwe, einem Land, das von internationalen Journalisten normalerweise gemieden wird.

Alternative zu CNN

Das neue Produkt der Al Jazeera-Senderreihe ist eine wahre Alternative zu CNN. Es wird alles gesendet – „egal ob Bush oder Bin Laden,“ wie Babara Serra, Europakorrespondentin des Senders, erklärt. Noch vor einigen Jahren war CNN International Monopolist auf dem Markt der globalen Nachrichtensender. Anfang der Neunziger kam die BBC mit BBC World hinzu. 2000 folgte das chinesische Staatsfernsehen mit CCTV 9, 2005 Russia Today, 2006 France 24. Darüber hinaus gibt es in Europa Euronews, im Nahen Osten, neben Al Jazeera Arabic, das ebenfalls arabischsprachige Al Arabiya und in Südamerika seit kurzem den spanischsprachigen Sender Telesur. Doch der Trend zur Demonopolisierung umfasst nicht nur den weltweiten TV Markt. Auch auf kleinerer Ebene gibt es immer mehr Sender. Spartenprogramme, Lokalsender und Internetkanäle schießen wie Gras aus dem Boden. Stellt sich die Frage nach der Qualität der Sendungen?

Maschinengewehrfeuer, eine Straßenschlacht, eine Reporterin, die während einer Live Schaltung plötzlich nach Deckung sucht, dazu dramatisierende Musik und übereinander gelagerte Nachrichtensprecher. Der Clip endet mit dem Bild eines palästinensischen Jungen, der einen Stein wirft und dann zu einem Standbild einfriert. Nicht nur die Trailer, auch das Programm von Al Jazeera English suggerieren einen permanenten Kriegszustand. Die Sendung Inside Iraq beschäftigt sich ausschließlich mit dem Geschehen im Irak. Sie läuft täglich. Für einen internationalen Sender ist es jedoch noch nicht verwerflich hauptsächlich über Krisen und Konflikte zu berichten. Wenn man für die ganze Welt produziert, hat eben jeder Konflikt einen Nachrichtenwert. Aber die Art, wie berichtet wird, scheint oft nicht angemessen. Al Jazeera English tendiert dazu, den Krieg, die Krise zu dramatisieren – ja, sogar zu ästhetisieren. Da läuft andächtige klassische Musik zu einem Clip, der an alle im Krieg gefallenen Journalisten erinnern soll, und im nächsten Moment aufregende Musik zu den neuesten Toten aus Bagdad. Es ist, als sehe man eine gelungene Mischung aus dem Musiksender MTV, den Tagesthemen und einem amerikanischen Kriegsfilm. Dennoch liefert der Kanal durchaus Qualitätsjournalismus. Dafür garantiert allein schon das Personal. Die meisten Al Jazeera Reporter kommen von der BBC oder CNN. Unter ihnen sind namhafte Größen wie Sir David Frost oder Raz Khan.

Um Ausgewogenheit bemüht

Je nach Primetime berichtet Al Jazeera English aus einer von vier über die Welt verteilten Sendezentralen. Und um redaktionelle Unabhängigkeit müssen sich die Mitarbeiter auch keine Sorgen machen. Denn der Sender wird maßgeblich vom Emir des kleinen Landes Katar finanziert, der schon beim arabischsprachigen Al Jazeera bewiesen hat, dass er es versteht, seinen Einfluss auf ein Minimum zu beschränken. Politische Ausgewogenheit im Nahostkonflikt wird durch zahlreiche jüdische Mitarbeiter ermöglicht, wie etwa Dave Marash, den Washington Korrespondenten des Senders. Frauenrechte werden durch die Sendung Every Woman unterstützt. Und Selbstmordattentäter heißen „suicide bomber“ und nicht etwa „matyrs“, wie beim arabischsprachigen Schwesterkanal übrigens auch seit einigen Jahren schon. Sollte der Zuschauer trotzdem zögern, bleiben ihm neben BBC und CNN im Ausland ja immer noch Euro News, France 24 und die Deutsche Welle.

Al Jazeera TV im Internet

http://english.aljazeera.net/

English
(Button: Watch now)

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

Trump: Angriff auf kritische Medien

Donald Trump hat schon im Wahlkampf angekündigt, US-Medien, von denen er sich kritisiert und angegriffen sieht, auszuschalten, sollte er gewählt werden. Von welchen Möglichkeiten er dabei unter anderem Gebrauch machen kann, hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in einem Beitrag aufgeführt. Es zeigt sich: Trumps Drohungen sind alles andere als unrealistisch. Und sein Vorbild für diese sitzt in Europa.
mehr »

Fakten for Future

Menschen jeden Alters machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Carla Reemtsma ist Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“) in Deutschland. Als Sprecherin vertritt sie die Bewegung auch in der medialen Öffentlichkeit. Wir sprachen mit ihr über Kommunikationsstrategien, Aktivismus und guten Journalismus.
mehr »