Neue EU-Richtlinie sichert Urheberrechte

Gegen massiven Druck der Multimedia-Industrie

Wenn in Deutschland gegenwärtig von Europa die Rede ist, geht es fast ausschließlich um den Euro. Selbst renommierte Medien – obwohl direkt betroffen – nahmen kaum Notiz von einem Brüsseler Beschluß, bei dem es ebenfalls ums große Geld geht. Dabei hatten großindustrielle Interessengruppen bis zur letzten Minute versucht, den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Copyright-Direktive wieder in der Versenkung verschwinden zu lassen.

Dieses Dokument mit dem langatmigen Titel „Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft“ ist brisant für jene, die lauthals „Freie Fahrt auf der Datenautobahn!“ rufen und dabei den Profit ihrer Mautstationen meinen. Und fast wäre die massive Intervention von Telekom-Konzernen, Internet-Providern, Soft- und Hardwareproduzenten sowie der Phono-Industrie erfolgreich gewesen.

Doch als durchsickerte, daß Martin Bangemann und andere Kommissare den Richtlinienentwurf der Generaldirektion XV wieder von der Tagesordnung der EU-Kommission absetzen wollten, verstärkten auch die europäischen Journalisten-, Schriftsteller- und Künstlerverbände und -gewerkschaften in Brüssel und ihren Heimatländern das „Lobbying“. Eine Woche später als geplant, wurde der Entwurf dann doch am 10. Dezember 1997 auf den Weg gebracht. Er wird derzeit in den Mitgliedsländern diskutiert und muß abschließend vom Europäischen Parlament und Rat beschlossen werden.

Allianz gegen Urheberschutz

Neu ist der massive Druck der Multimediaindustrie in Urheberrechtsfragen nicht. Bereits im Vorfeld der Genfer Konferenz der UN-Organisation für geistiges Eigentum (World Intellectual Property Organisation – WIPO) im Dezember 1996 hatte sich eine „Ad hoc Alliance for a digital Future“ zusammengefunden, bestehend aus einer langen Liste US-amerikanischer und europäischer Telekom-Gesellschaften, Netzbetreibern, Access-Providern, Hard- und Softwareherstellern sowie – seltsamerweise auch – dem Deutschen Bibliotheks-Verband.

Selbstformuliertes Ziel der Allianz ist es, bei den „internationalen Diskussionen und Verhandlungen über die rechtlichen Rahmenbedingungen einer digitalen Welt die Interessen der Mitglieder zu wahren, um ausgewogene und faire Bedingungen zu erreichen“. Das öffentlich nicht formulierte Ziel des Zusammenschlusses: möglichst wenig rechtliche Verantwortung der Betreiber für Internet-Inhalte, Schutz der Multimedia-Industrie vor Raubkopien ja, aber Schutz für die eigentlichen Urheber nur auf niedrigstem Niveau wie im US-Copyright.

Doch schon in Genf war die hochkarätige Allianz nur in einigen Punkten erfolgreich. So kam der geplante Vertrag zum Schutz von Datenbanken – sie sind in der EU durch die Datenbank-Richtlinie (96/9/EG) seit 1996 geschützt – nicht zur Abstimmung und die Rechte der audiovisuellen Künstler fanden auf Druck der US-Delegation keine Berücksichtigung. Die 159 WIPO-Mitgliedsländer einigten sich aber nach dreiwöchigem Verhandlungsmarathon auf zwei wichtige Verträge. Der WIPO-Urheberrechtsvertrag (WCT) und der WIPO-Vertrag über Darbietungen und Tonträger (WPPT) weiten den Schutz der Urheberrechte von Autoren und Schöpfern künstlerischer Werke bzw. der Rechte von aus-übenden Künstlern und Tonträgerherstellern auf digitale Übermittlungsmedien – beispielsweise das Internet – aus. Gesichert wird das exklusive Recht der Urheber, zu bestimmen, ob und wie ihre Werke veröffentlicht werden und in welcher Form Kopien verbreitet und übermittelt werden, sofern in den Unterzeichnerstaaten nicht andere Regelungen gelten (wie im US-Copyright). Dieser Schutz gilt auch für Computerprogramme, Film- und Phonowerke.

WIPO-Verträge umsetzen

Mit der neuen EU-Urheberrecht-Richtline sollen die Verpflichtungen aus den WIPO-Verträgen umgesetzt und das existierende rechtliche Regelwerk besonders in Hinsicht auf Multimedia-Angebote, die auf geistigem Eigentum beruhen, angepaßt und ergänzt werden. Einbezogen sind sowohl Online-Dienste als auch Offline-Datenträger wie CD-ROM. Für den Bereich der EU sollen damit die Regelungen für die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe von geschützten Werken harmonisiert werden. Unter dem Begriff öffentliche Wiedergabe sind dabei auch Abrufmedien (on demand) erfaßt. Außerdem ist ein rechtlicher Schutz von Anti-Kopier-Systemen und das Verbot der Entfernung oder Veränderung von elektronischen Urhebernachweisen vorgesehen.

Der von dem für den Binnenmarkt zuständigen EU-Kommissar Mario Monti vorgelegte Richtlinienentwurf geht in einigen Punkten noch über die WIPO-Verträge hinaus. So steht das ausschließliche Recht, die Vervielfältigung, öffentliche Wiedergabe oder Zugänglichmachung zu erlauben oder zu verbieten, nicht nur Urhebern in bezug auf ihre Werke, ausübenden Künstlern in bezug auf die Aufzeichnung ihrer Darbietungen und Tonträgerherstellern für ihre Tonträger zu, sondern dieses Recht ist auf Filmhersteller und Sendeunternehmen erweitert.

Erstmals werden die auch nach dem deutschen Urheberrechtsgesetz zulässigen Ausnahmen vom ausschließlichen Vervielfältigungsrecht durch die Richtlinie für die EU definiert und beschränkt. So ist auch künftig für den privaten, nicht gewerbsmäßigen Gebrauch die Kopie eines Artikels, das Überspielen einer CD oder die Video-Aufzeichnung eines Films erlaubt, wie auch Ausnahmen beispielsweise für Unterrichtszwecke, die wissenschaftliche Forschung oder Zitate vorgesehen sind. Keine Vervielfältigung im Sinne der Richtlinie ist die als Teil eines technischen Verfahrens vorgenommene Zwischenspeicherung, etwa beim Besuch von Web-Seiten im Cache eines PCs.

Keine Vergütungsregelung für private Nutzung

Zwar ist im Richtlinienentwurf ausgeführt, daß solche Ausnahmen nicht so ausgelegt werden dürfen, „daß die berechtigten Interessen der Urheber unzumutbar verletzt werden oder die normale Verwertung ihrer Werke oder sonstiger Schutzgegenstände beeinträchtigt wird“, doch es fehlt eine Vergütungsregelung. In Deutschland und einer Reihe anderer europäischer Länder erhalten Urheber über Verwertungsgesellschaften Gelder für diese Nutzung ihrer Werke, indem Abgaben auf Kopiergeräte, Scanner, Faxgeräte und Leerkassetten erhoben werden und Bibliotheken, wissenschaftliche Einrichtungen und Schulen Pauschalen zahlen.

„Multimedia ist ein Wachstumsmarkt, in dem kräftig verdient wird. Am Boom haben die Urheber mit ihren Werken einen großen Anteil, oft ungefragt und unfreiwillig. An den Riesengewinnen aber sind sie nicht beteiligt“, sagt Wolfgang Mayer, IG-Medien-Vertreter in der Internationalen Journalisten-Föderation (IJF). „Niemand will den privaten Nutzen urheberrechtlich geschützter Werke etwa im Internet einschränken, doch müssen Urheber einen finanziellen Ertrag dafür erhalten. Deshalb sind neue Urheberabgaben auf alle digitalen Reproduktions- und Speichermedien sinnvoll und notwendig.“ Als Mitglied der Authors’ Right Expert Group (AREG) der Europäischen Journalisten-Föderation (EFJ), die eine europaweite Urheberrechtskampagne organisiert hat, hält Mayer solche Abgaben auf Datenträger wie Leerdisketten, CD-Rohlinge, aber auch Festplatten, Geräteabgaben auf PCs, ISDN-Karten und Modems sowie Betreiberabgaben für Internet-Provider und Online-Dienste für wünschenswert.

Daß der Richtlinienvorschlag auf die Harmonisierung der Vergütungsregelungen verzichtet, wird selbst im Bundesjustizministerium kritisch gesehen. Nicht, weil es um Rechte der Urheber geht, sondern weil „im Zusammenhang damit, daß unterschiedliche oder gar keine Vergütungsregelungen bestehen, von der dadurch betroffenen Wirtschaft Wettbewerbsnachteile beklagt“ werden.

„Gewaltiger Schritt vorwärts“

Trotz der fehlenden Vergütungsregelung sehen die europäischen Vereinigungen der Journalisten-, Schriftsteller- und Künstlerverbände in der neuen Richtlinie einen großen Fortschritt bei der rechtlichen Sicherung der Urheberrechte in den „neuen Medien“. Die Regelungen bringen für deutsche Urheber im Inland kaum Änderungen (mit Ausnahme des Schutzes elektronischer Urhebernachweise). Wenn die Richtlinie aber in allen EU-Ländern in nationales Recht umgesetzt wird, verbessert sich nicht nur die Situation für Urheber in einer Reihe von Ländern, sondern durch die Harmonisierung der Schutz der Urheberrechte insgesamt. „Daß der Richtlinienentwurf trotz Druck und Einschüchterung durch die Industrie herausgegeben wurde, ist ein gewaltiger Schritt vorwärts“, sagt Renate Schroeder, European Officer der IJF. „Jetzt müssen wir sicherstellen, daß es keine Versuche gibt, den Entwurf zu verwässern.“

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Italien plant harte Strafen für Journalisten

Italien plant eine Reform seines Verleumdungsgesetzes. Das Vorhaben wird derzeit vom Justizausschuss des italienischen Senats geprüft und sieht neben höheren Geldstrafen auch ein gefährliches Verbot journalistischer Berufsausübung vor. Verurteilte Reporter*innen könnten ein Arbeitsverbot von bis zu sechs Monaten erhalten. Auch Haftstrafen für Medienschaffende, die eigentlich nicht im Gesetz auftauchen sollten, werden in einem jüngsten Änderungsantrag wieder hinzugefügt.
mehr »

Top Tarifergebnis im Kino

In den Tarifverhandlungen mit der Kino-Kette UCI (United Cinemas International GmbH) wurde am 19. Februar 2024 ein Tarifergebnis erzielt, das an vielen Stellen die ver.di-Forderungen erreicht, so auch den Einstiegslohn von 14 Euro. In der anschließenden Befragung der Mitglieder bis zum 4. März gab es keinerlei Ablehnung. Somit beschloss auch die ver.di-Tarifkommission einstimmig die Annahme des Tarifergebnisses.
mehr »

Einschüchterungsversuche der Hohenzollern

Eine Studie der Universität Leipzig hat am Beispiel der deutschen Adelsfamilie Hohenzollern untersucht, wie kritische Berichterstattung und Forschung durch gezielte Anwaltsstrategien beeinflusst oder behindert werden sollen. Die Kommunikationswissenschaftler*innen haben dabei die Wirkung von SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation) aus Sicht der Betroffenen nachvollzogen. Verunsicherung und Einschränkung der Arbeitsfähigkeit sind direkte Folgen bei ihnen.
mehr »

Honoraruntergrenzen bei der Kulturförderung

Claudia Roth will ein Versprechen einlösen und Mindeststandards für Honorare von Freien bei der Kulturförderung des Bundes sichern. Laut Ampel-Koalitionsvertrag von 2021 sollten öffentliche Gelder für die Kultur an faire Vergütung gekoppelt sein. Nun, so die Kulturstaatsministerin, werden „für den Kernbereich der Bundeskulturförderung“ Mindesthonorare für Künstler*innen und Kreative eingeführt.
mehr »