Nach dem Frühling: Arabische Journalistinnen berichten in Bonn
Um aus erster Hand zu erfahren, wie Frauen in Ägypten und Tunesien im fünften Jahr nach dem arabischen Frühling in und außerhalb der Medien agieren können, hatte der Journalistinnenbund je zwei Kolleginnen aus den beiden Ländern eingeladen. Anlass dafür bot die Jahrestagung des Journalistinnenbundes Mitte Juni in Bonn, die in Kooperation mit Deutscher Welle und UN Women Nationales Komitee Deutschland stattfand.
Es ist mucksmäuschenstill im Gremiensaal der Deutschen Welle in Bonn. Auf der Leinwand werden Fotos aus der Serie „Stories of Change” der ägyptischen Fotografin Eman Helal gezeigt. Es sind Momentaufnahmen aus der Zeit nach dem arabischen Frühling 2011: protestierende Menschenmassen und spielende Kinder, Soldaten mit Gewehr im Anschlag, kämpferische Frauen, fröhliche Mädchen oder sprachlose Menschen, in ihrer Blutlache liegende Tote und Porträts von Menschen, die durch gezielte polizeiliche Gummigeschossattacken erblindet waren. Diese Fotos zeigen das Kaleidoskop einer Neuordnung: Befreiendes und Bedrohliches, Wut und Empörung, Überlebenskampf und Siegeswille. Abbild eines realen Alltags in Ägypten, sie zeigen, was nach dem hoffnungsvollen Frühling kam. Es brauchte einen Moment des Innehaltens – so erschütternd, intensiv sind diese Aufnahmen.
Eman Helal und Shahira Amin repräsentierten die ägyptische Sicht, Khawla Chabbeh und Nessrine Romdhani die tunesische. Sie eint die Berufung als leidenschaftliche Journalistinnen genauso wie das Interesse, insbesondere über Frauen in ihren Gesellschaften zu berichten, deren Alltag und Lebensrealität abzubilden. Die Diskussion fokussierte sich auf zwei Aspekte: die aktuelle Arbeitssituation arabischer Kolleginnen sowie der Stand der Meinungsfreiheit und der Demokratisierung aus Frauensicht.
„Erst seit der Revolution kann man in Tunesien wirklich journalistisch arbeiten”, sagt die Hörfunkjournalistin Khawla Chabbeh. Viel sei im Land für Journalistinnen beruflich möglich geworden, neue spannende Berichtsfelder, z.B. der Blick in den zuvor eher unbeachteten ländlichen Raum. Und – so das Novum der Berichterstattung – als Frauen sei es ihnen möglich, „in die Häuser zu kommen”, Zugang zu Frauen und deren Problemen zu erhalten, der ihren männlichen Kollegen versperrt bliebe. Stolz berichteten Chabbeh und Romdhani vom gesellschaftlichen Druck in der Übergangsphase von der Revolution zur neuen Verfassung, um die von Frauen errungenen Freiheiten in tunesischen Gesetzen zu verankern.
Mehr als die Hälfte der Journalisten seien weiblich. Sie arbeiteten höchst professionell und deckten auch gesellschaftlich brisante Themen auf, wie sexuelle Übergriffe auf Frauen. Dennoch gäbe es insbesondere für Journalistinnen große Akzeptanzprobleme. „Aggressionen gegen Journalistinnen gibt es von Männern und Frauen, von Polizisten, aber auch normalen Bürgern.” Eine konservative, männlich geprägte Gesellschaft verhalte sich respektlos gegenüber starken Frauen. Chabbeh sagt: „Die Gesetzgebung hat zwar einiges für Frauen erreicht, aber es hakt an der Umsetzung.”
Die ägyptischen Kolleginnen beschreiben die Euphorie im Lande, dass Frauen in den Medien ihre Chance und Freiheit wahrnahmen und beherzt mit Kamera und Mikro berichteten, welch großen Anteil Frauen an den Umbrüchen hatten. Dennoch beklagen sie viele subtile und offene Anfeindungen gegen sich und enorme Einschränkungen ihrer Pressefreiheit. Wer sich auch nur ansatzweise kritisch gegenüber Präsident Al Sisi äußert, gerät in Verdacht, Anhänger der verbotenen Muslimbrüder zu sein. Das kann langjährige Haftstrafen nach sich ziehen.
Ob es die Berichte über sexuelle Belästigungen sind, die Eman Helal veröffentlicht, oder die massive Einschränkung der Pressefreiheit, die Shahira Amin dazu bewogen hatte, einen staatlichen Fernsehsender zu verlassen – sobald sie als selbstbewusste Journalistinnen ihre Aufgabe ernst nähmen, stünden sie in der Kritik, würden alte gesellschaftliche Stereotype greifen. „Lehrerin oder Ärztin kann eine Frau in Ägypten sein, aber sobald sie Journalistin ist, gilt sie als unanständig”, sagt Shahira Amin. Auch sexuelle Übergriffe kämen vor. „Man lebt in ständiger Panik.”
Und dennoch geben sich die Journalistinnen selbstbewusst und kämpferisch. „Frauen in der arabischen Welt sind durch die Revolution stärker geworden”, sagt Amin. „Aber wir müssen hart kämpfen, dass wir uns als Journalistinnen frei bewegen und berichten können.”
Das zeigt auch der Fall der Sendung „Frauen am Wendepunkt”, die von der Deutschen Welle Arabia produziert wird, und in der Helal als Gast sehr offen über Defizite in der ägyptischen Gesellschaft gesprochen hatte. Sie wurde danach abgesetzt und wird nicht mehr ausgestrahlt.
Die Kolleginnen wünschen sich professionellen Austausch und feministischen Rückhalt weltweit. „Gleichberechtigung in journalistischen Berufen ist wichtig”, sagt Shahira Amin. „Uns würde ein globales Journalistinnen-Netzwerk sehr helfen.” Der erste Schritt ist getan. Dank des Austauschs mit dem Journalistinnenbund seien nach dessen Vorbild zwei Mentoring-Programme für Journalistinnen in Ägypten gestartet worden.