Neue Pressefreiheit in Äthiopien

Journalist Eskinder Nega gibt seit 2018 die Wochenzeitung „Ethiopis" heraus
Foto: Rudolf Stumberger

Die Situation der Presse und allgemein der Menschenrechte in Äthiopien hat sich seit dem Amtsantritt von Ministerpräsident Abiy Ahmed im April 2018 deutlich verbessert. Journalist*innen und andere Oppositionelle wurden freigelassen und die Blockade von Webseiten aufgehoben. So lautet das aktuelle Fazit der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba. Gleichzeitig warnen bekannte Journalisten wie der jahrelang inhaftierte Eskinder Nega vor einer ethnozentrischen Entwicklung und nicht-staatlichen Repressalien.

In einem Arbeitspapier skizziert die Stiftung die Entwicklung der Pressefreiheit in Äthiopien. Ausgangspunkt ist dabei die große politische Wende 1991. Das bis dahin regierende DERG-Regime, hervorgegangen aus dem Militärputsch von 1974 gegen Kaiser Haile Selassie, wurde nach jahrelangem Bürgerkrieg gewaltsam durch die vereinten Oppositionsbewegungen – die Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker – vertrieben. Die neue Koalitionsregierung installierte einen verfassungsmäßigen Rahmen, in dem sowohl die Menschenrechte als auch die Pressefreiheit garantiert wurden. So finden sich im Artikel 29 der Verfassung das Verbot jeder Zensur, das Recht der Bürger*innen auf Information und die Garantie der Unabhängigkeit privater Medien. Nach Jahren der Unterdrückung der Pressefreiheit schien die neue Regierung eine neue Epoche einzuleiten. So wurden zwischen 1992 und 1997 mehr als 200 Zeitungen und 87 Magazine registriert.

Allerdings verschlechterte sich die Beziehung zwischen Regierung und privater Presse rapide, und die Behörden überzogen Journalist*innen mit Strafverfahren. Freilich, so die Einschätzung der Friedrich-Ebert-Stiftung, agierten damals Mitarbeiter*innen der privaten Medien auch „unprofessionell, unverantwortlich und unethisch“. Der große Rückschlag für die Pressefreiheit kam nach den Wahlen von 2005: Fünfzehn Journalisten und mehr als einhundert Oppositionelle wurden verhaftet und wegen Hochverrats und Aufruhr angeklagt. Auf der Grundlage eines rigides Anti-Terror-Gesetzes wurde allein schon die Berichterstattung über die Opposition für kriminell erklärt. Im November 2005 veröffentlichte die Regierung eine schwarze Liste mit den Namen von Journalisten und Herausgebern, in der Folge wurden acht Zeitungen geschlossen und viele Medienleute verließen das Land. Den verbliebenen Journalist*innen blieb nur die Selbstzensur. Zu Jahresbeginn 2018 lag Äthiopien in Sachen Pressefreiheit auf Platz 150 (von 180 Ländern) im Ranking von „Reporter ohne Grenzen“.

Journalisten aus dem Gefängnis  entlassen

Die Wende kam mit den Wahlen vom April 2018, mit dem neuen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed gehörte zum ersten Mal ein Regierungschef der größten ethnischen Gruppe Omoro an. Er begann zügig, Reformen anzupacken. Dazu gehören sowohl eine Überarbeitung des Anti-Terror-Gesetzes als auch des Pressegesetzes. Als erste Maßnahmen wurden Journalisten und Oppositionelle aus den Gefängnissen entlassen, Exilanten konnten nach Äthiopien zurückkehren und die Blockade von 264 Webseiten wurde aufgehoben. In der Folge erlebte das Land eine Welle von Neugründungen, seit Mai 2018 wurden zwei Dutzend neue Zeitungen und Magazine aus der Taufe gehoben.

Eines der neuen Printmedien ist die 24-seitige Wochenzeitung „Ethiopis“. Herausgeber ist einer der bekanntesten Journalisten Äthiopiens: Eskinder Nega. Er wurde 2005 im Zuge der Unterdrückung der Opposition zusammen mit mehr als einhundert anderen Journalisten und Politikern verhaftet, auch seine Frau wurde festgenommen. Zwei Jahre später wurde er freigelassen, 2011 allerdings erneut verhaftet und 2012 zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt. Amnesty International erklärte ihn zum politischen Gefangenen und der amerikanische PEN sprach ihm eine Auszeichnung für mutigen Journalismus zu. Im Frühjahr 2018 wurde er aus der Haft entlassen.

Repression durch Teile der Omoro-Volksgruppe befürchtet

Eskinder produziert sein neues Wochenblatt in einem Bürogebäude nicht weit vom äthiopischen Parlament entfernt, neben der Zeitung betreiben er und seine zwei Mitarbeiter auch einen eigenen Fernsehkanal. Die Büroräume sind mit großen Vorhängeschlössern gesichert, denn fragt man den 49-jährigen Journalisten nach dem Stand der Pressefreiheit in seinem Land, so fällt die Antwort nicht so positiv aus. „Wir stehen vor der Gefahr eines aufkommenden Ethnozentrismus“, sagt er bei einem Interview in seinem fensterlosen Büro. Neben ihm liegt die neueste Ausgabe von „Ethiopis“. Die Schlagzeile auf der Titelseite verweist auf eine Geschichte im Blatt, die sich kritisch mit der Bevölkerungspolitik der neuen Regierung beschäftigt. Genau genommen mit einem der Hintermänner dieser Politik, der – so der Vorwurf von Eskinder – einen neuen Ethnozentrismus der Volksgruppe Oromo favorisiert. Die Oromo waren bisher – obwohl die größte Gruppe im Vielvölkerstaat Äthiopien – schon immer gegenüber den bisher führenden Amharen und Tigray im Nachteil. Jetzt fürchtet Eskinder eine neue, ethnisch motivierte Politik: „Sie wollen eine Neudefinition von Äthiopien“, zum Beispiel mit Plänen wie der Ansiedelung von einer halben Million Oromo in der Hauptstadt. „Das kann nicht Aufgabe der Regierung sein, dazu haben sie kein Mandat“, kritisiert er und spricht von einer neuen Qualität der Repression. Die Gefahr gehe nun nicht mehr von staatlichen Stellen aus, sondern von bestimmten Teilen der Oromo-Bevölkerung. „Wir sind persönlich bedroht worden“, sagt Eskinder und sieht den von Ministerpräsident Abyi Ahmed angestoßenen Transformationsprozess gefährdet.

 

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

Trump: Angriff auf kritische Medien

Donald Trump hat schon im Wahlkampf angekündigt, US-Medien, von denen er sich kritisiert und angegriffen sieht, auszuschalten, sollte er gewählt werden. Von welchen Möglichkeiten er dabei unter anderem Gebrauch machen kann, hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in einem Beitrag aufgeführt. Es zeigt sich: Trumps Drohungen sind alles andere als unrealistisch. Und sein Vorbild für diese sitzt in Europa.
mehr »

US-Wahlkampf: Absurd, aber sehr real

Der US-Wahlkampf kommt in die heiße Phase. Journalistin und Historikerin Annika Brockschmidt beobachtet seit mehr als einem Jahrzehnt das politische System der USA. In ihren neuen Buch beschreibt sie, wie historische Entwicklungen und Machtkämpfe die republikanische Partei geprägt und radikalisiert haben. Mit M spricht Brockschmidt über die Kommunikationsstrategien der extremen Rechten in den USA und die Wahlberichterstattung.
mehr »