Neues Mediengesetz in der Ukraine tritt in Kraft

President Volodymyr Selenski beantwortet Fragen in einer Pressekonferenz Foto: pa/ James Mcgill/SOPA Images via ZUMA Press Wire

Am 31. März tritt in der Ukraine ein Gesetz in Kraft, das die Tätigkeit der Medien neu reguliert. Das neue Mediengesetz, so das Portal des ukrainischen Parlamentes, werde mehrere „veraltete” Gesetze ersetzen, darunter die Gesetze zum Nationalen Rat der Ukraine für Fernsehen und Rundfunk, zu den Printmedien und den Nachrichtenagenturen, zu Verfahren der Berichterstattung über die Tätigkeit der staatlichen Behörden und lokalen Selbstverwaltungsorgane in der Ukraine durch die Massenmedien und zum Schutz der öffentlichen Moral. Kritiker*innen fürchten um die Unabhängigkeit der Medien.

Mit dem Ende Dezember von Präsident Selenski unterschriebenen und am 22. März in der Endfassung veröffentlichten Gesetz habe die Ukraine nun eine weitere Empfehlung für den EU-Kandidatenstatus, die Brüssel der Ukraine angetragen hatte, erfüllt, heißt es in Kreisen der Regierungspartei „Diener des Volkes“. „Wir können mit Zuversicht sagen, dass die Werchowna Rada der Ukraine ihren Teil getan und alle notwendigen Gesetze zur Umsetzung der Empfehlungen der Europäischen Kommission verabschiedet hat“, zitiert das staatliche Portal Suspilne.media Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk im Zusammenhang mit der Annahme des Mediengesetzes. Auf dem Kanal des Parlamentes wird das neue Gesetz als „weiterer Schritt auf dem Weg zur europäischen Integration“ bezeichnet.

Empfohlene Medienreform

Am 23. Juni 2022 hatte die Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhalten. In diesem Zusammenhang wurde von der EU-Kommission der Ukraine auch eine Medienreform empfohlen. Hintergrund dieser Empfehlung ist der Umstand, dass die ukrainische Medienlandschaft zu einem großen Teil in der Hand von Oligarchen ist.

In der „Ukrajinska Prawda“ begrüßen drei Vertreter*innen des „Reanimationspaketes der Reformen“, einer Koalition mehrerer Nichtregierungsorganisationen, das Gesetz, harmonisiere es doch die ukrainische Gesetzgebung mit der EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste. „Dieses Dokument stärkt insbesondere die Befugnisse der Medienaufsichtsbehörde – des Nationalen Rates für Fernsehen und Rundfunk“, so die Autor*innen.

Mehr Macht für die Politik

Genau diese Machtfülle, die das neue Mediengesetz dem Nationalen Fernseh- und Rundfunkrat und damit dem Präsidenten einräumt, fürchten indes seine Kritiker*innen. So kann der Präsident vier von acht Mitgliedern dieses Rates ernennen. Vier weitere Mitglieder bestimmt das Parlament. Und in diesem verfügt die Präsidentenpartei „Diener des Volkes“ über die Mehrheit.

Einer der schärfsten Gegner dieses Gesetzes ist die Nationale Journalistengewerkschaft. Auf seiner Facebook-Seite sieht deren Chef Sergiy Tomilenko in dem Gesetzentwurf „Instrumente von Zensur“ und eine Bedrohung der Informationsfreiheit. Nach Informationen der Journalistengewerkschaft kann dieser Rat gegen alle Medien Strafen verhängen, ohne dass hierfür ein Gerichtsbeschluss erforderlich wäre, für 14 Tage Online-Medien vom Netz nehmen; Internet-Provider auffordern, gewisse Ressourcen zu sperren; Printmedien die Lizenz entziehen; YouTube und Facebook auffordern, Inhalte zu löschen und von Google verlangen, Nutzern gewisse Ergebnisse ihrer Suche nicht anzuzeigen. Mit der Verabschiedung des Gesetzes, so Tomilenko, hätten die Abgeordneten hunderte von ukrainischen Journalist*innen aus Dutzenden Redaktionen, die Unterschriften gegen den Gesetzentwurf gesammelt hatten, gedemütigt.

Bereits nach der ersten Lesung des Gesetzes am 30. August hatte die in New York ansässige internationale Journalistenvereinigung Committee to Protect Journalists (CPJ) das ukrainische Parlament aufgefordert, von dem Gesetzentwurf Abstand zu nehmen. Das neue ukrainische Mediengesetz, so Gulnoza Said, beim CPJ für Asien und Europa zuständig, ermögliche der Regierung den Informationsraum zu kontrollieren und gefährde so die Pressefreiheit. „Und dies just zu einem Zeitpunkt, an dem die Bürger in besonderem Maße auf Informationen angewiesen sind“, so Gulnoza Said.

Gewerkschaft fordert mehr Unabhängigkeit

Ähnlich sieht dies auch Tetjana Kotjuschinska, Chefin der nationalen Assoziation der ukrainischen Medien, auf gordonua.com: „Die Hälfte des Gesetzentwurfs zielt auf Änderungen und Ergänzungen zur Regelung der journalistischen Arbeit ab. Woraus besteht diese Hälfte? Aus Verboten und Einschränkungen“, so Kotjuschinska, die in dem Gesetz keine Annäherung an europäische Standards erkennen kann. Schließlich debattierten in Europa Journalistengewerkschaften über einen „Media Freedom Act“, der Medieneigentümer einschränken und den Journalistenkollektiven mehr Rechte und Garantien für ihre redaktionelle Unabhängigkeit geben solle, so Kotjuschinska. „Die Ukraine muss ehrlich und offen zur europäischen Agenda zurückkehren und sich von asiatischen Träumen einer Zensur verabschieden.“

Gegenüber M kritisiert Jewgenij Sacharow, Direktor der Menschenrechtsgruppe Charkiw und schon zu Sowjetzeiten Dissident, das Gesetz. „Es gibt da einige Dinge in diesem Gesetz, die mir nicht gefallen“, so Sacharow. So beauftrage man darin, den Fernseh- und Radiorat, eine Strategie für den Informationsbereich zu erarbeiten. „Doch es ist nun mal das Wesen von Informationen, dass man sie nicht planen kann“, so Sacharow. „Wie kann man nur eine Strategie zu etwas erarbeiten, das man gar nicht im Voraus wissen kann?“ Ihm behage auch nicht, so Sacharow, dass das Gesetz von Medienleuten Objektivität erwarte. „Doch wer stellt fest, dass jemand einen Sachverhalt objektiv oder nicht objektiv widergegeben hat?“ Sollte in der Ukraine mal ein autoritäreres Regime an der Macht sein, so Sacharow, habe dieses mit diesem Gesetz ein Instrument in der Hand, mit dem es gegen oppositionelle Medien vorgehen könne. Langweilig werde die ukrainische Medienwelt werden, würden sich doch viele Journalist*innen nun zehn Mal überlegen, ob sie es wagen sollten, eine kritische Information zu veröffentlichen, ohne Schwierigkeiten zu bekommen.

Sorge um Medienaufsicht

Auch „Reporter ohne Grenzen“ (RSF) behagt die Machtfülle der Medienaufsichtsbehörde nicht. “Grundsätzlich begrüßt RSF die Annahme des neuen Mediengesetzes, welches die Befugnisse der nationalen Medienaufsichtsbehörde präzisiert und ausweitet”, erklärte ihr Pressereferent für Osteuropa und Zentralasien, Birger Schütz, gegenüber M. „Die Ukraine bekommt so ein modernes Regelwerk für die Arbeit von Presse, Rundfunk und Onlinemedien, welches seit rund zehn Jahren gefordert wurde. Jedoch sorgt sich RSF um die Unabhängigkeit der Medienaufsichtsbehörde: Gegenwärtig hängt deren personelle Zusammensetzung faktisch vollständig vom ukrainischen Präsidenten ab. Um die Unabhängigkeit des Gremiums zu stärken, sollte – nach einem Ende des Kriegsrechts – das Verfahren zur Ernennung der Mitglieder geändert werden. Diese sollten strengere fachliche Voraussetzungen erfüllen müssen, um für das Gremium ernannt zu werden”, so Schütz.

Stanislaw Kibalnyk, Redakteur der in Charkiw ansässigen assembly.org.ua, fürchtet eine Einschränkung der Medienfreiheit: „Es gibt sie noch bei uns, die unabhängigen Medien“, so Kibalnyk. „Aber niemand ist vor Repressionen gefeit.“ Allein die Furcht vor unangekündigten Besuchen von Behördenvertretern schränke viele Medienleute in ihrem Schaffen ein. „Ich fürchte, früher oder später wird man die Regierung nur noch vom Ausland aus kritisieren können – so wie wir es ja von Russland kennen“, so Kibalnyk.

Bereits 2021 hatten die ukrainischen Behörden mehrere Fernsehsender und Nachrichtenportale gesperrt, die als prorussisch angesehen werden. 2022 wurde Kanälen von Ex-Präsident Petro Poroschenko der Zugang zum ukrainischen Kabelfernsehen gekappt.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gemeinsame Standards für Medienfreiheit

In Brüssel wird der European Media Freedom Act (EMFA) bereits als "Beginn einer neuen Ära" zelebriert. Ziel der Verordnung ist es, die Unabhängigkeit und Vielfalt journalistischer Medien in der EU in vielfacher Hinsicht zu stärken. Doch wie er von den Mitgliedsstaaten  - vor allem dort, wo etwa die Pressefreiheit gefährdet ist wie Ungarn und der Slowakei - umgesetzt wird, zeigt sich erst im kommenden Sommer.
mehr »

Lokaljournalismus: Die Wüste droht

Noch sei es nicht so weit, aber von einer "Steppe" könne man durchaus schon sprechen, sagt Christian Wellbrock von der Hamburg Media School. Wellbrock ist Leiter von "Wüstenradar", einer Studie, die zum ersten Mal die bundesweite Verbreitung und zahlenmäßige Entwicklung von Lokalzeitungen in den letzten 30 Jahren unter die Lupe genommen hat. Sie erhebt, wie stark der Rückgang lokaler Medien inzwischen tatsächlich ist und warnt: In etlichen Regionen droht tatsächlich die Verbreitung von "Nachrichtenwüsten".
mehr »

Eine Stimme für afghanische Mädchen

Die iranische Filmemacherin Sarvnaz Alambeigi begleitet in ihrem Dokumentarfilm „Maydegol“ über viele Jahre eine junge Muay-Thai-Boxerin aus Afghanistan, die im Iran unter schwierigen Umständen für ein selbstbestimmtes Leben kämpft. Im Interview erzählt Alambeigi, welche Rolle das Kopftuch für den Film spielt, was sie von der jungen Generation gelernt hat und warum der Film endet, bevor Maydegol endlich gelingt, was sie sich wünscht.
mehr »

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »