Nicaraguas bedrohte Medien

Screenshot: 100noticias.com.ni/

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal „100% Noticias“ oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.

Auch am Wochenende macht Lucía Pineda nur selten Pause. Die Redaktionsleiterin von „100% Noticias“ ist für das Online-Portal quasi rund um die Uhr im Einsatz: „Es gibt immer etwas zu aktualisieren, etwas vorzubereiten und wir sind nur eine kleine Redaktion“, erklärt die 51-jährige. 19 Mitarbeiter*innen hat ihr Team, zwölf davon sind Journalistinnen. Ende 2018 waren es noch sechzig. Damals saß die Redaktion noch in der nicaraguanischen Hauptstadt Managua. Live berichtete Pineda am 21. Dezember 2018 darüber, wie Polizei und paramilitärische Gruppen die Redaktion in der Avenida Bolívar einnahmen. Heute nutzt der Regierungskanal „Canal 15 Nicaragüense“ die Räume und deren Ausstattung. In Nicaragua gibt es laut „Reporter ohne Grenzen“ inzwischen nahezu keine unabhängigen Medien und keine kritischen Redaktionen mehr. Das mittelamerikanische Land ist im Ranking der Pressefreiheit zuletzt von Platz 158 (2023) auf Platz 163 (2024) gerutscht.

Wer in Nicaragua journalistisch aktiv wird, geht ein hohes Risiko ein. Das zeigt auch der Fall Victor Ticay. Ticay hatte am 5. April 2023 eine religiöse Prozession gefilmt und das Video online gestellt. Einen Tag später wurde der ausgebildete Journalist von der Polizei festgenommen und im August 2023 zu einer achtjährigen Haftstrafe wegen Hochverrat und der Verbreitung von Fake News verurteilt. Im September 2024 kam er mit weiteren 135 politischen Gefangenen frei und wurde nach Guatemala abgeschoben. 507 Tage hatte Ticay bis dahin im Hochsicherheitsgefängnis El Modelo verbracht. Wie den anderen Gefangenen wurde ihm seine Staatsangehörigkeit entzogen.

Zwangsausbürgerung: Perfide Strategie

Eine Erfahrung, die auch Lucía Pineda 2023 machen musste. Im Februar wurden ihr und 93 weiteren Personen die nicaraguanische Staatsangehörigkeit entzogen, ihr Name wurde aus den öffentlichen Archiven getilgt, ihr persönlicher Besitz beschlagnahmt. „Das Haus, was ich zum Teil mit meinen eigenen Händen aufgebaut habe, für das meine Mutter mir das Grundstück überschrieben hat – es ist verloren“, sagt sie mit genervter Stimme. Für sie ist klar, dass sie dies nicht hinnehmen und für ihre Rechte kämpfen wird.

Direkt nach ihrer Freilassung aus der Haft begann sie, den Online-Auftritt von „100% Noticias“ zu reorganisieren – im Exil in Costa Rica. Hier lebt sie in San José, hat das Team um den Freund und Gründer von „100%Noticias“, Miguel Mora, neu aufgebaut. Sie ist mit ihren Recherchen und Beiträgen präsent und dabei überaus kämpferisch: „Wir lassen uns nicht mundtot machen. Das ist ja das Ziel des Regime Ortega-Murillo, dass uns auch im Exil bedroht“, erklärt die resolute Frau. Sie ist bereits mehrfach auch in San José bedroht worden.

Das gilt für etliche ihrer exilierten Kolleg*innen. Viele von ihnen sind in der 2018 gegründeten NGO Periodistas y Comunicadores Independientes de Nicaragua (PCIN) – Organisation von und für unabhängige Journalist*innen und Kommunikationsexpert*innen Nicaraguas – aktiv. Lucía Pineda und ihre Kollegin Wendy Quintero sind im Vorstand aktiv. Die Organisation ist das wichtigste Sprachrohr von derzeit rund 275 unabhängigen und in aller Regel exilierten Reporter*innen aus Nicaragua. Sie sorgen dafür, dass Informationen aus dem kleinen, mittelamerikanischen Land auch weiterhin an die Öffentlichkeit gelangen – über Nachrichten-Portale wie 100%Noticias oder Confidencial. Stellvertretend dafür erhalten Pineda und ihre Kollegin Quintero, die für eine Menschenrechtsorganisation in San José arbeitet, am 26. November 2024 den diesjährigen Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES).

Journalistische Arbeit ins Scheinwerferlicht rücken

Für Pineda ist das persönliche Motivation und Anerkennung für die Arbeit aller Kolleg*innen in einem. „Solche Preise sorgen dafür, dass die nicaraguanische Krise in weit entfernten Ländern wie Deutschland sichtbar wird und dass unsere Arbeit zumindest kurz ins Scheinwerferlicht getaucht wird“, sagt Pineda wenige Tage vor der Preisverleihung. Sie freue sich, dass der FES-Menschenrechtspreis ausdrücklich an die Organisation gehe und somit allen Kolleg*innen gewidmet sei, die sich für die Meinungsfreiheit in Nicaragua engagieren.

„Mindestens 25 von 275 exilierten Kolleg*innen wurden wie ich ausgebürgert, mindestens 54 Medienhäuser wurden geschlossen oder übernommen. Doch unsere Stimme ist weiterhin zu hören und das wäre ohne Unterstützung nicht möglich“, erklärt Pineda. „100%Noticias“ hat zwar Abonnent*innen, agiert aber ohne Bezahlschranke und ist – wie auch die PCIN – auf internationale Spenden angewiesen. Zumal die Recherche nicht einfacher geworden ist. Pineda hat genauso wie andere Kolleg*innen verlässliche Quellen im nicaraguanischen Apparat und die pflegt und schützt sie. Das ist ein wesentlicher Grund, weshalb es weiterhin eine fundierte Berichterstattung über die Verhältnisse in dem vom Diktatorenpaar Ortega-Murillo regierten Land gibt.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »

Buchtipp: Fotografieren, was ist

Einfacher und präziser, als mit den Worten „Fotografieren, was ist“, lässt sich das Grundprinzip bildjournalistischen Arbeit wohl kaum erfassen. Ebenso treffend ist die Entscheidung des Göttinger Steidl-Verlags, einem Fotobuch über das Werk des deutschen Reportagefotografen und Bildjournalisten Dirk Reinartz den selben Titel zu geben. Für den Band wurden Einzelbilder und Bildstrecken zum Teil neu zusammengestellt. Ein eindrucksvolles bildjournalistisches Dokument ist entstanden.
mehr »