Erstes Land weltweit mit nur noch digitalem Radioempfang
Urlauber mit Ziel Norwegen seien schon einmal vorgewarnt. Wenn im Sommer bei der Reise zur Mitternachtssonne den Lautsprechern ihres Autoradios nur ein gleichmäßiges Rauschen zu entlocken sein wird, gleich, wie oft sie das UKW-Frequenzband von vorne bis hinten durch kurbeln, dann ist nicht der Apparat kaputt. Sie gehören nur zur Mehrheit der Autobesitzer_innen, deren Fahrzeug nicht über einen Digitalradio-tauglichen Empfänger verfügt. Und ohne den wird Norwegen in diesem Jahr zu einer Radiowüste.
Es ist nämlich das weltweit erste Land, in dem das UKW-Netz gänzlich abgeschaltet und nur noch digitales Radio im Format: DAB+ ausgestrahlt werden wird. Am 11. Januar um exakt 11.11 Uhr war es mit der Region Nordland losgegangen. Mittlerweile wurde ganz Mittelnorwegen umgestellt. In den kommenden Monaten sind schrittweise die restlichen Landesteile dran. Und am 13. Dezember verstummen an der Barentssee-Küste die letzten UKW-Sender.
Norwegen macht damit den Schritt, der von Deutschland und vielen anderen EU-Staaten eigentlich schon seit Jahren erwartet wird. „Da der digitale Rundfunk das Frequenz-spektrum effizienter nutzt, würde dadurch auch Frequenzkapazität für andere Nutzungen frei, etwa für neue Rundfunk- und Mobilfunkdienste“, hatte die EU-Kommission 2005 argumentiert. Das werde „Innovation und Wachstum in den Bereichen Fernsehen und elektronische Kommunikation anstoßen“. Alle Mitgliedsstaaten sollten den Übergang zum digitalen und die Abschaltung des analogen terrestrischen Rundfunks bis spätestens 2012 vollzogen haben. Im Bundestag war die Frist zur UKW-Abschaltung zunächst auf 2015 vertagt und 2011 bei einer Neufassung das Telekommunikationsgesetzes ohne neue Fristsetzung auf die lange Bank geschoben worden.
Andere Länder waren konsequenter. In Schweden, wo das UKW-Netz eigentlich 2022 verstummen sollte, beschloss die Regierung vor zwei Jahren alle Vorbereitungen zu einem solchen Übergang zu stoppen. Umfragen signalisierten nicht nur mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung. In einem von der Regierung in Auftrag gegebenem Gutachten war auch eine lange Liste an Nachteilen und Unklarheiten aufgezählt worden. Als dann schließlich auch noch das Militär und der Katastrophenschutz Bedenken anmeldeten, entschied Kultusministerin Alice Bah Kuhnke, dass eine Fortführung der Umstiegspläne erst einmal nicht mehr aktuell sei. Die Hauptargumente: Selbst beim weitmöglichst denkbaren Ausbauszenario für ein DAB+Netz gebe es keine ausreichende Sicherheit, dass das schwedische Festland samt Inseln und Küstengewässern empfangsmäßig lückenlos abgedeckt werden könnte. Darüber hinaus bestehe auch nicht wirklich eine Einigkeit darüber, ob beim Radioempfang der DAB-Technik die Zukunft gehören werde.
Von den anderen europäischen Ländern scheint bislang nur die Schweiz an ihrem Zeitplan für den Umstieg auf DAB+ festhalten zu wollen. Man ist dort allerdings weniger radikal als in Norwegen. Mit dem Abschalten der UKW-Sender soll sukzessiv 2020 begonnen werden, erst 2024 sollen die letzten verstummen. Nach einer im Februar veröffentlichten Umfrage wird Radio dort schon vorwiegend über digitale Kanäle gehört, wobei der DAB-Anteil je nach Landesteilen bei bis zu 28 Prozent liegt. In 21 Prozent der Autos sind die Radios für den digitalen Empfang vorbereitet.
In Norwegen dagegen kam die Umstellung erst so richtig in Gang, als klar wurde, dass das UKW-Sendernetz tatsächlich verstummen werde. Zwei Drittel der Bevölkerung war noch im Dezember gegen die UKW-Abschaltung und nach mehreren Anläufen hatte es kurz vor Weihnachten im Parlament einen letzten Versuch gegeben, diesen Übergang doch noch zu stoppen. Wozu auch eine Warnung der staatlichen Bereitschaftsbehörde beigetragen hatte: Über relativ leicht zu hackende Digitalradios sei ein Zugriff auf das gesamte Elektroniksystems eines Autos möglich, hieß es da.
Nein, sie habe sich auch noch keinen DAB-Empfänger zugelegt, weder zu Hause, noch im Auto, gestand die für die Umstellung politisch zuständige Kultusministerin Linda Hofstad-Helleland im Februar in einem Interview: „Ich höre eigentlich meistens über Internet.“ Die Ministerin hatte nie ein Hehl daraus gemacht, wie skeptisch sie persönlich die Abschaltung des UKW-Netzes sieht. „Wenn die Politik technische Weichenstellungen vorgenommen hat, war das in der Vergangenheit ja nie so wirklich gelungen“, baute sie möglichen Problemen gleich schon einmal vor: „Aber wenn etwas umgesetzt werden soll, was vor 16 Jahren beschlossen wurde, kann man nicht einfach in letzter Minute abspringen. Wir müssen eben unsere Pflicht tun. Und die Experten sagen ja, dass auf lange Sicht alle davon profitieren werden.“
Reibungslos gestaltete sich der Übergang dann auch tatsächlich nicht. Wenige Tage nach der Abschaltung der ersten UKW-Sender waren bei Bauarbeiten zwei Fiberkabel gleichzeitig beschädigt worden, was dazu führte, dass in weiten Teilen der Provinz Nordland gar kein Radioempfang mehr funktionierte. Eine zusätzliche Reserve hatte man nicht für nötig gehalten. Mit der soll das System aber nun überall nachgerüstet werden.
In der Theorie hatten die amtlichen Reichweite-Messungen eine Abdeckung von 99,7 Prozent der „bewohnten Gebiete“ Norwegens durch die Digitalsender ergeben. Die Praxis in dem teilweise recht dünn besiedelten Land sieht etwas anders aus. Autofahrer meldeten bald viele Kilometer lange Strecken, wo DAB-Empfang fehlt. Fischer und Freizeitskipper können an Teilen der langen norwegischen Küste keinen Wetterbericht mehr hören. Mit solchen Empfangslöchern setze man die Seesicherheit aufs Spiel, kritisieren sie. Und die Lokalzeitungen waren voll von Klagen einzelner Haushalte oder ganzer Dörfer, in denen Digitalradio gar nicht oder nur in inakzeptabler Qualität zu hören sei. Man werde jedem Einzelfall nachgehen, verspricht die für den Aufbau des Digitalnetzes verantwortliche Betreibergesellschaft „Norkring“ und das Netz bei Bedarf entsprechend nachrüsten.
Umgerechnet rund 120 Millionen Euro kostete laut „Norkring“ der Aufbau des Digitalnetzes. Wie viel die Rundfunkhörer_innen ausgeben mussten, dazu gibt es noch keine genaueren Schätzungen. Vor allem der Umbau von Autoradios kann richtig teuer werden. Zwar bietet der Handel in Konsumententests als brauchbar getestete Adapter schon ab rund 140 Euro an. Doch wer sein fabrikeingebautes Multimediasystem gegen ein digitaltaugliches tauschen will, muss je nach Modell bis zu 1500 Euro hinblättern.
200.000 DAB-Radios, die sich ihre Besitzer schon vor Jahren voreilig zulegten, die nun aber das Format DAB+ nicht beherrschen, taugen nur noch für den Recyclinghof. Und da werden wohl auch geschätzt 5 Millionen ausgemusterte UKW-Empfänger landen. Auch wenn eine Parlamentsabgeordnete vorschlug, man könne sie ja bei der nächsten Einkaufsfahrt über die Grenze mitnehmen und den Nachbar_innen in Schweden oder Finnland schenken.