Operation Liquidation

Sorgen um Mazedoniens Pressefreiheit: Lästige Medien werden kalt gestellt

Um 82 Plätze ist Mazedonien seit 2009 auf dem Index der Pressefreiheit gefallen. Ob mit der Schließung regierungskritischer Medien oder der Verhaftung eines missliebigen Journalisten: Der Druck auf die unabhängigen Medien des EU-Anwärters nimmt zu.


Für die „Operation Liquidation“ setzte Mazedoniens Polizei ihre Spezialeinheit in Marsch. In Handschellen wurde Tomislav Kezarovski Ende Mai aus seiner Wohnung in Skopje abgeführt. Das vermeintliche Verbrechen des seitdem inhaftierten Journalisten der Zeitung Nova Makedonjia: Angeblich gesetzeswidrig soll er vor fünf Jahren bei einem Bericht über einen ungelösten Mordfall für das nicht mehr existierende Magazin „Reporter 92“ den Namen eines geschützten Kronzeugen preis gegeben haben.
Zwar hat der 2008 zitierte Mann längst eingeräumt, dass er bei Veröffentlichung des Artikels noch gar nicht unter der Kronzeugenregelung stand. Dennoch wurde die Untersuchungshaft für den Chronisten Ende August zum dritten Mal trotz Protesten der OSZE um einen weiteren Monat verlängert. Journalisten-Organisationen wie „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) vermuten, dass der juristische Feldzug gegen den unbequemen Journalisten ganz andere Gründe hat.

Ungereimtheiten

Kezarovski hatte sich vor seiner Verhaftung mit Recherchen über den Tod des bei einem Verkehrsunglück im März ums Leben gekommenen Verlegers Nikola Mladenov beschäftigt: Der 49jährige hatte mit der Zeitschrift Fokus und der gleichnamigen Zeitung zwei der wenigen verbliebenen regierungskritischen Blätter des Landes herausgegeben. Der Journalist schaute sich am Unfallort um – und stieß auf Merkwürdigkeiten.
Laut von ihm aufgefundenen Maut-Abrechnungen hatte der Verstorbene kurz vor dem Unfall zwei Mal hintereinander die Strecke von Veles nach Skopje zurückgelegt. Die Video-Kameras an den Mautstationen, die Mladenov auf seiner Rundfahrt passierte, sollen alle ausgeschaltet gewesen sein. Sein Mobiltelefon ist angeblich unauffindbar. Nach dem Tod des Eigentümers musste derweil Fokus aus Finanzmangel das Erscheinen einstellen.
Der Balkan-Staat rangiert nunmehr auf der Rangliste der Pressefreiheit von ROG zwischen Nigeria und Venezuela auf Platz 116 (von 179). UN-Berichterstatter Frank La Rue wurde im Juni der Besuch von Kezarovski verwehrt. Es gebe „beunruhigende Signale“ über den Zustand der Pressefreiheit: Er sei tief besorgt über gesetzliche Instrumente, die den Spielraum für unabhängige Medien begrenzten und „kritische Stimmen zum Schweigen bringen“.

Vorgeschobene Steuerschuld

Die Schließung des TV-Senders A1 illustriert, wie sich Mazedoniens Justiz bei der Knebelung lästiger Medien zum Handlanger der Regierung des nationalpopulistischen Premiers Nikola Gruevski macht. Ende 2010 gab es eine Razzia in den Geschäftsräumen des Eigentümers Velija Ramkovski wegen vermuteter Steuerhinterziehung. Auf 9,5 Millionen Euro wurde schließlich von den Finanz- und Justizbehörden die Steuerschuld des Medientycoons taxiert. Dessen Anwälte erklärten die Summe für „künstlich aufgepumpt“: Der tatsächliche Steuerrückstand betrage allenfalls ein Sechstel.
Doch im Juli 2011 erklärten die Bankrottverwalter den bis dahin populärsten TV-Sender des Landes für zahlungsunfähig und verfügten wegen unbezahlter Steuerschulden seine Schließung. Aus dem gleichen Grund wurden auch die zum Ramkovski-Imperium zählenden Zeitungen Vreme, Shpic und Kohe e Re eingestellt. Wegen Steuerhinterziehung wurde der Medienmogul im März 2012 in erster Instanz zu dreizehn Jahren Haft verurteilt: Seine engsten Mitarbeiter bekamen insgesamt 90 Jahre Gefängnis aufgebrummt. Von einem „montierten Prozess“ sprachen Ramkovskis Anwälte.
Besorgt zeigen sich Journalisten-Verbände auch über die Vorbereitungen für ein neues Mediengesetz. Es droht nicht nur die elektronischen, sondern auch die Printmedien noch stärker an die staatliche Kandare zu nehmen. So soll eine neue, von staatlichen Institutionen besetzte „Agentur für audiovisuelle Medien“ auch über die Zeitungen im „Interesse der Bürger“ wachen. Außer dem Recht zum Entzug von Sendelizenzen und zur Verhängung von Strafen ist es vor allem die Einführung neuer Staats-Subventionen für genehme Sender, die die Sorgen um die freie Berichterstattung Mazedoniens mehren.
„Wer ist der nächste zur Liquidation?“ lautete in Anspielung auf den Namen der Polizei-Operation die Aufschrift eines der Protestplakate der Journalisten, die nach der Verhaftung von Kezarovski vor dem Gericht in Skopje demonstrierten. Tatsächlich sieht sich ihr Berufsstand immer größerem Druck ausgesetzt. Immer mehr unabhängige Medien müssen schließen. 900 Journalisten verloren seit 2011 ihren Job. Kritische Schreiber haben nicht nur irrsinnige Geldstrafen bei Verleumdungsklagen und die geplante Installierung einer Medienaufsicht zu fürchten. Schon jetzt publizieren regierungsnahe Blätter die Namen missliebiger Journalisten als vermeintliche Verräter, Spione – und Schwule.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fußball-EM: Eine Halbzeitbilanz

Spätestens seit dem Gruppensieg der deutschen Nationalelf wechselte die Stimmung im Lande von Skepsis zu Optimismus. Ausgedrückt in Zahlen: Vor dem Start des Turniers trauten gerade mal sieben Prozent der Mannschaft den Titelgewinn zu, nach drei Partien stieg dieser Wert auf 36 Prozent. Entsprechend wuchs auch das Interesse an den TV-Übertragungen.
mehr »

Schutz vor zu viel Stress im Job

Immer weiter, immer schneller, immer innovativer – um im digitalen Wandel mithalten zu können, müssen einzelne Journalist*innen wie auch ganze Medienhäuser sich scheinbar ständig neu erfinden, die Belastungsgrenzen höher setzen, die Effizienz steigern. Der zunehmende Anteil und auch Erfolg von KI-basierten Produkten und Angeboten ist dabei nur das letzte Glied in der Kette einer noch nicht abgeschlossenen Transformation, deren Ausgang vollkommen unklar ist.
mehr »

Für eine Handvoll Dollar

Jahrzehntelang konnten sich Produktionsfirmen auf die Bereitschaft der Filmschaffenden zur Selbstausbeutung verlassen. Doch der Glanz ist verblasst. Die Arbeitsbedingungen am Set sind mit dem Wunsch vieler Menschen nach einer gesunden Work-Life-Balance nicht vereinbar. Nachwuchsmangel ist die Folge. Unternehmen wollen dieses Problem nun mit Hilfe verschiedener Initiativen lösen.
mehr »

Tarifverhandlungen für Zeitungsjournalist*innen

Bereits Ende Mai haben die Tarifverhandlungen zwischen der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di und dem Zeitungsverlegerverband BDZV begonnen. Darin kommen neben Gehalts- und Honorarforderungen erstmals auch Regelungen zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) zur Sprache.
mehr »