Die Partei von Jaroslaw Kaczynski rudere in Sachen Medienfreiheit zurück, melden ausländische Medien aus Polen. Doch so einfach ist es nicht. In der Praxis wird die Arbeit der Journalist_innen immer mehr behindert – gerade in der Berichterstattung aus demokratischen Grundfesten wie Parlament oder Verfassungsgericht.
„Wir machen einen Schritt zurück und zeigen, dass es uns nie darum ging, die Journalisten im Parlament zu bekämpfen. Die alten Regeln kehren zurück“, kündigte Stanislaw Karczewski, der Vorsitzende des Senats, der zweiten Kammer des polnischen Parlaments, den Journalisten am 9. Januar 2017 auf einer Pressekonferenz an. Es sei der Parteivorsitzenden Jaroslaw Kaczynski selbst gewesen, der ihn beauftragt habe, mit den Journalisten zu reden, erklärte Karczewski. Die Journalisten in ihrer Arbeit zu begrenzen, sei ein Fehler gewesen, räumte indessen Elzbieta Witek ein, die Chefin des Kabinetts der Ministerpräsidentin. Die Partei „Recht und Gerechtigkeit rudert zurück“, „Medienvertreter dürfen wieder in den Sejm“, meldeten daraufhin ausländische Presseagenturen.
Das ist nicht ganz so, merken Journalisten. „Wir haben überhaupt keine Ahnung, wie es weiter gehen soll, bleiben aber durchaus skeptisch“, gibt der Politikredakteur eines privaten TV-Senders einen Tag später zu. „Wir wissen, dass es den Kollegen in den anderen Redaktionen – vielleicht abgesehen von den öffentlich-rechtlichen – genauso geht.“
Seit dem 13. Dezember können die Journalisten im polnischen Parlament kaum noch ihre Arbeit machen. Paradoxerweise sollten die neuen Regeln, die an diesem Tag angekündigt wurden, „die Arbeitsweise der polnischen Journalisten an die westlichen Standards anpassen“, wie der Sejm-Vorsitzende Marek Kuchcinski behauptete. Für die meisten Beobachter stellten sich die Neuerungen als klare Beschränkung der Pressefreiheit dar: Die Zahl der Berichterstatter mit einer ständigen Akkreditierung sollte auf zwei oder gar nur einen pro Redaktion begrenzt werden. Auch die Zahl der einmaligen Tagesausweise wollte man deutlich beschränken. Mit einer solchen Tagesberechtigung hätten Journalist_innen die Galerie im Plenarsaal gar nicht betreten dürfen, Stammkorrespondent_innen mit einer Dauerakkreditierung hätten zwar Einlass erhalten, die Sitzungen aber weder übertragen noch aufnehmen können.
Die angekündigten Regeln waren unmittelbarer Anlass einer aktuellen politischen Krise. Ein Abgeordneter der Bürgerplattform zeigte sich während der Parlamentssitzung mit einem Transparent für die Medienfreiheit. Er wurde vom Sejm-Vorsitzenden aus dem Plenum ausgeschlossen, was zum Protest seiner Oppositionskolleg_innen und einer mehrwöchigen Okkupation des Plenarsaals führte. Das wiederum bewirkte eine fast komplette Sperrung des Parlaments für Journalist_innen und Öffentlichkeit.
Nun sollten die alten Regeln wieder gelten. Jaroslaw Kaczynski sehe es als Zeichen seines guten Willens gegenüber der Opposition, um die Krise zu beenden, hieß es. Doch die Praxis zeigte anderes. „Wir haben immer noch keinen Zugang zu mehreren Orten, inklusive dem Plenarsaal“, erzählte ein Kameramann am 10. Januar. Auch seien keine Tagesausweise ausgestellt worden. Erst drei Tage später waren sie wieder zu bekommen. Was mit dem Zugang zur Galerie wird, bleibt – solange die Krise dauert – offen und wird täglich neu entschieden.
Pressekonferenzen der Parlamentsmitglieder und Fraktionen, die bisher im Hauptgebäude stattgefunden haben, sollen auch künftig im Pressezentrum in einem Nebengebäude abgehalten werden. Offiziell gehe es um bessere Bedingungen für Journalisten, doch die selbst klagen darüber, dass ihnen so der Zugang zu den Politikern erschwert werde, schimpfen über weite Wege und Platzprobleme. Schon während der ersten Pressekonferenz am neuen Ort gelang es einigen Kameraleuten nicht, mit Ausrüstung hineinzukommen. Der Saal sei dreimal kleiner. Viele Reporter saßen auf dem Boden, weil die zwei Stuhlreihen nicht ausreichten.
Die aktuellen Restriktionen bildeten nicht den ersten Versuch, die Pressefreiheit zu beschränken. Seit Monaten wurde schrittweise die Bewegungsfreiheit der Journalist_innen im Parlament eingeschränkt: Sie dürfen weder die Lobbys rund um den Plenarsaal betreten noch den Flur vor dem Büro des Sejm-Vorsitzenden. Tabu ist auch das Restaurant, selbst mit Einverständnis der Abgeordneten dürfen hier keine Interviews mehr geführt werden, was früher kein Problem war. Alles geschieht – offiziell – mit dem Ziel, die Privatsphäre der Abgeordneten zu schützen. Vor wenigen Monaten wurde einem Fotografen die Akkreditierung entzogenen, weil er ein Foto einer Abgeordneten veröffentlichte, die sich im Plenarsaal ihrer Schuhe entledigt hatte. Die Frau selbst hatte damit kein Problem, das Sejm-Präsidium fand das Bild unwürdig. Man schaffe es nicht mehr, mit Abgeordneten der PiS-Partei zu sprechen, erzählt ein Reporter einer großen Qualitätszeitung. „Nur die Fraktions- oder die Parteisprecher äußern sich. Das hat mit vollständiger Kontrolle zu tun.“
Am Tag nach der vermeintlichen Rücknahme der Restriktionen, am 10. Januar, wurde den Journalist_innen der Zugang zum Verfassungsgericht verweigert. Seine neu ernannte Vorsitzende Julia Przylebska meinte, sie sei als Richterin nicht an die Anwesenheit von Medien gewöhnt und finde Journalisten in Prozessen störend. Deshalb dürfen Medienvertreter ab sofort nur noch bei den „wichtigeren“ Verfahren dabei sein. Was einen Prozess als „wichtig“ oder „unwichtig“ klassifiziert, wurde nicht erklärt.