Hrant Dink und „Agos“ erhalten Medaille des P.E.N-Zentrums
Das P.E.N.-Zentrum Deutschland hat den in der Türkei ermordeten Journalisten Hrant Dink und die viele Jahre von ihm herausgegebene Zeitung „Agos“ mit der Hermann-Kesten-Medaille ausgezeichnet. In Istanbul läuft der Prozess gegen Dinks Mörder.
Johano Strasser fand klare Worte. Der Präsident des deutschen P.E.N nannte Hrant Dink nicht nur einen unermüdlichen Kämpfer für die Meinungsfreiheit, sondern übte auch deutliche Kritik an der türkischen Gesetzgebung. Das Strafgesetzbuch enthalte schließlich weiterhin den „ominösen Gummiparagrafen“ 301 über die Verunglimpfung des Türkentums, kritisierte Strasser vor den Zuhörern im Hessischen Staatsarchiv in Darmstadt. Er werde immer wieder genutzt, um die historische Wahrheit zu unterdrücken. Damit spielte Strasser auf die Massaker der Osmanen gegen die Armenier im Ersten Weltkrieg an. In der Türkei findet nur sehr langsam – und mehr auf wissenschaftlicher als auf politischer Ebene – eine kritische Auseinandersetzung mit den Greueltaten der Vergangenheit statt. Wer aber wie Hrant Dink, von einem Völkermord an den Armeniern spricht, zieht nicht nur den Hass türkischer Nationalisten auf sich, sondern riskiert auch strafrechtliche Verfolgung.
Den mit 10.000 Euro dotierten Preis des P.E.N. nahmen Hrant Dinks Witwe Rakel und sein Neffe Hayan entgegen. Ausdrücklich sollte mit der Hermann-Kesten-Medaille auch ein Zeichen für diejenigen gesetzt werden, die Dinks Werk fortsetzen. Am 19. Januar wurde Dink vor dem „Agos“-Verlagsgebäude in Istanbul erschossen. Ein 17-Jähriger gestand wenig später den Mord. Umgehend stand der Verdacht im Raum, er habe als Handlanger nationalistischer Interessengruppen gehandelt. Auch die Rolle der Polizei geriet ins Zwielicht. So soll ein Informant davor gewarnt haben, dass ein Anschlag auf Dink bevorstehe, ohne dass der Journalist geschützt wurde. Und Bilder tauchten auf, auf denen einzelne Polizisten mit dem mutmaßlichen Mörder Dinks posierten.
Im Juli begann in Istanbul der Prozess. Auch wenn Anklage gegen 18 Menschen erhoben wurde, ist unklar, wie weit die wahren Hintergründe der Tat aufgeklärt werden. Rechtsanwältin Fethiye Cetin befürchtet, dass kein Interesse an einer vollständigen Aufklärung besteht. Keinesfalls sollten Verbindungen militanter Nationalisten mit Polizei und Militär sichtbar werden. Sie führt an, dass Videoaufnahmen von Überwachungskameras am Tatort teilweise gelöscht wurden. Die Tonbandaufnahme, auf der jener Polizei-Informant vor einem Mordanschlag auf Dink warnt, sei plötzlich verschwunden. Dennoch sind auch zwei Polizisten angeklagt worden, die ihr Wissen über das Mordkomplott nicht weitergegeben haben sollen.
Noch immer Tabuthemen
Der Prozess macht somit einmal mehr deutlich, wie gespalten die Türkei ist. Auf der einen Seite hat das Land im Zuge der Annäherung an die Europäische Union große Fortschritte gemacht. So wurde das Strafgesetzbuch weitgehend nach Brüsseler Vorgaben modernisiert. Präsident Abdullah Gül stellte kürzlich auch eine Änderung des Artikels 301 in Aussicht. Auf der anderen Seite gibt es in den Justiz- und Polizeiapparaten neben vielen Menschen, die den Wandel begrüßen, eben auch Beamte, die sich mit aller Macht sperren.
Das Gleiche gilt für die Medien: Im Vergleich zu 1980, dem Jahr des letzten Militärputsches, verfügt die Türkei heute über ein riesiges Spektrum an Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunk- und Fernsehsendern. In den Kommentaren findet man Meinungsvielfalt wie in keinem anderen islamisch geprägten Land. Korrupte oder unfähige Politiker werden auch als solche bezeichnet. Doch noch immer gibt es Tabuthemen. Wer sich kritisch über die Kurdenpolitik oder die Massaker an den Armeniern äußert, kann ins Visier der Justiz geraten. Das passierte auch Arat Dink, dem Sohn Hrants. Er hatte nach dem Tod seines Vaters die Leitung von „Agos“ übernommen. Wegen eines nachgedruckten Interviews von Hrant Dink wurde er wegen „Beleidigung des Türkentums“ im Oktober zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt.
Hermann Kesten
Mit der Hermann-Kesten-Medaille würdigt das deutsche P.E.N.-Zentrum seit 1985 Persönlichkeiten, die sich in besonderer Weise für verfolgte und inhaftierte Schriftsteller und Journalisten einsetzen. Der deutsch-jüdische Schriftsteller und frühere P.E.N.-Präsident Hermann Kesten (1900–1996) wuchs in Nürnberg auf und emigrierte 1933 nach Frankreich. 1940 flüchtete er in die USA. Hier engagierte er sich, zusammen mit Thomas Mann, in dem von amerikanischen Autoren gegründeten „Emergency Rescue Committee“ für die Rettung deutschsprachiger Schriftsteller.