Schwedische Gewerkschaftler begrüßen ver.di-Klage in Deutschland
Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung soll 2009 in schwedisches Recht aufgenommen werden. Jetzt aber wachsen die Proteste in Stockholm, nicht zuletzt Dank der Verfassungsklage von ver.di gegen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung in Deutschland.
„Wir müssen uns in Schweden ernsthaft gegen die Überwachungsgesellschaft wehren“, sagt die Vorsitzende des Schwedischen Journalistenverbandes (SJF) Agneta Lindblom Hulthén. „Deshalb ist die Klage von ver.di zu begrüßen. Vielleicht könnte sie bei Erfolg auch ein Zeichen für andere EU-Staaten setzen“.
Bereits in November 2007 hatte eine schwedische Regierungsbeauftragte einen Gesetzesvorschlag zur Vorratsdatenspeicherung präsentiert. Sie hatte jedoch die im EU-Parlament 2005 beschlossene Richtlinie härter interpretiert als der deutsche Gesetzgeber. Statt sechs Monate Vorratsdatenspeicherung solle Schweden gleich 12 Monate einführen. In ihrem Bericht gab sie offen zu, dass es bei der Speicherung um eine „Verletzung der persönlichen Integrität“ gehe. Das sei jedoch notwendig im Kampf gegen den Terrorismus.
Der Verband der schwedischen Anwältinnen und Anwälte war empört – und fragte sich wie die Richtlinie und ein entsprechendes Gesetz mit einem Rechtsstaat zu vereinbaren sind. Auch die Stockholmer Handelskammer äußerte Bedenken und befürchtete „Konkurrenznachteile“ für schwedische Unternehmen. Die Kammer warnte vor dem Risiko, dass ausländische Firmen kaum Geschäfte mit schwedischen machen würden, wenn die Geschäftskorrespondenz per E-Mail und Telefonate für polizeiliche Zwecke gespeichert werden.
Der Journalistenverband SJF warnte zugleich vor der Gefährdung des im Grundgesetz seit 1766 fest verankerten Quellenschutzes. In Schweden herrscht im Prinzip absolutes Nachforschungsverbot etwa, wenn Angestellte aus Behörden den Medien als Whistleblower brisante Information zuspielen. „Der Quellenschutz ist kaum gewährleistet, wenn die Polizei auf Telefon- oder E-Mail-Daten zwischen Quellen und Journalisten zugreifen kann“, protestierte der SJF.
Bespitzelungsgesetz gestoppt
Obwohl es schon 2007 kritische Stimmen gab, verhielt sich der gewerkschaftliche Dachverband TCO bisher zurückhaltend zu den Protesten. TCO besteht aus dem Journalistenverband SJF und weiteren 15 Verbänden, mit insgesamt 1,2 Millionen Mitgliedern im Angestelltenbereich. Vorratsdatenspeicherung wurde mehr als eine spezifische Berufsfrage für Journalisten, Anwälte und Geschäftsleute empfunden als für die Arbeitnehmerschaft insgesamt. „Die ver.di-Klage in Karlsruhe im Sommer hat jedoch bewirkt, dass das Thema innerhalb der Gewerkschaftsbewegung mehr ernst genommen wird, als vorher“, meint Agneta Lindblom Hulthén. TCO macht sich heute offen Sorgen darüber, was passieren könnte, falls eine Diktatur im Ausland eine befreundete Gewerkschaft der TCO als terroristisch geprägt einstuft – und von den schwedischen Behörden im Namen internationaler Terrorismusbekämpfung die Vorratsdaten anfordert. „Wir müssen jetzt ernsthaft überlegen andere Kommunikationswege aufzubauen, z.B. mit unserem Partnerverband in Kolumbien“, sagt Annette Carnhede, Vorsitzende der Gewerkschaft für staatliche Angestellte (ST), eine der Mitgliedsgewerkschaften der TCO. „Die übliche Kommunikation via Mail könnte zukünftig die Sicherheit unserer Partner in Kolumbien gefährden“, meint sie. Selbst der Vorsitzender von TCO, Sture Nordh, ist inzwischen einer der schärfsten Kritiker der geplanten Vorratsdatenspeicherung – und macht heute dieselbe Analyse wie ver.di (M 6–7/ 2008): „Es kann nicht sein, dass schwedische Gewerkschaftsmitglieder, die ganz legitim mit ihrer eigenen Gewerkschaft vertraulich kommunizieren wollen, in Vorratsdaten zur Terrorismusbekämpfung landen“, sagt Sture Nordh. „Das müssen wir knallhart bekämpfen“.
Bereits 15 EU-Staaten haben die Richtlinie eingeführt, nach Angaben vom Stockholmer Justizministerium. Einige wollen Daten bis 18 Monate speichern, andere nur sechs. Es ist unklar, ob sich die konservative Regierungskoalition in Stockholm für sechs Monate oder ein Jahr entscheiden wird. Während des Herbstes arbeitet eine Abteilung des Justizministeriums an einem endgültigen Gesetzvorschlag. Im Frühjahr 2009 soll der Reichstag über das Gesetz entscheiden.
„Jetzt müssen wir versuchen, die Zeit gut zu nutzen, um Einfluss auf die Gestaltung des Gesetzes zu bekommen“, sagt Agneta Lindblom Hulthén und ist optimistisch. Erst vor kurzem hatte eine starke Protestwelle ein bereits beschlossenes Bespitzlungsgesetz im Reichstag gestoppt. Es sollte ab Januar 2009 ermöglichen, jede grenzüberschreitende E-Mail, SMS, MMS und jedes Telefongespräch abzuhören. Zuständig dafür wäre die Behörde FRA, die dem Geheimdienst zuarbeitet. Hier ging es nicht nur darum, wer mit wem kommuniziert und wie lange, sondern selbst um den Inhalt von Mails und Gesprächen – und das ohne richterlichen Beschluss oder den Verdacht auf Straftaten. Durch massiven Druck der Öffentlichkeit musste die konservative Regierung im September einen Rückzieher machen. Die Überwachung ist nunmehr auf „verdächtige Personen“ eingeschränkt – und nur mit Zustimmung eines Richters möglich. „Allerdings gibt es einen großen Unterschied“, meint eine Quelle innerhalb des Stockholmer Regierungspräsidiums. „Das umstrittene FRA-Gesetz war ausschließlich schwedisch und lässt sich leichter beseitigen als eine Richtlinie der EU. Deshalb verfolgen wir mit großem Interesse, was aus der ver.di-Klage in Karlsruhe wird. Der Ausgang könnte möglicherweise auch hier in Schweden Folgen haben“.
Der Autor lebt in Stockholm und arbeitet für
Gewerkschaftspresse und Rundfunk.