Reality und alte Hüte

Autorenstreik in den USA zwingt TV-Sender in die Defensive

Amerikas Film- und Fernsehautoren streiken. Sie fordern einen Anteil von 2,5 Prozent an den Einnahmen der Medienunternehmen, die durch den Vertrieb von TV-Serien und Spielfilmen über das Internet und andere digitale Plattformen hereinkommen. Seit dem 1. November stehen Streikposten vor den Gebäuden der grossen Medienhäuser in New York und Los Angeles – und ein Ende ist bisher nicht in Sicht.

Auch Regen und Kälte hinderte ein paar Dutzend New Yorker Autoren, die sich Ende November vor dem Sony Gebäude in Manhattan versammelt hatten nicht daran, ihren Streikposten aufzugeben. „In 10 Jahren könnte die Hälfte des Profits von Sony aus digitalen Plattformen stammen“, heisst es auf den orangefarbenen Flugblättern, die von Mitgliedern der Autorengewerkschaft Writers Guild of America (WGA) verteilt werden. „Der Anteil der Autoren daran: Null“. Aus der Perspektive der Streikenden ist die Forderung von 2,5 Prozent minimal. „Es geht um die Zukunft des Vertriebes von Content“, sagt Max Frye, der schon für alle grossen Hollywoodstudios gearbeitet hat. „In 10 Jahren gibt sich kein Mensch mehr mit DVDs ab“.
In New York werden vor allem Comedy- und Late Night Shows wie „Saturday Night Live“ und die „Late Night Show mit David Letterman“ produziert, so dass viele der Streikenden ihr Brot mit dem Schreiben von Sketchen verdienen. „No money, no funny“ steht demgemäss auf einem der Protestschilder, ein anderes fordert die passierenden Autos mit dem Schild „Honk for Fairplay“ zum Solidaritätshupen auf.
Rund 50 TV-Serien und einige Filmproduktionen, darunter „24“ und „Desparate Housewives“, sind von dem Streik beeinträchtigt. Die Protestaktion begann wenige Wochen nachdem im amerikanischen Fernsehen die TV-Herbstsaison mit ihren neuen Serien begonnen hatte. Schon jetzt sind die meisten neu produzierten TV-Folgen abgelaufen, was bedeutet, dass die Sender entweder Wiederholungen bringen oder einzelne Reihen gar nicht mehr zeigen. Viele TV-Networks werfen sich ganz auf das Reality-Genre, für das keine aufwendigen Manuskripte benötigt werden. Ob sich das Publikum damit auf die Dauer zufrieden geben wird, ist fraglich. Zudem fangen die Werbekunden an, Druck für eine Senkung der Werbepreise auszuüben – in den USA oft die einflussreichste Kraft auf die TV-Manager. Schlimmstenfalls könnten sich die Zuschauer gar ganz von ihren Lieblingsserien abwenden. „Falls dies dazu führen sollte, dass die Zuschauer langfristig ihre Sehgewohnheiten ändern, dann ist das finanzielle Risiko für die Networks beträchtlich“, sagt Dave Smith, Professor für Arbeitsrecht an der Pepperdine Universität in Kalifornien.
Was der WGA Kopfschmerzen bereitet ist, dass durch den Streik tausende von anderen Produktionsangestellten wie etwa Friseure, Beleuchter oder Setdesigner Arbeitsausfälle hinnehmen müssen, ohne dafür entschädigt zu werden. In Los Angeles, wo der Grossteil der TV-Serien produziert wird, sind dies allein 15.000 Beschäftigte. Weil sich die Autoren den negativen Auswirkungen auf ihre Kollegen bewusst sind, haben zwei Crews in New York, jene von „Saturday Night Live“ und der TV-Serie „30 Rock“ Benefizaufführungen veranstaltet, die den betroffenen Filmschaffenden zu Gute kommen. Laut der Non-Profit Organisation Film L.A. Inc. kostet der Streik die Stadt Los Angeles 20 Millionen Dollar täglich. Auch grosse Filmproduktionen, darunter Ron Howards „Angels & Demons“ und Oliver Stones „Pinkville“, haben begonnen ihre Produktionen zu verschieben. Damit beginnt der diesjährige Streik weitaus grössere Dimensionen anzunehmen als die letzte Arbeitsniederlegung der Autoren im Jahr 1988. Damals streikte die Gewerkschaft fünf Monate lang, was der Filmindustrie Verluste von 500 Millionen Dollar einbrachte.
Bedrohlich für die Hollywoodstudios ist auch, dass ihnen ein ähnlicher Streik schon bald noch einmal ins Haus stehen könnte: sowohl der Vertrag für die gewerkschaftlich organisierten Schauspieler wie auch der Regisseure endet am 30. Juli 2008, und das gleiche Anliegen besteht auch für diese Filmprofis. Obwohl inzwischen eine Rückkehr zur Arbeit sowohl für Hollywood als auch die Autoren immer dringlicher wird, sind die Prognosen für eine baldige Einigung eher negativ. Nach Ansicht von Verhandlungsteilnehmern besteht zu viel Misstrauen auf beiden Seiten, und dies wird durch Äusserungen wie jener des früheren Disney Chefs Michael Eisner, der Streik sei „dumm“ und käme drei Jahre zu früh, nicht besser.
Obwohl die Öffentlichkeit mehrheitlich auf Seiten der Autoren steht, glauben viele Industrieprofis laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinsituts Frank N. Magid Associates, dass die Hollywoodstudios am Ende am längeren Hebel sitzen werden.

 
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