Rechercheschutz

Die Pressefreiheit in etlichen europäischen Staaten wird immer stärker strapaziert – meist unter der Vorgabe, die öffentliche Sicherheit zu schützen und Terrorismus zu bekämpfen. Gerichte verhängen Geld- und Freiheitsstrafen gegen Journalisten, Staatsanwälte lassen Journalisten überwachen, Redaktionen durchsuchen und Quellenmaterial beschlagnahmen. Gleichzeitig wird der Schutz von so genannten Whistleblowern abgebaut.


Gegen diese Entwicklung stemmt sich nun der Europarat, in dem 47 europäische Länder vertreten sind. Er hat Anfang Oktober „Richtlinien zum Schutz der Meinungs- und Informationsfreiheit in Krisenzeiten“ verabschiedet, die eine Abkehr von staatlichen Repressalien gegen die Presse verlangen. Diese wenden sich auch gegen die Länder, die „Untersuchungsverfahren gegen Journalisten führen, weil diese Informationen im öffentlichen Interesse erhalten oder veröffentlicht haben.“ Wer denkt da nicht an die jüngsten Ermittlungen der deutschen Justiz gegen 17 Journalisten wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat?
Rückhalt bietet die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Sie schließt im Artikel 10 der Europäischen Menschenrechte über die „Freiheit der Meinungsäußerung“ auch den Schutz der journalistischen Recherche ein. So hatte der Gerichtshof die Schweiz verurteilt, weil das Bundesgericht die Meinungsfreiheit verletzt hatte. Unter anderem hatte ein Reporter im Zusammenhang mit einem Postraub von einer Angestellten der Zürcher Staatsanwaltschaft Informationen über Vorstrafen von Verdächtigten erhalten. Wegen Anstiftung zur Verletzung des Amtsgeheimnisses erhielt er eine Geldstrafe.
Der Europarat verlangt nun von all seinen Mitgliedern, die nationalen Gesetze so zu gestalten, dass sie die Pressefreiheit tatsächlich gewährleisten. Künftig solle niemand mehr in journalistische Quellen herumstöbern können, erklärt Thomas Hammarberg, Kommissar für Menschenrechte im Europarat. Er fordert: „Nicht einmal Richter sollten Journalisten zwingen können, ihre vertrauliche Quellen zu enthüllen.“
In den Richtlinien des Europarats heißt es dazu aber erst einmal nur: „Die Mitgliedstaaten sollen das Recht der Journalisten schützen, ihre Informationsquellen nicht offenbaren zu müssen – sowohl in der Praxis, als auch per Gesetz. Sie sollten Journalisten nicht dazu zwingen, Informationen oder Material wie Notizen, Fotografien und Videoaufnahmen herauszugeben.“ Außerdem dürften investigative Journalisten nicht mit Freiheitsstrafen, unangemessenen Geldstrafen, Berufsverboten, Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen eingeschüchtert werden. Ein gutes Zeichen. Doch bis die Richtlinien tatsächlich die Rechtsprechung in den Mitgliedstaaten erreichte, das dürfte noch Jahre dauern. Schließlich könnte jetzt auch das Europaparlament ein Wörtchen in Sachen Pressefreiheit mitreden wollen.

Weitere aktuelle Beiträge

Kriminalität nicht mit Migration verknüpfen

Kriminelle Migranten bedrohen die Sicherheit in Deutschland“ – dieses alte rechte Narrativ wird von der AfD neu belebt und verfestigt sich in der Mitte von Gesellschaft und Politik. Medien, die diese realitätsverzerrende Erzählung bedienen, weil sie meinen, die laute Minderheit repräsentiere ein öffentliches Interesse, spielen mit dem Feuer.
mehr »

Mit BigTech gegen Pressefreiheit

Der Vogel ist frei“ twitterte der US-Milliardär und Big Tech-Unternehmer Elon Musk am 28. Oktober 2022, dem Tag seiner Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter, der damals noch den blauen Vogel als Logo hatte. Der reichste Mann der Welt wollte nach eigener Aussage den Dienst zu einer Plattform der absoluten Redefreiheit machen: „Freie Meinungsäußerung ist die Grundlage einer funktionierenden Demokratie, und Twitter ist der digitale Marktplatz, auf dem die für die Zukunft der Menschheit wichtigen Themen diskutiert werden“, hatte er zuvor erklärt.
mehr »

Neue Nachrichten für Russland

Reporter ohne Grenzen (RSF) hat in Paris gemeinsam mit der Witwe von Alexej Nawalny, Julia Nawalnaja, den neuen Fernsehsender Russia’s Future  vorgestellt. Der Sender soll das Vermächtnis des in russischer Haft ermordeten Oppositionsführers bewahren und die Pressefreiheit in Russland stärken. Ausgestrahlt wird er über das von RSF initiierte Svoboda Satellite Package, das unabhängigen, russischsprachigen Journalismus sendet.
mehr »

Weniger Demokratie wagen

Mit dem Slogan „Medienvielfalt stärken – Meinungsfreiheit sichern“ ist die Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD angetreten.  Keine Koalitionsvereinbarung ohne Bekenntnis zur „flächendeckenden Versorgung mit journalistischen Angeboten“. Aber halt: Hieß es nicht bei der Ampel (und der letzten Merkel-Regierung!) noch „flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen“?
mehr »