RTL beim Milliardenpoker?

Der knallharte Übernahme-Kampf um die britische TV-Kette ITV

Deutschlands Bertelsmann Konzern hat in Großbritannien ein Mediensektor-Erdbeben in Bezug auf den Kauf von ITV (Independent Television) ausgelöst. Es wird nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig erhebliche Folgen für die britische Medien- und vor allem Fernsehindustrie haben.

Kaum war bekannt geworden, dass Charles Allen, der Vorstandsvorsitzende der landesweiten britischen Privat-Fernsehkette ITV, das Handtuch zum 1.Oktober 2006 werfen würde und damit ITV führungs- und auch richtungslos im intensiven britischen TV Markt dahindümpeln könnte, machte ein Gerücht aus Deutschland im Vereinigten (Fernseh-)Königreich die Runde. Die Bertelsmann Tochter RTL wolle 5 Mrd. Pfund (7,5 Mrd. Euro) in die Komplettübernahme von ITV investieren, spekulierten Zeitungen. Die RTL Zentrale in Luxemburg wollte dies weder bestätigen noch dementieren. ITV, mit Hauptsitz in London, ist Hauptkonkurrent der öffentlich-rechtlichen BBC. Das „deutsche Gerücht“ war und ist eine Kampfansage an alle britischen Konkurrenten. Die 100-prozentige Bertelsmann Tochter RTL besitzt bereits die kleine britische Kommerz-TV Kette FIVE. Sie ist analog wie digital zu empfangen und hat einen 5,7 % Anteil am britischen TV-Markt.
Die RTL-Aufkaufs-Nachricht hat den britischen Medien- und TV-Markt so in Bewegung gebracht, dass fast täglich neue und vor allem überraschende Entwicklungen zu beobachten sind. Kaum war die angebliche RTL Absicht für ITV auf dem Markt, setzten die offensichtlich in Luxemburg erwarteten britischen Reaktionen ein. Das in den USA ansässige, aber auf den britischen Medienmarkt fokussierte Medienunternehmen NTL Incorporated kam aus der Deckung und bot konkret 4,7 Mrd. Pfund (7 Mrd. Euro) für die Komplettübernahme von ITV. NTL ist zu Jahresbeginn 2006 durch das Zusammengehen von NTL Holdings und Telewest Global entstanden. NTL mischt in Großbritannien heftig im Bereich Breitbanddienste, Neue Medien und Kabel TV mit.
Erst RTL, dann NTL. Da konnte Britanniens führender Medienmogul natürlich nicht ruhig zuschauen. Während die NTL Führungsspitze hinter den Kulissen intensiv und durchaus konkret mit der ITV Spitze über eine Zusammenarbeit, ein Zusammengehen verhandelte, kam von der Londoner Börse eine von niemanden erwartete Nachricht.
Das Londoner Kommerz-TV-Unternehmen British Sky Broadcasting hatte in einem „Über Nacht“-Überraschungscoup 690 Millionen Aktien und damit 17,9 % der ITV Aktien aufgekauft. 940 Mio. Pfund (1,4 Mrd. Euro) legte BSkyB Firmenchef James Murdoch dafür auf den Tisch. Seine Begründung: „ITV ist eine hochqualifizierter Teil der Europäischen TV Welt und besitzt zukunftsträchtige Ausbaumöglichkeiten“. BSkyB ist zu 39 % im Besitz des australisch-US-amerikanischen Medienbosses Rupert Murdoch und seiner Firma News Corporation. Murdoch besitzt neben Sky TV die britischen Zeitungen Times, Sunday Times, The Sun und das Sonntagsklatschblatt News of the World. Im United Kingdom ist BSkyB größter Satelliten-, Digital- und Pay-TV-Anbieter. Sky besitzt zum Beispiel die Übertragungsrechte für Englands Top-Fußballliga English Premier League.

Medienaufsicht angerufen

Der Sky Aktienkauf war kaum in der Szene verkraftet, da folgte die nächste Reaktion. Während einer Reise nach Spanien zum Geburtstag seiner Tochter hatte Britanniens Medien-Superstar vom Sky-Deal erfahren. Sir Richard Branson schäumte und forderte umgehend die britische Medienaufsicht OFCOM auf, den Fall wettbewerbsrechtlich zu überprüfen. Das ist nicht unbedingt verwunderlich. NTL hat kürzlich die ehemaligen Branson Firmen Virgin Mobile (Mobilfunk) und Virgin.net (Internetdienste) aufgekauft und wird ab Frühjahr 2007 als Virgin Media firmieren. Sir Richard ist an NTL mit 11 % beteiligt.
Damit ist im Übernahmekampf um ITV nun wirklich alles versammelt, was in der britischen Medienszene Rang und Namen hat: NTL, BSkyB, Sir Richard Branson, RTL und damit letztlich der kapitalkräftige RTL-Eigentümer, der Bertelsmann Konzern aus Gütersloh. Er besitzt bereits 34 Fernsehunternehmen und 33 Radiounternehmen in 11 Ländern.
Aber halt, da fehlt doch noch jemand? Richtig die BBC, der ITV Hauptkonkurrent. Während BBC Generaldirektor Mark Thompson sich bereits genüsslich zurückgelehnt haben dürfte, um das Treiben aus der Distanz zu verfolgen, ist er urplötzlich mitten drin im Geschehen. Ende November 2006 kündigte nämlich Michael Grade an, er werde mit sofortiger Wirkung neuer Vorstandsboss bei ITV. Diese Nachricht hat die BBC im Mark erschüttert. Michael Grade war seit 2 Jahren der Chef des BBC-Aufsichts- und Kontrollgremiums, der BBC Governors. Im Frühjahr 2007 sollte er, der zusammen mit Mark Thompson mit einschneidenden Maßnahmen die BBC umbaute und dafür auch massiven Personalabbau selbst bei BBC News hinnahm, Chef des neuen und sehr einflussreichen BBC Kontrollgremiums, des BBC Trust werden. Michael Grade gilt in Großbritannien als sehr erfahrener Medienmanager. Der 63-Jährige ist vielfacher Millionär und leitet z.B. die Pinewood and Shepperton Filmstudios bei London. Grades Begründung für den Wechsel: „Als Mitbegründer bei ITV habe ich mich einem solchen Wechselangebot nicht entziehen können.“ Die Begründung ist durchaus logisch. 1973 gehörte Michael Grade – zusammen mit Ex-BBC Generaldirektor Greg Dyke – zu den Gründungsvätern von London Weekend TV, aus dem ITV hervorgegangen ist. Jetzt also geht er zurück zu ITV und wird mit seinem BBC Insiderwissen den BBC-Hauptkonkurrenten ITV führen. ITV besitzt alle Lizenzen für die kommerzielle TV-Sender- und Studiokette Channel 3. Das sind die in allen schottischen, englischen, walisischen und nord-irischen Regionen bestens zu empfangenden Regionalsender, die zusammen ein „nationwide programme“, eben ITV, anbieten und mit ITN (Independent Television News) den Haupt-Nachrichtenkonkurrenten der BBC besitzen.
Vor diesem Hintergrund kann man sich des Eindrucks nicht erwehren als hätte RTL die Briten nicht nur ein bisschen „taktisch über den Tisch gezogen“. RTL Boss Gerhard Zeiler ließ einen 5 Mrd. Pfund-Versuchungsballon starten, der in Britannien mit voller Wucht niedergegangen ist und die britische Medienszene umkrempeln wird. Bis heute hat Zeiler noch immer kein konkretes Übernahmeangebot für ITV vorgelegt. Das „konkrete“ Gerücht reichte, um die britische Konkurrenz in Aufregung zu versetzen. RTL wartet offensichtlich die weitere inner-britische Entwicklung ab. Das Luxemburger Medienunternehmen wird auch sehr genau die Reaktion der britischen Wettbewerbsaufsicht und der Medienaufsicht OFCOM (Office for Communication) verfolgen. RTL und BSkyB haben beide ein Problem. Aus wettbewerbsrechtlichen Gründen darf Sky ITV auf gar keinen Fall ganz übernehmen, hat OFCOM bereits festgestellt. Sollte nun RTL für ITV bieten, dann stellt sich die Frage was aus FIVE wird. FIVE und ITV würden eine solch umfassende Medienmacht in einer Hand vereinen, dass dies ebenfalls ganz sicher nicht mit den britischen Wettbewerbsgesetzen vereinbar wäre.

Udo Seiwert-Fauti, Edinburgh
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