Schweiz: Öffentlicher Rundfunk gestärkt

Das SRF-Gebäude auf dem SRF-Areal in Zürich-Leutschenbach
Foto: SRF/Oscar Alessio

Der Versuch, den Schweizerischen Rundfunk SRG politisch abzuschalten, ist massiv gescheitert: 71,6 Prozent sagten bei der Volksabstimmung am 4. März in der Schweiz Nein zur Initiative „No Billag“. Die Volksinitiative hatte verlangt, dass keine Gebühren mehr für Radio und TV erhoben werden dürfen. Damit hätten der öffentliche Rundfunk der SRG und 34 kleinere gebührengestützte regionale Radio- und TV-Stationen vor dem Aus gestanden.

Das Resultat ist eine doppelte Überraschung. Niemand hat ein Votum für den öffentlichen Rundfunk in dieser Deutlichkeit erwartet – auch nicht, nachdem letzte Umfragen ein „Nein“ von etwa 60 Prozent vorausgesagt hatten. Auch die hohe Stimmbeteiligung von 54 Prozent stützt die Entscheidung. Erst Recht erstaunt das Ergebnis, wenn man berücksichtigt, dass noch im November ein mögliches „Ja“ zur Initiative prognostiziert worden war.

Die Initiative, die von der größten Partei, der rechtskonservativen SVP unterstützt worden ist, wurde nun jedoch in allen Kantonen und Sprachregionen der Schweiz abgelehnt. Gemäß ersten Analysen war das Resultat auch in ländlichen Regionen deutlich, wo sonst eher konservativ abgestimmt wird.

Der Abstimmungskampf war außergewöhnlich lang, heftig und emotional. Das Resultat zeigt, dass es den Verteidigern des öffentlichen Rundfunks gelungen ist, eine breite Solidaritätswelle in Gang zu setzen. Sie reicht von regionalen und sprachlichen Minderheiten über die Kantone, die Gewerkschaften, Vertreter der Wirtschaft, Sportverbände, Hör- und Sehbehinderte, die Medienwissenschaft bis hin zu sehr stark engagierten Kulturschaffenden. Diese hatten in einer originellen Kampagne zeigen können, dass es nicht allein um den Rundfunk gehe, sondern auch Vielfalt, Kultur oder die demokratische Debatte bedroht wären.

Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG selbst zeigte sich über das Resultat erfreut, sie stehe gestärkt da. Aber gleichzeitig sprach ihr Generaldirektor Gilles Marchand nach der Abstimmung von einem „Wendepunkt“ beim öffentlichen Rundfunk und kündigte überraschend bereits Reformen an: Die SRG wolle sich noch deutlicher vom Angebot der Privaten unterscheiden. Um die Zukunft des öffentlichen Rundfunks vorzubereiten, müsse man sich auf die eigenen Stärken fokussieren und den Rundfunk strukturell reformieren. Die Hälfte der Gebühren werde künftig bei der Information eingesetzt, bei Kultursendungen werde nicht abgebaut. Es soll vermehrt auf Eigenproduktionen auch bei Fernsehfilmen und Serien gesetzt werden, auf Unterbrecherwerbung soll zum Beispiel künftig verzichtet werden. Für diese Neudefinition des Programms hat der SRG-Generaldirektor eine breite Debatte mit dem Publikum in Aussicht gestellt. Aber die SRG hat auch angekündigt, das Budget um 100 Millionen reduzieren zu müssen – auch deshalb, weil schon vor der Abstimmung eine Reduktion der Gebührenhöhe beschlossen worden war. Das werde sich „auch auf die Arbeitsplätze auswirken“, sagte Marchand jetzt.

Das Resultat der Volksabstimmung muss auch in einem größeren Rahmen interpretiert werden: Es ging dabei um das Verständnis einer „Ich-Schweiz“ versus eines Konzepts einer „Wir-Schweiz“. Dabei hat sich das Solidaritätsdenken in einer Schweiz mit vielfältigen Bedürfnissen deutlich durchgesetzt. Dennoch haben Politiker aus dem bürgerlichen Lager bereits wieder verlangt, die SRG müsse sich einschränken. Wie man als Demokrat aus diesem Resultat einer Volksabstimmung direkt neuerliche massive Abbauforderungen ableiten kann, ist allerdings schwer verständlich.

Philipp Cueni ist Journalist mit Schwerpunkt Medien in Basel/Schweiz

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Immerhin gibt es Presse

Der Iran gehört zu den repressivsten Ländern weltweit für Journalist*innen. Hunderte wurden strafverfolgt, inhaftiert oder hingerichtet. Medien unterliegen systematischer staatlicher Kontrolle, das Internet wird umfassend zensiert und überwacht. Dennoch wird viel über den Iran berichtet und viele Iraner*innen nutzen soziale Medien. Es gibt einen öffentlichen politischen Diskurs. Ein Gespräch mit dem Historiker Arash Azizi.
mehr »

Schon entdeckt? Gazer

„Viel Spaß beim Gaffen!“ wünscht das Redaktionsteam des Hamburger queerfeministischen Erotikmagazins seinen Leser*innen. Soeben ist die dritte Ausgabe erschienen. Es gibt Interviews mit Drag Queens und Erotikfotograf*innen, Comics und empowernde Fotostrecken, Ratgeber zu Selbstbefriedigung und toys zur Selbstbefriedigung. Das Magazin will informieren, aufklären, anregen und Lust machen. Besonders wichtig ist es den Herausgeber*innen, Raum für diverse Körper und Lebensentwürfe zu schaffen.
mehr »

Filmtipp: Die Schule der Frauen

Für Marie-Lou Sellems dokumentarisches Debüt blicken fünf Kolleginnen, die in den Achtzigern an der Essener Folkwang-Schule Schauspiel studiert haben, auf ihre Karriere zurück. Erst spät, dann aber umso intensiver beschäftigt sich der Film mit der Frage, warum Schauspielerinnen ab einem gewissen Alter keine Rollen mehr bekommen.
mehr »

Die Büchergilde feiert ihr 100-jähriges

Mit einem Fest-Wochenende, Jubiläumsbänden und einer Ausstellung im Leipziger Druckkunstmuseum beging die Büchergilde Gutenberg – eine Gründung der gewerkschaftlichen Buchdrucker – ihren 100. Geburtstag. Die inzwischen einzige Buchgemeinschaft hierzulande ist mittlerweile eine Genossenschaft und hat in ihrer wechselvollen Geschichte über 9000 Titel herausgebracht: Klassiker, Weltliteratur, Neues von zeitgenössischen Autoren, Reise-, politische und Kinderliteratur. „Willkommen bei den schönen Büchern“, soll es auch in Zukunft heißen.
mehr »