Für Sayed Yaqub Ibrahimi war es in Afghanistan zu gefährlich
Der 30-jährige afghanische Reporter Sayed Yaqub Ibrahimi arbeitet für das britische „Institute for War and Peace Reporting“ (IWPR) sowie für mehrere Websites und Redaktionen in Afghanistan. Dafür hat er mehrere Medienpreise erhalten. Dennoch muss Yaqub seit neun Monaten aus dem Ausland berichten – in Afghanistan ist es zu riskant für ihn.
M | Generell klingen die Nachrichten aus Afghanistan wenig positiv. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation für Journalisten?
SAYED YAQUB IBRAHIMI | Die Situation für Journalisten ist ausgesprochen schwierig. Meinen Erfahrungen zufolge kontrollieren drei Gruppen den Informationsfluss:
Warlords, die für zahllose Kriegsverbrechen verantwortlich sind; die im Westen ausgebildeten korrupten Technokraten und die dritte Gruppe besteht aus den fundamentalistischen Islamisten. Die Warlords unterdrücken die freie Meinungsäußerung und die journalistische Recherche, weil sie genau wissen, dass dadurch ihre Kriegsverbrechen zu Tage gefördert werden. So würde das Risiko für sie steigen vor internationalen Gerichten zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Die im Westen ausgebildeten Technokraten fürchten hingegen, dass die Medien aufdecken könnten, dass sie hemmungslos korrupt sind.
Und das Problem mit der dritten Gruppe, den Fundamentalisten, ist, dass sie aus ideologischen Gründen gegen die freie Meinungsäußerung sind, weil sie aus ihrer Sicht ein Einfallstor für die Säkularisierung der afghanischen Gesellschaft darstelle.
M | Wie läuft die Kontrolle der Medien durch diese drei Gruppen ab?
IBRAHIMI | Die drei Gruppen haben eine rote Linie gezogen. Wenn man Informationen publik macht, die die Interessen dieser Gruppen in Frage stellen, dann sieht man sich schnell einer Fülle von Problemen gegenüber – Drohungen, Gefängnis, Anschläge.
M | Sie haben als Journalist diese rote Linie verletzt – wodurch?
IBRAHIMI | Ich arbeite seit 2001 als Journalist. Damals gab es einen Umbruch, die Taliban waren geschlagen, es roch nach einem Neuanfang und damals gab es viele Möglichkeiten als Journalist zu arbeiten, sich durch Workshops und Seminare zu qualifizieren. Da habe ich begonnen über Kriegsverbrechen zu recherchieren, von denen ich schon als Kind Zeuge war, in Kabul und Masar-i-Scharif, wo ich aufwuchs. Daraufhin habe ich Morddrohungen erhalten, aber auch zahlreiche Anrufe mit Bestechungsangeboten. Die habe ich allerdings ausgeschlagen. Dann wurde mein Bruder Parvez K. Ibrahimi verhaftet, inhaftiert, verurteilt und gefoltert. Ich glaube, dass ich der eigentliche Adressat war – es ging darum mich zu treffen.
M | Haben diese drei genannten Gruppen denn so viel direkten Einfluss?
IBRAHIMI | Die drei Gruppen sind in allen Bereichen des Staates, in der Regierung, im Parlament und im Justizsystem präsent – sie sind Teil des Staates. Viele Warlords haben zudem ihre eigenen Medien – Zeitungen, Radios, Fernsehen – das Problem ist also vielschichtig – auch wenn wir durchaus auch unabhängige Medien in Afghanistan haben.
M | Welche Bedeutung haben die Nato-Truppen in diesem Kontext? Sie sollen für mehr Sicherheit für die Zivilgesellschaft und somit auch für die Medien sorgen.
IBRAHIMI | Die Nato-Truppen sind ein Einflussfaktor. Zwar unterstützten sie die Medien mit Geld und sichern ihnen zu, ihre Arbeit zu unterstützen, aber indirekt zeigen sie den Medien durchaus Grenzen auf. Auch sie haben ihre rote Linie und wenn ein Sender dagegen verstößt, dann wird ihm die Unterstützung entzogen. Das widerspricht dem Credo der freien Meinungsäußerung, auch wenn die Nato auf der anderen Seite eine Menge von Workshops für Journalisten anbietet.
M | Hilft das beim Aufbau eines unabhängigen Mediensystems in Afghanistan?
IBRAHIMI | Wir haben unabhängige Journalisten in Afghanistan, wir haben unabhängige Medien, was wir brauchen ist ein politisches Umfeld, das den Journalisten die Arbeit ermöglicht. Wir müssen die Tabus auflösen, die Kriegsverbrechen aufklären, die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen – das sind zentrale Herausforderungen.
Derzeit kümmern sich die Journalisten meines Landes, um die normale nachrichtliche Berichterstattung, aber eben nicht um die wirklich brenzligen Hintergründe. Es gibt nur wenige investigativ arbeitende Journalisten. In den letzten neun Jahren starben 23 Journalisten in Afghanistan. Viele leben wie ich im Ausland und setzen dort ihre Arbeit so gut es geht fort. Für sie ist die Arbeit in Afghanistan zu risikoreich, weil sie die rote Linie mehrfach überschritten haben. Sie haben diese Risiken akzeptiert.
M | Viele aber sicherlich auch die roten Linien, oder?
IBRAHIMI | Oh ja und sie sind in der Mehrheit.
M | Wie arbeiten Sie derzeit?
IBRAHIMI | Ich arbeite für Zeitungen innerhalb und außerhalb Afghanistans, aber auch für Blätter in den Nachbarländern. Zudem schreibe ich für zwei Websites in Afghanistan und beziehe mich dabei auf meine Quellen in Afghanistan, auf Kollegen – ich telefoniere viel. Generell ist der beste Platz für meine Arbeit Afghanistan und ich möchte natürlich zurück. Ich bin alles andere als zufrieden im Exil und werde versuchen, zurückzugehen.
M | Im Oktober 2010 haben Sie den „Leipziger Medienpreis für Verdienste um Meinungs- und Pressefreiheit“ erhalten. Welche Bedeutung haben derartige Preise für Journalisten in Afghanistan?
IBRAHIMI | Ich habe den Preis stellvertretend für alle Journalisten in Afghanistan entgegengenommen, die unter den derzeitigen Bedingungen im Land arbeiten. Preise wie dieser sind ein Beispiel für die internationale Solidarität mit den Kollegen in Afghanistan. Ich denke, dass den Reportern in Afghanistan schon sehr geholfen wäre, wenn die internationalen Medienorganisationen ihre Solidarität intensivieren würden. Wir brauchen eine bessere, eine hintergründigere Berichterstattung über Afghanistan im In- und im Ausland.