Senden über London nach Mogadischu

Somalische Journalisten wollen in Deutschland für ihr Land arbeiten

In Mogadischu herrscht seit 20 Jahren Krieg. Journalisten können nur unter Lebensgefahr über die Probleme ihres Landes berichten. Zwei somalische Journalisten haben in Deutschland Zuflucht gefunden. Zurzeit sind sie dabei, den Verein SEJOG – Somali Exiled Journalist Organisation Germany, zu gründen. Unterstützung haben sie bei Reporter ohne Grenzen (ROG) gefunden. Autorin Marily Stroux kam mit ihnen ins Gespräch und hilft ihnen, Fuß zu fassen.

Mustafa Adem Harun vor der Haftanstalt in Hamburg, in der die somalischen "Piraten" sitzen. Foto: Marily Stroux
Mustafa Adem Harun vor der Haftanstalt in Hamburg, in der die somalischen „Piraten“ sitzen.
Foto: Marily Stroux

Nurediin Sheikh Ahmed und Mustafa Adem Harun erfuhren von dem derzeit in Hamburg laufenden sogenannten „Piraten-Prozess“ gegen 10 somalische Männer. Darüber muss man auch in Somalia berichten, sagten sie. Marily sammelte daraufhin vor Ort die Informationen und drehte Videos. Per Internet entstanden daraus gemeinsam gestaltete Berichte für Horn Cabel TV, ein somalischer Sender, der weltweit im Netz und in Somalia im Fernsehen zum empfangen ist. Horn Cabel TV, das seit einiger Zeit aus London sendet, weil es in Somalia geschlossen wurde, war der Arbeitgeber des 38-jährigen Abdisalan Sheikh Hassan, der am 18. Dezember 2011 in Mogadischu auf dem Weg zu einer Pressekonferenz erschossen wurde. Seinem Schicksal und dem von 17 anderen ermordeten Journalisten konnten Nurediin und Mustafa entgehen.
Nurediin Sheikh Ahmed arbeitete in Somalia für Shabelle Radio. „Der Sender steht unter Druck der Regierung, aber auch der Al Shabab (islamistische militante Gruppe, die die Übergangsregierung bekämpft /Red.) Manchmal darf er senden, manchmal nicht“, sagte er.
Mustafa Adem Harun war Nachrichtensprecher in Mogadischu beim Horn Afrika media, das 2009 von Islamisten geschlossen wurde. Viele Leute kannten sein Gesicht und seine Stimme. „Ein Kollege und ich sind auf den größten Markt in Mogadishu Bakaara gegangen, um zu dokumentieren, wie die islamistischen Milizen die Menschen drangsalieren. Als wir das im Fernsehen gezeigt haben, hat mein Problem angefangen. Ich musste Somalia verlassen und bin 2010 in Deutschland angekommen.“ Auf dem Blog www.wariyaha.com (Wariyaha heißt auf somalisch: Journalist) berichtet Mustafa über seine zweijährige Flucht (siehe Kasten). Etwa 100 somalische Journalisten arbeiten in dem Blog mit. Sie sind verstreut in der ganzen Welt: Südafrika, Kenia, Uganda, Kanada, Großbritannien, Deutschland. Sie schreiben vor allem Artikel über soziale Themen unter ihrem Namen. Der Blog wird von 400 Menschen pro Tag gelesen.
„Ich berichte darin aus Deutschland“, so Mustafa. „Einen Tag war ich mit meiner Frau an einem Fluss in der Nähe von Gießen spazieren. Dann sahen wir Menschen, die hatten Schlösser dabei. Sie riefen uns, gaben uns ein Schloss und sagten: „Schreibt eure Namen drauf, dann kannst du das Schloss auf der Brücke zuschließen! Dann würde die Liebe bleiben. Und es waren tatsächlich ganz viele Schlösser da. Ich kenne diese Kultur nicht, habe ein Foto gemacht und es im Blog veröffentlicht mit der Geschichte.“
Mustafa geht die ganze Woche zur Schule, um Deutsch zu lernen und am Wochenende beschäftigt er sich mit dem Blog. „Aber ich liebe mein Land. Jetzt wünsche ich mir mit Arbeitserlaubnis in Deutschland bleiben zu können , um weiter als Journalist zu arbeiten. Wenn ich deutsch gelernt habe, will ich zurück nach Afrika und die Nachrichten über Somalia her schicken. In Somalia waren wir lokale Journalisten, aber hier sind wir internationale Journalisten geworden.“

welcome to europe netzwerk: http://w2eu.net

Mustafa im Blog

www.wariyaha.com
„Ich habe viele Länder durchquert von Somalia nach Europa und das Mittelmeer überquert. Dabei habe ich viel Schlimmes, aber auch Gutes erlebt.
Ich habe den längsten Weg genommen durch die Sahara. Wir sahen Tausende Menschen, die Tausende Kilometer zu Fuß gingen. Du kannst nichts für sie tun. Wenn du sie in deinem Auto mitnehmen würdest, würde es schwerer werden und könnte kaputt gehen. Du kannst nichts für sie tun, nur sagen: Gott soll euch helfen. Wenn du Wasser bei dir hast oder Essen, musst du ihnen das geben.
Wir waren 43 in dem Auto: 10 aus dem Sudan, der Rest Somalis“ …

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Türkei: Kurdische Journalisten in Gefahr

Nach Angaben der in Istanbul ansässigen Media and Law Studies Association (MLSA) standen zwischen dem 4. und 7. März mindestens 21 Journalisten vor türkischen Gerichten. Diese Zahl mag für deutsche Leser*innen schockierend sein, in der Türkei sind diese Ausmaße juristischer Verfolgung von Journalist*innen leider alltäglich. Unter dem Ein-Mann-Regime von Präsident Recep Tayyip Erdoğan sieht es mit der Meinungs- und Pressefreiheit im Land immer düsterer aus. Auch die jüngsten Daten der Journalistenvereinigung Dicle Fırat (DFG) zeigen deutlich, dass der Druck auf Journalisten wächst.
mehr »

Beschwerde gegen BND-Gesetz

Reporter ohne Grenzen (RSF) und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) reichen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerde gegen das Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND-Gesetz) ein. Damit reagieren die Organisationen auf ungenügende Reformen des Gesetzes, das den Schutz von Medienschaffenden nicht ausreichend berücksichtigt. RSF und GFF erwarten sich von der Entscheidung ein Grundsatzurteil, das nicht nur Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland haben wird, sondern auch Strahlkraft in die anderen Mitgliedstaaten des Europarates.
mehr »

Social Media: Mehr Moderation gewünscht

Wer trägt die Verantwortung, um etwas gegen zunehmenden Hass in den sozialen Medien zu unternehmen? Die Plattformen? Die Politik? Die Nutzer*innen? Alle drei Gruppen jeweils zu einem Drittel. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Studie der Technischen Universität München (TUM) und der University of Oxford. Sie zeigt auch: der Großteil der Menschen in den zehn untersuchten Ländern wünscht sich mehr Moderation bei Inhalten.
mehr »

Ecuador: Medien ohne Schutz

Mehr Schutz für Berichterstatter*innen, fordert Ecuadors Medienstiftung Fundamedios. Doch in der Regierung von Daniel Noboa, Sohn des Bananenmilliardärs Álvaro Noboa, stößt die Initiative auf Ablehnung. Dafür sei kein Geld da, lautet das Argument. Es ist allerdings ein offenes Geheimnis, dass Daniel Noboa eher auf TikTok, Instagram und andere soziale Netzwerke setzt und wenig von den traditionellen Medien hält. Erschwerend hinzu kommt, dass Kartelle, aber auch lokale Kaziken versuchen, Journalist*innen zu instrumentalisieren.
mehr »