Serbiens Fußballschläger

Belgrads bekannteste TV-Journalistin muss um ihr Leben fürchten

Fußball ist auch in Serbien die wichtigste Nebensache der Welt, doch für die Hooligans Anlass zum blutigen Streit um Leben und Tod. Die Journalistin Brankica Stankovic (Bild) hat die kriminellen Machenschaften der von Vereinsgönnern geschützten Schläger-Kartelle aufgedeckt – und muss nun selbst um ihr Leben fürchten.

Ihre Wohnung verlässt die dunkelhaarige Reporterin seit Monaten nur noch in athletischer Begleitung. Ihr Privatleben finde „nur noch zuhause“ statt, berichtet lakonisch Brankica Stankovic in Serbiens Hauptstadt Belgrad. Wegen der ständigen Überwachung lässt Serbiens bekannteste Enthüllungs-Journalistin seit Dezember auch ihren Beruf vorläufig ruhen: Denn unter Polizeischutz könne sie „nicht objektiv“ recherchieren. Der Grund: Seit ihren Recherchen über die kriminellen Machenschaften von Serbiens berüchtigten Hooligans wird die Journalistin mit dem Tod bedroht.
Über Kriegsverbrecher, Attentate, Korruption und Mafia-Kartelle in Nachkriegs-Serbien hatte die mehrfach preisgekrönte Reporterin des TV-Senders „B92“ für das Enthüllungs-Magazin „Insajder“ schon oft berichtet. Es war das Schicksal eines jungen Franzosen, der die 34jährige auf die Spur der unseligen Stadion-Seilschaften brachte: Der gewaltsame Tod des 28jährigen Brice Taton, den ein Dutzend Schläger am Vorabend des Euroleague-Gastspiels des FC Toulouse beim serbischen Meister Partizan Belgrad im vergangenen September mitten in Belgrad zusammen geschlagen und in einen zehn Meter tiefen Treppenschacht geworfen hatten. Zwölf Tage nach dem Überfall erlag der Franzose seinen schweren Verletzungen. Es sei für sie einfach „eine Schande“ gewesen, in derselben Stadt wie die Hooligans zu leben, „gegen die niemand etwas zu sagen wagt“, erklärt Stankovic, warum sie sich wochenlang durch meterdicke Strafdossiers ackerte – und mit ihren bohrenden Fragen Dutzende von Ermittlungsrichtern, Polizeisprechern, Politikern und Vereinsfunktionären nervte.
In ihrer mehrteiligen Dokumentation nennt Stankovic die Täter und ihre Schutzherren beim Namen. Von Raub, Drogenhandel über Körperverletzung und Entführungen bis hin zu Mord und Totschlag reichen die Polizei-Erkenntnisse über die oft schon seit Jahren straffälligen Hooligans, auf die die Journalistin bei ihren Recherchen stieß. Allein von Fans der Hauptstadtclubs Partizan, Roter Stern und Rad Beograd seien in den letzten Jahren über 100 Straftaten polizeilich fest gehalten worden, so die Reporterin. Trotzdem kam es fast nie zu Verurteilungen – dafür oft zu vorzeitig eingestellten Verfahren. Der Staat habe durch die ausbleibende Strafverfolgung die im Namen vermeintlicher Club- und Vaterlandsliebe verübte Gewalt der Hooligans „praktisch legalisiert“, folgert die Reporterin.
Schon zu Zeiten des verstorbenen Autokraten Slobodan Milosevic wurden Fußball-Schläger von Politikern als fünfte Kolonne und schlagkräftiges Drohmittel instrumentalisiert: Aus Hooligans von Roter Stern Belgrad rekrutierte der später ermordete Kriegsverbrecher Zeljko „Arkan“ Raznatovic zu Beginn der Jugoslawienkriege die berüchtigte Miliz der Serbischen Freiwilligen-Garde. Serbiens Fußballschläger sind bis in die jüngste Vergangenheit eine Allzweckwaffe im politischen Kampf geblieben: Offensichtlich mit dem Segen der damaligen Regierung und unter den Augen der Polizei brannten Hooligans 2008 bei der Demonstration gegen die Unabhängigkeit des Kosovo in Belgrad ausländische Läden und Botschaften aus.
Auch nach der demokratischen Wende vor einem Jahrzehnt ist der prestigeträchtige Sitz in den Aufsichtsräten der Belgrader Großvereine bei Serbiens Politikern und hohen Justizbeamten begehrt. Die einflussreichen Schutzherren in den Vorstandsetagen der Clubs dämpfen indes den Ermittlungseifer der Justiz. „Polizei und Staatsanwaltschaft tun ihre Arbeit. Aber alles kommt zum Stillstand, sobald die Fälle vor Gericht kommen“, klagt Stankovic: „Serbien hat gute Gesetze – aber niemand, der sie durchsetzt.“
„Die Ohnmacht des Staates“ lautet der Titel der Dokumentation, deren Erst-Ausstrahlung im Dezember der Autorin wüste Drohungen und Verwünschungen bescherte. „Brankica, Du bist gefährlich wie eine Schlange – und wirst enden wie Curujiva“ , skandierten die Fans im Partizan-Stadion: Slavko Curujiva war ein Journalist, der 1999 von den Todesschwadronen des Milosevic-Regimes ermordet worden war. Zu den Todesdrohungen prügelten die Partizan-Hools vor den TV-Kameras auf eine Aufblas-Puppe ein, die Stankovic darstellen sollte. Am Ende zerbohrten sie die Puppe mit einer Stange.
Wütende Reaktionen der Hooligans habe sie erwartet, denn „bisher hat es niemand gewagt, ihre Namen und Fotos zu veröffentlichen“, sagt Stankovic. Doch obwohl sie sich schon oft mit kriminellen Gruppen beschäftigte, habe sie bisher noch nie unter Polizeischutz stehen müssen. Die Anklagen gegen sechs der identifizierten Fans auf der Partizan-Tribüne wurden im April vom zuständigen Belgrader Gericht als „unbegründet“ abgewiesen: Sie hätten die Journalistin „beleidigt, nicht bedroht.“
Der Freispruch für die Partizan-Hooligans sei nicht nur für sie, sondern „für alle Journalisten in diesem Land“ die Botschaft, dass sie bei ihrer Arbeit nicht auf den nötigen Schutz zählen könnten, konstatiert sie bitter: „Man gibt den Hooligans zu verstehen, dass sie sich an jedem rächen und jedem drohen können, wie sie wollen.“ Nach heftiger Kritik der Öffentlichkeit hat Serbiens Justiz gegen fünf der im April in erster Instanz freigesprochenen Hooligans ein Revisionsverfahren anberaumt. Ein weiterer, zunächst noch flüchtiger Hooligan ist im August zu 16 Monaten Haft verurteilt worden. Seine Richterin erhält nun selbst Todesdrohungen.

Weitere aktuelle Beiträge

US-Auslandssender kämpft ums Überleben

Von einem „großen Geschenk an Amerikas Feinde“ spricht Stephen Capus, Präsident von Radio Free Europe/Radio Liberty: Die brutalen Kürzungen der Trump-Regierung haben auch den US-Auslandssender mit Sitz in Prag erreicht. RFE/RL wehrt sich mittlerweile vor Gericht. Zugleich machen sich mehrere EU-Länder für eine europäische Finanzierung stark.
mehr »

Ressourcen für Auslandsjournalismus

Der Auslandsjournalismus in Deutschland steckt in der Krise. Die Zahl der Korrespondent*innen nimmt ab, Freie arbeiten unter zunehmend prekären Bedingungen. So geraten ganze Weltregionen aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. Journalist*innen plädieren darum für eine andere Form der Finanzierung. Die gute Nachricht: Das Interesse des deutschen Publikums ist da. Dass die Menschen wissen wollen, was in anderen Ländern los ist, beweist nicht zuletzt das ARD-ZDF-Jugendangebot Funk.
mehr »

Türkei: Kurdische Journalisten in Gefahr

Nach Angaben der in Istanbul ansässigen Media and Law Studies Association (MLSA) standen zwischen dem 4. und 7. März mindestens 21 Journalisten vor türkischen Gerichten. Diese Zahl mag für deutsche Leser*innen schockierend sein, in der Türkei sind diese Ausmaße juristischer Verfolgung von Journalist*innen leider alltäglich. Unter dem Ein-Mann-Regime von Präsident Recep Tayyip Erdoğan sieht es mit der Meinungs- und Pressefreiheit im Land immer düsterer aus. Auch die jüngsten Daten der Journalistenvereinigung Dicle Fırat (DFG) zeigen deutlich, dass der Druck auf Journalisten wächst.
mehr »

Beschwerde gegen BND-Gesetz

Reporter ohne Grenzen (RSF) und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) reichen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerde gegen das Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND-Gesetz) ein. Damit reagieren die Organisationen auf ungenügende Reformen des Gesetzes, das den Schutz von Medienschaffenden nicht ausreichend berücksichtigt. RSF und GFF erwarten sich von der Entscheidung ein Grundsatzurteil, das nicht nur Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland haben wird, sondern auch Strahlkraft in die anderen Mitgliedstaaten des Europarates.
mehr »