Spaniens Justiz kämpft gegen Hetze im Netz

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Quelle: Shutterstock

Spanischen Staatsanwälte verstärken ihre Ermittlungen zu Hassverbrechen in sozialen Medien. Denn Rechtsextreme und Rechtspopulisten hetzen zunehmend im Internet. Sie machen Stimmung gegen Zuwanderung, Pressevertreter*innen und einzelne Politiker*innen. Auch das Strafrecht soll daher verschärft werden. Doch das könnte gerade für Medienschaffende zum Problem werden.

Mitte August wurde in Zentralspanien ein 11-jähriger Junge erstochen. Der neu gewählte EU-Abgeordnete, Alvise Pérez, der spanischen rechten Partei SALF (Se acabó la fiesta“: Die Party ist vorbei) nahm den Mord zum Anlass, um rassistische und fremdenfeindliche Botschaften gegen afrikanische Einwanderer im Netz zu verbreiten. Pérez‘ Bewegung gilt als eine „Mischung aus Verschwörung und rechtsextremen Ideen“. Der rechte Influencer und EU-Abgeordnete der neuen spanischen Rechtspartei nutzt seine enorme Reichweite in den sozialen Medien, um rassistische und fremdenfeindliche Botschaften sowie Fakenews zu verbreiten.

Eine anonyme Quelle hatte zuvor behauptet, ein unbegleiteter Jugendlicher aus Marokko sei der Täter. Pérez spekulierte daraufhin sofort öffentlich über einen möglichen „islamistischen Anschlag.“ Die Behauptungen bezüglich des Täters wurden von Pérez und dessen Mitarbeiter Vito Quiles breit gestreut.

Pérez verfügt über einen Telegram-Kanal mit 700.000 Followern und 400.000 bei X. Er wurde bereits zu Geldstrafen wegen Fake-Verbreitung verurteilt. Doch seit er nun, dank des EU-Mandats, parlamentarische Immunität genießt, habe er seine rassistische Hetze verstärkt, meinen Experten.

Im Kampf gegen „Bulos“

Er behauptet in seinen Netzwerken, es gäbe „täglich Enthauptungen und Messerstechereien“ und Täter seien nordafrikanische Einwanderer. Auf X veröffentlichte er sogar das angebliche Nummernschild des Autos des mutmaßlichen Kindsmörders und das Bild einer Moschee in der Nähe des Tatorts. Es kam wohl auch deshalb nicht zu massiven rassistischen Übergriffen wie in England, da die spanischen Sicherheitskräfte schon am Tag nach dem Mord einen offenbar verwirrten 20-jährigen Spanier festnahmen, der die Tat gestand.

Bereits seit Monaten wird in Spanien über die Bekämpfung sogenannter „bulos“ (Fake News) debattiert. Der sozialdemokratische Regierungschef Pedro Sánchez hatte schon im Mai angekündigt, sich „unermüdlich, entschlossen und großzügig für die Wiederherstellung unserer Demokratie einzusetzen“. Seine Vorstellungen, wie er das bei gleichzeitigem Schutz der Meinungsfreiheit tun will, bleiben bisher jedoch vage. Experten, wie der Journalist Rubén Sánchez, stellen heraus: „Bisher weiß nur Sánchez, was geplant ist“.

Der Journalist und Präsident des Zusammenschlusses der Verbrauchervereinigungen „Facua“ wurde selbst oft Opfer der Hetze aus ultrarechten Kreisen. Er bekämpft sie in sozialen Netzwerken und zieht gegen Verantwortliche auch vor Gericht. „Alle Gesetze können verbessert werden“, sagt Sánchez im Gespräch mit M. Er sieht in den aktuellen Vorstößen der Regierung jedoch eine gefährliche „Gratwanderung“. Der Generalstaatsanwalt Miguel Ángel Aguilar will mit einer Reform des spanischen Strafrechts die „Anonymität“ im Internet abschaffen. Der Jurist bemängelte jüngst, man käme oft nicht voran, „da man die Täter nicht ermitteln“ könne. Sánchez betrachtet solcherlei Vorschläge, die nach den neusten Hetzkampagnen aufkeime, kritisch.

Regierung will Strafverschärfung

Der Verbraucherschützer streicht heraus, dass es gelungen sei, den jüngsten Kampagnen auf X schnell und effektiv zu begegnen. Er warnt jedoch vor Strafverschärfungen, schließlich gäbe es längst eine juristische Handhabe, um gegen Hassverbrechen vorzugehen. Auch Verunglimpfungen und Beleidigungen seien längst verboten, doch man müsse auch dagegen vorgehen wollen.

Dass auch die Ehefrau des amtierenden spanischen Regierungschefs Begoña Gómez von Fakenews betroffen ist, könnte nun jedoch für eine Beschleunigung der Gesetzesänderung sorgen. So sprechen Sánchez und die Sozialdemokraten (PSOE )jüngst von „Lawfare“, also einer Kriegsführung mit juristischen Mitteln, um politische Gegner über Strafverfahren zu beseitigen. Richteten sich Kampagnen von rechten Gruppen, wie den „Manos Limpias“ (Saubere Hände), zuvor vor allem gegen katalanische oder baskische Aktivist*innen und Politiker*innen, greifen sie nun auch die Familie von Präsident Sánchez an. Grund dafür ist, dass die PSOE nach den Wahlen im vergangenen Jahr auch die Unterstützung von baskischen und katalanischen Parteien benötigte, um den Sozialdemokraten erneut an die Macht zu bringen.

Der Fall Gómez zeigt dennoch, wie unbewiesene Behauptungen vor allem von rechten Medien und Politiker*innen aufgebauscht werden. Dann erstatten rechtsextreme Gruppen wie Manos Limpias Anzeigen. Es beginnen Ermittlungen, die zu neuen Berichten führen. Es entsteht ein Teufelskreis. Gómez habe Unternehmen dank ihrer Position öffentliche Aufträge verschafft, lautet der Vorwurf. Denn obwohl Manos Limpias einräumten, dass die Korruptionsvorwürfe gegen Gomez lediglich auf unseriösen Medienberichten basierten, wurde ein Strafverfahren eingeleitet. Der Professor für Verfassungsrecht Joaquín Urias sieht darin das typische „Lawfare-Vorgehen“ zwischen Medien, Organisationen und Politikern. „Es gibt bis heute keine Indizien dafür“, dass Gómez ein Delikt begangen habe. Urias meint, die Justiz werde auf „fadenscheinige Weise benutzt, um die Regierung zu stürzen“.

Auch Verbraucherschützer Sánchez ist skeptisch, was die angekündigten Maßnahmen der Regierung betrifft. Die Debatte habe nach neuen Hetz-Kampagnen skurrile Züge angenommen. Der Journalist, der selbst schon 23 Entscheidungen und Urteile vor Gerichten wegen Fake News gegen seine Person erkämpft hat, warnt, es könne weit übers Ziel hinausgeschossen werden. Er nennt es sarkastisch eine „brillante Idee“, die Anonymität im Netz aufheben, „um endlich herauszufinden, wer dieser Alvise Pérez ist.“

Der stand auch federführend hinter der Kampagne, gegen den Journalisten Raúl Solís. Pérez benutzte einen offensichtlich gefälschten Chat-Screenshot, um Solís als „Päderasten“ darzustellen, der daraufhin sofort Morddrohungen erhielt. „Der Screenshot kam von einem anonymen X-Account, mit nur sehr wenigen Followern“, erklärt Sánchez.

Der als Päderast verunglimpfte Solis zeigte sich gegenüber M schockiert. „Es wäre gelogen, zu behaupten, dass diese Faschisten einem keine Angst machen würden“, erklärte er. Er werde aber nicht nur als Homosexueller angegriffen, sondern weil er mit seiner Arbeit für „Canal Red“ für einen unabhängigen linken Journalismus stehe.

Hetzaccounts  gelöscht

Auf Anzeige von Solís und angesichts von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, wurden indes diverse Hetz-Accounts gelöscht. Dass die Regierung „Pseudo-Medien“ in Zukunft von einer Finanzierung durch öffentliche Mittel ausschließen will, die offensichtlich „bulos“ verbreiten, sei eine Möglichkeit zur Bekämpfung von Desinformation. Die Anonymität abzuschaffen, dagegen wende sich Sánchez. Gerade Journalist*innen benötigen sie bisweilen, erinnert er zum Beispiel an die Franco-Diktatur. „Viele Menschen veröffentlichen auch heute anonym wichtige Vorgänge, aus Angst vor Repressalien.“ Etwas anderes sei aber, wenn gelogen oder Hass verbreitet werde. Dagegen vorzugehen sei schwierig, wenn man Meinungsfreiheit erhalten wolle. Eine freiheitliche Gesellschaft müsse bestimmte Überschreitungen aushalten und Mechanismen zur Gegenwehr entwickeln. Ob Strafverschärfungen dazu geeignet seien, bezweifelt er. Dass Tweets, die falsche Behauptungen richtigstellen, gerade stärker verbreitet werden, als die rassistischen und homophoben Fake News, darin sieht der Journalist einen Lichtblick.

 

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