Staatliche Zensur?

Neues Mediengesetz in Venezuela: Es geht weniger um die Freiheit der Presse als um politische Machtansprüche

Über ein halbes Jahr hatte die Debatte um das „Gesetz zur sozialen Verantwortung von Radio und Fernsehen“ in Venezuela gedauert. Mit der Einrichtung eines Presserates für Funk und Fernsehen, der harte Sanktionen verhängen kann, will die Regierung des südamerikanischen Landes neue medienethische Richtlinien etablieren. Kritiker sprechen von staatlicher Zensur.

Wie die Diskussion um das neue Mediengesetz stand auch seine Verabschiedung im venezolanischen Parlament Mitte Dezember ganz im Zeichen der politischen Konflikte des Landes. Während Abgeordnete der sozialreformerischen Regierung das Gesetz mit einer knappen Regierungsmehrheit in Kraft setzten, erschienen Vertreter der Opposition demonstrativ mit schwarzen Maulkörben. Die Gegner von Chávez Regierungsbündnis Bewegung Fünfte Republik warfen dem Präsidenten vor, die Presse wegen deren kritischer Haltung mundtot machen zu wollen. Regierungsvertreter wiesen hingegen auf die uneingeschränkte Unterstützung der großen Medienunternehmen für die Opposition hin. Sie habe sich restriktive Regelungen selber zuzuschreiben.

Exzesse unterbinden

Tatsächlich hatten gerade die privaten Fernsehstationen in den vergangenen Jahren weit über ein akzeptables Maß hinaus in die Politik eingegriffen. Das neue Gesetz will solche Exzesse unterbinden, bei denen – wie während des gescheiterten Staatsstreiches im April 2002 – unverhohlen das Lager der Regierungsgegner unterstützt wird. Während die Putschisten das Staatsfernsehen damals kurzerhand abschalteten, strahlten die privaten Fernsehsender Soap Operas oder Zeichentricksendungen aus. Erst nachdem Hunderttausende Menschen auf die Straßen zogen und den Putsch so zum Scheitern brachten, berichteten auch die Privaten wieder über das aktuelle Geschehen. Selbst die Chávez-kritische Konrad-Adenauer-Stiftung gestand nach diesem medienethischen Super-Gau ein, „dass die (venezolanischen) Medien bei ihrer Arbeit sehr deutlich Parteilichkeit (…) zeigen“.

An dieser Lage hat sich auch gut zweieinhalb Jahre nach dem versuchten Umsturz nichts geändert. Während die privaten Medienhäuser gegen Präsident Chávez und seine Sozialreformen Front machen, setzt die Regierung auf eine stärkere Medienkontrolle und den Aufbau alternativer Presseorgane. Unversöhnlich stehen sich beide Seiten gegenüber. Dabei entsprechen viele der Inhalte des neuen Gesetzes dem international üblichen Standard. Einschränkungen soll es künftig bei Sendungen mit sexuellem oder gewaltverherrlichendem Inhalt geben. Zur Wahrung des Jugendschutzes wird das Tagesprogramm in zwei Blöcke unterteilt: Von sieben Uhr morgens bis 19 Uhr am Abend sollen besonders strenge Maßstäbe angelegt werden. In dieser Zeit sind künftig auch Privatsender angehalten, mindestens drei Stunden Bildungs-, Informations-, oder Kulturprogramme auszustrahlen. Zudem wurde ein totales Werbeverbot für alkoholische Produkte und Tabak eingeführt. Aber auch politische Inhalte werden durch das Gesetz berührt. So kann der Presserat einen Sender bis zu 72 Stunden abschalten lassen, wenn dieser zu „kriegerischen Handlungen“ aufruft oder Sendeinhalte auf eine „Störung der öffentlichen Ordnung“ abzielen. Wiederholt sich ein solcher Verstoß, kann die Sendelizenz bis zu fünf Jahre entzogen werden.

Vor allem die Leitungen der drei großen Unternehmen Venevisión, Globovisión und RCTV laufen gegen diese Regelungen Sturm. Sie befürchten eine journalistische Selbstzensur. Dabei bekommen sie durchaus Unterstützung von der internationalen Ebene. So bezeichnete der Chefkolumnist der US-amerikanischen Tageszeitung Miami Herald die Verabschiedung des Gesetzes als „schlechten Moment für den Journalismus“, weil es der Regierung künftig die Möglichkeit zu Eingriffen in die Inhalte gebe. Der Präsident der Interamerikanischen Pressevereinigung (SIP), Alejandro Miró Quesada, ging in seinem Urteil deutlich weiter. Das venezolanische Mediengesetz sei „eine Gefahr für die Pressefreiheit, weil es die Zensur des Staates etabliert“. Von der Regierung wird solche Kritik jedoch harsch zurückgewiesen. Informationsminister Andrés Izarra tat das SIP-Urteil mit einem Verweis auf die Geschichte des Medienunternehmerverbandes ab: Miró Quesadas Vorgänger Danilo Arbilla zeichnete als Pressechef der Militärdiktatur in Uruguay für die systematische Verfolgung von Journalisten und zum Verbot von 173 Publikationen verantwortlich. Die SIP hat sich von dieser Geschichte nie distanziert.

Kräftemessen geht weiter

Informationsminister Izarra rief die Medien nach der Verabschiedung des Gesetzes zum Befolgen der Regeln auf. Doch läßt sich schon jetzt ein Kräftemessen prognostizieren. Der venezolanische Politologe Luis Britto García hat dafür eine knappe Erklärung. Nachdem Mitte der neunziger Jahre die alte Parteienordnung aus Sozial- und Christdemokraten zerbrochen ist, sei die Macht auf verschiedene Gruppen übergegangen: Chávez‘ Regierungsbündnis Bewegung Fünfte Republik, die Armee, die mittelständischen Gewerkschaften und die großen privaten Medienhäuser. Britto begründet so die Härte des Konfliktes, da es weniger um die Freiheit der Presse als um politische Machtansprüche gehe. In der Tat: Die politischen Aspirationen des Inhabers von Venevisión, Gustavo Cisneros, sind bekannt. Noch weilt der Milliardär aber in Miami / USA. Dorthin sind auch die Anführer des gescheiterten Putsches geflohen. Und dort hat auch die SIP ihren Sitz.

 

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