Endspurt zur neuen EU-Richtlinie für audiovisuelle Medien
Im Dezember werden im Verhältnis der EU zum Rundfunk aus deutscher Sicht entscheidende Weichen gestellt: Bei der ersten Lesung im Parlament in Strassburg soll die neue Richtlinie für audiovisuelle Medien beschlussreif werden. Zugleich wird die Beilegung des Streits erwartet, den die Ministerpräsidenten der Bundesländer mit der Kommission darüber führen, ob Gebühren Beihilfen sind oder nicht. Der richtige Zeitpunkt für die erste Informationsreise „ver.di im Gespräch“ nach Brüssel.
Deutschland tut sich in den letzten Jahren immer schwerer mit der Europäischen Union und ihren Institutionen, besonders wenn es um Medienfragen geht. Rein als Kulturgut betrachtet hat Brüssel eigentlich beim nationalen Rundfunk nicht viel zu sagen. Die nationale Rundfunk-Autonomie steht sogar seit einigen Jahren im Gemeinschaftsvertrag – als Amsterdamer Protokollnotiz. Wenn da nicht die wirtschaftliche Seite des Rundfunks wäre, die durchaus etwas mit kontinentalem Markt, freiem Wettbewerb, Dienstleistungen und der Informationsgesellschaft insgesamt zu tun hat. Und genau dafür gibt es auf europäischer Ebene drei Kommissare und auch drei Generaldirektionen in Brüssel.
Die Kommission für Informationsgesellschaft und Medien unter der Luxemburgerin Viviane Reding arbeitet schon seit Jahren daran, die EU-Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ aus den 80er Jahren zu erneuern. Wettbewerbs-Kommissarin Neelie Kroes aus den Niederlanden hat so ihre Bedenken bezüglich der deutschen Rundfunkfinanzierung – und streitet gerade mit Deutschland in einem Beihilfeverfahren darüber. Weniger massiv legt sich der für Binnenmarkt und Dienstleistungen zuständige Kommissar, der Ire Charlie McCreevy mit Deutschland in Medienfragen an, obgleich seine Generaldirektion durchaus nicht alles unkritisch sieht, was zwischen Rhein und Oder so abläuft.
Der Fairness halber muss allerdings erwähnt werden, dass die Europa-Institutionen oft erst tätig werden, wenn es Klagen aus dem jeweiligen Land gibt. Und da es sich in Deutschland schon fast eingebürgert hat, über eine Beschwerde in Brüssel das zu erreichen, was man politisch im Inland nicht durchsetzen kann, hat so mancher der Streits seinen Ausgangspunkt hierzulande. Dazu kommt noch die föderale Verfasstheit der Bundesrepublik und das komplizierte Geflecht bundesstaatlicher und Länder-Zuständigkeiten gerade bei Rundfunk und anderen Medien.
Um in diesem Gewirr angesichts aktueller Probleme besser durchzusehen, hatte der Medienbereich der Dienstleistungsgewerkschaft zu „ver.di im Gespräch“ eingeladen. Mit Unterstützung der JournalistenAkademie der Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD) reisten 20 JournalistInnen Ende November für drei Tage nach Brüssel. Dort erfuhren sie bei einem Dutzend Treffen mit fast 20 Gesprächspartnern europäische Medienpolitik aus erster Hand, bekamen Einblick in die Brüsseler EU-Strukturen, diskutierten mit Verantwortlichen und Lobbyisten über die Arbeit von Rat, Kommission, Parlament und Ausschüssen. Gastgeber waren unter anderem das Europabüro des ZDF und die Repräsentanz der Deutschen Telekom in Brüssel, besucht wurden das Europäische Parlament sowie im International Press Center die Journalistenorganisation EFJ / IFJ und der Europäische Verbraucherverband.
Etliche Gespräche waren klar Hintergrund, eben interne „Arbeitsessen Brüsseler Art“, andere wiederum ganz öffentlich, wie etwa das „7. Brüsseler Mediengespräch“ in der rheinland-pfälzischen Vertretung zu „Meinungsfreiheit versus Jugendschutz“. Dort, in der Avenue de Trevuren, diskutierten Experten wie Prof. Dr. Dieter Dörr, Prof. Dr. Johannes Kreile und Joachim von Gottberg mit der Europa-Abgeordneten Ruth Hieronymi und dem Ministerpräsidenten der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien, Karl-Heinz Lambert, was die neue EU-Richtlinie für den Jugendschutz in Rundfunk und audiovisuellen Medien bedeuten wird. Fazit: Neue Regeln bringen nicht automatisch Lösungen für „Herausforderungen wie YouTube und MyVideo“ und: Wirksamer Schutz bedarf einer europaweiten Harmonisierung.
Was die Reise-Teilnehmer, darunter Ehrenamtliche aus Privat- wie auch öffentlich-rechtlichen Sendern und Medienjournalisten, am brennendsten interessierte, waren natürlich Details der neuen EU-Richtlinie und des so genannten Beihilfeverfahrens. Letzteres, so der übereinstimmende Tenor, werde wohl bald beigelegt – ohne dass deutsche Rundfunkgebühren per se als Beihilfe deklariert werden. Den Prinzipienstreit zwischen Bund und Ländern sowie EU-Kommissarin Kroes entschärfen könnte die Zusage der Ministerpräsidenten, bei der Novellierung von deutschen Rundfunkverträgen künftig klarere Vorkehrungen gegen Wettbewerbsverzerrung zu treffen.
Auch bei der EU-Richtlinie für audiovisuelle Medien, die das Europa-Parlament am 12. und 13. Dezember in erster Lesung behandelt, deuten sich einige Kompromisslinien an. So wird Deutschland seinen scharfen Widerstand gegen jegliche Produktplatzierung in Filmen und Sendungen zugunsten „erlaubter Formen“ aufgeben müssen. Für verschiedene Arten audiovisueller Medien gibt es eine abgestufte Regelungsdichte, aber für alle gilt das Herkunftslandprinzip – bei Beschwerden kommt ein dreistufiges Vermittlungsverfahren zur Anwendung. Wenn Deutschland für das erste Halbjahr 2007 die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, ist daran auch die Erwartung geknüpft, dass die neue EU-Richtlinie alle Instanzen passiert und in Kraft tritt.