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Zwei regierungskritische Medienkonzerne in Venezuela verkauft

Die Presselandschaft in Venezuela steht vor einem Umbruch. Nur einen Monat nach dem Verkauf des extrem regierungskritischen Fernsehsenders Globovisión wurde Ende Mai auch die Mediengruppe Cadena Capriles an eine bislang nicht bekannte Investorengruppe veräußert. Die Gegner der sozialistischen Regierung von Präsident Nicolás Maduro fürchten nun, dass sich mit dem Besitzerwechsel bei den beiden großen Medienunternehmen auch die politische Ausrichtung verändert.

Die Redaktion der Zentrale von Cadena Capriles im Juni 2013. Über den Verkauf der Mediengruppe kann nur spekuliert werden, der neue Eigentümer ist unbekannt. Foto: Carlos Garcia Rawlins / Reuters
Die Redaktion der Zentrale von Cadena Capriles im Juni 2013. Über den Verkauf der Mediengruppe kann nur spekuliert werden, der neue Eigentümer ist unbekannt.
Foto: Carlos Garcia Rawlins / Reuters

Die Regierung Maduros habe die Medien „umzingelt“ beklagte der Herausgeber der oppositionellen Tageszeitung El Nacional, Miguel Henrique Otero, Mitte Juli im Gespräch mit ausländischen Korrespondenten. „Sie haben die Medien weitgehend zum Schweigen gebracht“, so Oteros krasses Urteil. Auch der mehrfach unterlegene Kandidat der rechtsgerichteten Opposition, Henrique Capriles, wettert gegen „Strohmänner“ und „Nutznießer“ der Staatsführung, die immer mehr Medien unter ihre Kontrolle brächten.
Dennoch müssen Vertreter der politischen Opposition und regierungskritischer Medien der Entwicklung machtlos zusehen. Deren Brisanz ist ohnehin nicht so hoch wie von diesen Akteuren unterstellt. Nach Angaben der Telekommunikationsbehörde Conatel nämlich haben private Fernsehsender seit dem Antritt der sozialistischen Reformregierung Anfang 1999 ihre Sendefrequenzen mehr als verdoppelt. 1998 gab es in Venezuela demnach 29 private TV-Sender, 2008 waren es 65. Im gleichen Zeitraum wurden 181 neue Radiosender zugelassen, von denen es insgesamt 794 im UKW- und 210 im Mittelwellenbereich gibt. Von den 100 Tageszeitungen haben acht Blätter überregionale Verbreitung. „Anders als die Berichterstattung über Venezuela vermittelt, ist das Medienangebot im Land selbst in den vergangenen Jahren stark angewachsen“, schreibt der Venezuela-Experte Malte Daniljuk vom Lateinamerika-Portal amerika21.de.

Hinter den aktuellen Polemiken steht also keine „Hegemonialstrategie“, wie sie El Nacional-Herausgeber Otero beklagt, sondern ein Konflikt zwischen der Regierung und einzelnen Privatmedien, die enge Kontakte zu Oppositionsparteien unterhalten und über das Mediengeschäft hinausgehende Wirtschaftsinteressen verfolgen, die im Widerspruch mit der Umverteilungspolitik der Regierung stehen. Eskaliert waren diese Spannungen 2002, als diese Privatmedien aktiv an einem Putschversuch gegen die Regierung des inzwischen verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez teilnahmen. Vor allem Globovisión kam damals in die Kritik: Während hunderttausende Menschen auf den Straßen von Caracas die Rückkehr des entführten Präsidenten forderten, strahlte der Sender vorproduzierte Programme aus. Die Nachrichtensperre war, wie sich später herausstellte, mit den Putschisten vereinbart.
Bis zu seinem Tod hatte der seither oft polemisch und aggressiv ausgetragene Streit zwischen der Chávez-Regierung und Globovisión die politische Agenda bestimmt. Die amtierende Regierung seines Nachfolgers Nicolás Maduro verfolgt eine smartere, mehr zurückhaltende Linie, um oppositionelle Redaktionen für sich zu gewinnen. Aber ist damit die Meinungsvielfalt in Venezuela bedroht, wie dies Medienmanager Otero und Oppositionsführer Capriles behaupten? Im Interview mit dem spanischen Dienst von CNN wies Ernesto Villegas, Venezuelas Minister für Kommunikation und Information, diesen Vorwurf unlängst zurück. Auch nach dem Verkauf von Globovisión „nimmt dieser Sender die Regierung täglich unter Beschuss“, so Villegas im Politprogramm „Cala“ von CNN Español. Gerade erst habe die Oppositionspolitikerin María Machado „das Kunststück vollbracht, in voller Ausübung ihrer Meinungsfreiheit in Globovisión die fehlende Meinungsfreiheit in Venezuela anzuklagen und Präsident Maduro als ‚ekelhaft’ zu titulieren, ohne dass dies Konsequenzen für sie hat“.
Die neue redaktionelle Linie von Globovisión bedeutet nicht, dass der Sender in das Regierungslager gewechselt ist. Einer der neuen Eigner, Raúl Gorrín, gehörte 2004 zu den prominentesten Unterstützern eines Referendums zur Abwahl von Hugo Chávez. Regierungskritische Formate wie die Sendung Aló Ciudadano werden weiterhin im Programm sein. Die Absetzung der Sendung von Oppositionspolitiker Ismael García weist jedoch darauf hin, dass die neue Leitung die Interessen des Konzerns von der Parteipolitik trennen will. Auch eine andere Entscheidung provozierte den Furor der Opposition: Die neue Sendeleitung beschloss, nach den Präsidentschaftswahlen am 14. April keine Veranstaltungen des knapp unterlegenen Henrique Capriles mehr zu übertragen. Sie trug so maßgeblich zum Scheitern der Kampagne eines Teils der Opposition bei, das Ergebnis nicht anzuerkennen.
Bei Medienexperten in Venezuela trifft die neue Zurückhaltung des Senders durchaus auf positives Echo. Gegenüber der spanischen Nachrichtenagentur EFE zeigte sich die regierungsnahe Soziologin und Medienexpertin Maryclen Stelling von der Zentraluniversität Venezuelas davon überzeugt, „dass Globovisión seiner sozialen Verantwortung gegenüber Gegenwart und Zukunft Venezuelas gerecht wird“. Das Hauptproblem der meisten Medien des Landes sei bislang gewesen, „dass sie sich eher wie politische Parteien oder politische Institutionen verhalten“, so Stelling.  

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