Südafrika: Niedergang einer Verlagsgruppe

Stadtansicht von Pretoria, der Verwaltungshauptstadt von Südafrika Foto: pixabay/Montage M

Die Nachricht ging um die Welt: „Zehnlings-Mutter bittet um Hilfe“, titelte die südafrikanische Tageszeitung „Pretoria News“ am 9. Juni und vermeldete „exklusiv“ eine Rekord-Geburt. Bebildert war der Aufmacher aber nicht mit Babys, sondern lediglich mit einem Foto der angeblichen Mutter, unter deren Kleid sich eine gigantische Kugel abzeichnete. Diese Frau, das ist inzwischen erwiesen, war gar nicht schwanger. Eines offenbart die Geschichte dennoch: den Niedergang einer bedeutenden Verlagsgruppe.

Die Rekord-Ente beschäftigt Südafrika noch Wochen später. Das liegt auch daran, dass der Chefredakteur der „Pretoria News“, Piet Mahasha Rampedi, der die Geschichte selbst verfasst hatte, nach wie vor behauptet, die Schwangerschaft sei real gewesen. Als die Mutter nach der angeblichen Geburt zunächst spurlos verschwand und kurze Zeit später in psychiatrische Behandlung kam, wurden in etlichen anderen Medien Zweifel am Wahrheitsgehalt der Sensationsmeldung laut. Rampedi ließ sich davon aber nicht beirren, sondern legte nach: Am 18. Juni behauptet seine „Pretoria News“, die Frau sei „mentaler Folter und Hunger“ ausgesetzt und in Handschellen gelegt worden. Das Blatt bezichtigte das Krankenhauspersonal sowie die Gesundheitsbehörde gar, den Verbleib der Zehnlinge zu verschleiern. Selbst der Medienmogul hinter der „Pretoria News“ schaltete sich in den Fall ein. Jener Iqbal Survé, ein ebenso streitbarer wie umstrittener Unternehmer, steht sowohl dem Medienkonzern Independent News & Media South Africa (INMSA), zu der die Zeitung gehört, als auch der Investmentgesellschaft Sekunjalo Investments vor, die die Mehrheitsanteile an INMSA hält. Via Twitter erklärte der Geschäftsmann am 18. Juni, es sei „eine Schande“, dass „andere Medienhäuser „die fundamentalen Rechte“ der angeblichen Mutter ignorierten und nicht über „die schreckliche Weise“ berichteten, wie diese „von den Gesundheits- und Sozialbehörden misshandelt“ worden sei.

Zu diesem Zeitpunkt hatten sowohl sämtliche Krankenhäuser, in denen die Frau angeblich gewesen sein wollte, als auch der Pressedienst der Regierung erklärt, keine Informationen über eine etwaige Zehnlings-Geburt zu haben. Überdies hatte der in der „Pretoria News“ als Vater präsentierte Mann am 15. Juni eine Erklärung abgeben, wonach es seines Wissens keine Geburt gegeben habe. Schließlich sah sich am 23. Juni sogar die Gesundheitsbehörde gezwungen, die Ergebnisse einer Untersuchung der Frau zu veröffentlichen. Das klare Fazit: Sie war in jüngerer Vergangenheit nicht schwanger.

Tags zuvor, am 22. Juni, hatte Rampedi erstmals so etwas wie eine Entschuldigung verfasst. In dem internen Schreiben erklärte der „Pretoria-News“-Chefredakteur jedoch lediglich, er bedauere den „Schaden für das Ansehen, der infolge der Nachwehen der Geschichte“ für die Unternehmensgruppe und deren Mitarbeiter entstanden sei. Er habe die Fakten nicht hinreichend überprüft und damit „Gegnern eine Möglichkeit gegeben, die professionelle Integrität“ seiner selbst und seiner Kollegen „in den Schmutz zu ziehen“. Letzteres leistete er im selben Schreiben jedoch einmal mehr selbst, indem er weiterhin bar jedes Belegs behauptete, die Geschichte sei wahr und die Frau schwanger gewesen. Die ursprünglichen Berichte sind entsprechend auch samt sämtlicher falscher Anschuldigungen und ohne jede zusätzliche Erklärung weiterhin im Onlineangebot der Mediengruppe zu finden. Auf Twitter greift Rampedi, der sich dort „Mr Putin“ nennt, derweil Journalisten an, die seine Falschnachricht kritisieren und wirft ihnen vor, keine Beweise dafür vorzulegen, dass die Frau nicht schwanger war.

Neuer Eigentümer mit mehr Einflussnahme auf die Redaktion

Es ist die klassische Arbeitsweise der Fake-News-Produzenten: Man stellt eine Behauptung auf und versucht der Gegenseite die Beweislast aufzuerlegen. Besondere Brisanz hat der Fall aber, weil es sich bei der „Pretoria News“ keineswegs um irgendein Regenbogenheftchen, sondern um eine der traditionsreichsten Tageszeitungen Südafrikas handelt. Das Hauptstadtblatt erscheint seit 1898. Rampedis Geschichte offenbart exemplarisch den Verfall einer ganzen Mediengruppe, zu der auch lange Zeit hochangesehene Tageszeitungen gehören wie die in Kapstadt erscheinende „Cape Times“ oder der überregionale „The Star“, einst eine der wichtigsten kritischen Stimmen gegen das Apartheidregime. Seinen Ursprung hatte der Niedergang 2013, als der Unternehmer Survé die INMSA, damals zweitgrößte Verlagsgruppe Südafrikas, von der irischen Medienholding Independent News & Media übernahm. Letztere hatte zwar zuvor bereits kräftig an der Substanz der insgesamt 14 Zeitungstitel gespart und die Zeitungen förmlich ausgesaugt, aber zumindest nicht weiter in die Redaktionsfreiheit eingegriffen. Unter dem neuen Besitzer änderte sich das rasant, reihenweise wurden altgediente Redakteure entfernt oder gingen im Protest gegen Einflussnahme selbst. Branchenkenner kritisierten zudem den 2013 gezahlten Preis von zwei Milliarden Rand (damals 150 Millionen Euro) als deutlich überhöht. Für Aufsehen sorgte auch die Zusammensetzung der Investoren: Neben Sekunjalo, das 55 Prozent der Anteile erwarb, stiegen die staatliche südafrikanische Investitionsgesellschaft PIC sowie zwei staatliche chinesische Investmentgesellschaften bei der INMSA ein. Später wurde bekannt, dass auch der Sekunjalo-Anteil größtenteils über einen Kredit der PIC finanziert worden war.

Finanziell lohnend war das Geschäft nicht: Der südafrikanische Fonds, der hauptsächlich die Renten von Staatsangestellten verwaltet, musste 2018 eine Milliarde Rand aus seiner INMSA-Investition abschreiben. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass mit dem Deal von vornherein keine monetäre sondern vorrangig eine politische Rendite angestrebt war. Nach der Übernahme der Zeitungsgruppe durch Survés Gesellschaft präsentierten sich deren Blätter jedenfalls deutlich regierungsfreundlicher – zumindest unter der bis 2018 andauernden Präsidentschaft des derzeit wegen Korruption angeklagten Ex-Staatschefs Jacob Zuma. Einem Bericht des Nachrichtendienstes Bloomberg zufolge soll der Präsident sich übrigens kurz vor dem Verkauf der Verlagsgruppe höchstselbst privat mit dem alten Eigner getroffen haben. Die seit 2018 regierende Administration unter Zumas Nachfolger Cyril Ramaphosa, der zumindest versucht alte Korruptionsskandale aufzurollen, ist hingegen zur Zielscheibe der INMSA-Titel geworden.

Regierung plant jursitische Schritte

Um die aktuelle Verwaltung zu diskreditieren werden dabei auch immer wieder Fake-News gestreut. Die Behörden wollen dies nun aber offensichtlich nicht länger hinnehmen. Wie das Nachrichtenportal News24 am 23. Juni meldete, plant die Regierung der Hauptstadtprovinz Gauteng, zu der die von Rampedi angegriffene Gesundheits- und Sozialbehörde gehört, die „Pretoria News“ und den Chefredakteur vor Gericht zu bringen. „Wir verlangen, dass sie die Behauptungen zurückziehen und sich entschuldigen“, erklärte Regierungssprecher Thabo Masebe dem Bericht zufolge. Masebe begründete den Schritt damit, dass seiner Regierung keine anderen Wege offen stünden. Er erklärte, dass die Behörden es bei einer Beschwerde beim südafrikanischen Presserat belassen wollten. Dies ist jedoch nicht mehr möglich, da die INMSA-Medien aus der Selbstregulierungsinstanz der Medien des Landes 2016 ausgetreten waren.

Zwar hat auch die INMSA inzwischen eine vorgeblich „externe“ Untersuchung angekündigt, was von dieser zu erwarten ist, lässt allerdings bereits die Ankündigung Survés erkennen: Das Gremium soll vom Leiter der Rechercheabteilung der Verlagsgruppe geführt werden, zudem erklärte der Medienmogul, seine INMSA werde „die Möglichkeit eines kriminellen Syndikats aufklären, das Mitarbeiter im Gesundheitswesen und Sozialarbeiter einschließt, die in den Handel mit Babys verwickelt sind, was in dieser Angelegenheit von Bedeutung sein könnte“.

Oder in anderen Worten: Die Fake-News-Maschine wird weiterlaufen, wenn sie nicht juristisch gestoppt wird. Genau dieses Szenario sieht nun jedoch der südafrikanische Journalistenverband SANEF mit zwiespältigen Gefühlen. Einerseits hatte die Organisation das Gebaren der INMSA stets klar und deutlich kritisiert, andererseits fürchtet sie, dass die Klage einer Regierungsstelle gegen ein Medium einen Präzedenzfall mit schwerwiegenden Folgen schaffen könnte. „Mr Putins“ imaginäre Zehnlinge werden so für Südafrikas Medien zu einer ganz realen Büchse der Pandora.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gemeinsame Standards für Medienfreiheit

In Brüssel wird der European Media Freedom Act (EMFA) bereits als "Beginn einer neuen Ära" zelebriert. Ziel der Verordnung ist es, die Unabhängigkeit und Vielfalt journalistischer Medien in der EU in vielfacher Hinsicht zu stärken. Doch wie er von den Mitgliedsstaaten  - vor allem dort, wo etwa die Pressefreiheit gefährdet ist wie Ungarn und der Slowakei - umgesetzt wird, zeigt sich erst im kommenden Sommer.
mehr »

Eine Stimme für afghanische Mädchen

Die iranische Filmemacherin Sarvnaz Alambeigi begleitet in ihrem Dokumentarfilm „Maydegol“ über viele Jahre eine junge Muay-Thai-Boxerin aus Afghanistan, die im Iran unter schwierigen Umständen für ein selbstbestimmtes Leben kämpft. Im Interview erzählt Alambeigi, welche Rolle das Kopftuch für den Film spielt, was sie von der jungen Generation gelernt hat und warum der Film endet, bevor Maydegol endlich gelingt, was sie sich wünscht.
mehr »

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »