In Ägypten müssen Journalisten wegen ihrer Recherchen ins Gefängnis
Die Reaktionen auf langjährige Haftstrafen für drei Journalisten in Ägypten ließen nicht lange auf sich warten: „Ein schwarzer Tag für die Pressefreiheit”, kritisierte Amnesty International, von einem „neuen Tiefschlag” sprachen die Reporter ohne Grenzen. Und der arabische Fernsehsender Al-Dschasira, dessen Mitarbeiter Opfer des Richterspruches wurden, beklagte, das Urteil habe sich „über jede Logik und über jeden Anschein von Gerechtigkeit hinweggesetzt”.
Als die Kairoer Richter ihr Urteil verlasen, ahnten die zahlreichen Journalisten im Gerichtssaal, dass sich die Entscheidung indirekt gegen sie alle richtete. Wegen der „Verbreitung falscher Nachrichten”, der „Arbeit mit nicht genehmigter Ausrüstung” sowie wegen der „Unterstützung einer terroristischen Organisation” (gemeint ist die Muslimbruderschaft) wurden drei Mitarbeiter des Fernsehsenders Al-Dschasira zu sieben – beziehungsweise zehnjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Weitere Schuldsprüche wurden gegen sieben Journalisten in Abwesenheit verhängt. Sie hatten Ägypten verlassen, bevor sie festgenommen werden konnten. Sechs von ihnen arbeiten ebenfalls für Al-Dschasira.
Das Verfahren gegen die seit Dezember 2013 inhaftierten Kollegen Peter Greste, Mohamed Fahmi und Baher Mohamed entsprach in keiner Weise rechtsstaatlichen Prinzipien. Anträge der Verteidigung seien ignoriert worden, und die Beweisaufnahme der Staatsanwaltschaft habe zwischendurch eher einer Komödie als einem Prozess geglichen, monierte ein Anwalt der Angeklagten.
So hatten viele Beweismittel, die von Kameras und Laptops stammten, gar keinen Bezug zu dem Fall, sondern waren Filmmaterial aus anderen Ländern oder Bilder von Familienangehörigen. Belastungszeugen widersprachen ihren eigenen schriftlichen Aussagen. Nach übereinstimmenden Berichten von Prozessbeobachtern gelang es der Staatsanwaltschaft nicht, auch nur einen überzeugenden Beweis dafür zu erbringen, dass die Al-Dschasira-Mitarbeiter die Muslimbruderschaft unterstützt hätten. Unbestritten ist, dass die Journalisten mit Mitgliedern der Organisation gesprochen haben, um ihre Einschätzung der Lage nach dem Sturz des gewählten und von den Muslimbrüdern nominierten Präsidenten Mohamed Mursi einzuholen – eigentlich eine journalistische Pflicht.
„Nur weil sie ihren Job erledigt haben, wurden die Journalisten eingesperrt und als Kriminelle und Terroristen gebrandmarkt”, kritisiert Philip Luther, Direktor der Nahost-Abteilung bei Amnesty International. „Es gibt nur einen Grund, warum die drei Männer im Gefängnis sitzen: Die ägyptischen Behörden waren mit der Berichterstattung nicht einverstanden. Sie sehen es als legitim an, gegen jeden vorzugehen, der es wagt, sie zu kritisieren.”
Auch Christian Mihr, Geschäftsführer von „Reporter ohne Grenzen” beklagt die „grotesken Verfahrensmängel” in dem Prozess. Das Klima von Einschüchterung und Gewalt gegen in dem Land arbeitende Journalisten nehme zu. Insgesamt sind laut ROG zurzeit mindestens 14 Journalisten in Ägypten inhaftiert. Mihr verlangt ebenso wie Amnesty International, das Komitee zum Schutz von Journalisten, die dju in ver.di und die Internationale Journalistenföderation die sofortige Freilassung der Al-Dschasira-Mitarbeiter. Der dju-Bundesvorsitzende Ulrich Janßen spricht von einer die Demokratie aushöhlenden Justizwillkür und betont: „Die mehrjährigen Haftstrafen gegen Journalisten sind ein weiterer Beleg dafür, dass Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit nicht automatisch deckungsgleich sind, sondern dass Grundrechte immer wieder verteidigt und ihre Einhaltung immer wieder neu erkämpft werden müssen.”
Marc Engelhardt, früherer Afrika-Korrespondent und Vorsitzender des Netzwerks „weltreporter.net”, ruft explizit die Bundesregierung auf, sich für die Journalisten einzusetzen. „Wenn sie nicht ihr ganzes Gewicht für die Freilassung unserer Kollegen einsetzt, müssen in Zukunft auch deutsche Korrespondenten fürchten, ohne Grund verhaftet und verurteilt zu werden”, erklärt er. Außerdem warnt er davor, dass Urteile wie das gegen die Al-Dschasira-Mitarbeiter dazu führten, dass bei manchen Berichterstattern aus Angst vor Repressionen bereits die Schere im Kopf ansetze.”
Auch der englischsprachige Dienst von Al-Dschasira will sich weiter lautstark für seine Mitarbeiter einsetzen und fordert die internationale Gemeinschaft auf, in dem Druck auf die ägyptischen Behörden nicht nachzulassen. „Die Solidarität kam aus allen Teilen der Welt und ist die Basis für die Informations- und Pressefreiheit”, sagt der Geschäftsführer des Senders, Al Anstey, und betont: „Vor jedem normalen Gericht wäre dieses Verfahren eingestellt worden.”
Die Verurteilten selbst hoffen auf die nächste Instanz oder auf eine Begnadigung durch die ägyptische Führung. Für Peter Greste, einen australischen Staatsbürger, ist die Chance dafür am größten. Der australische Ministerpräsident Tony Abbott erklärte bereits, er hoffe, dass der ägyptische Staatschef Abdel Fattah al-Sisi auf die Freilassung Grestes hinwirken werde. Das Urteil habe ihn fassungslos gemacht. Der Australier Greste arbeitet eigentlich im kenianischen Nairobi als Korrespondent für Al-Dschasira und ist nur über Weihnachten in Kairo eingesprungen. Kurz nach dem Fest wurde er in einem Hotel festgenommen. Ob auch der ägyptisch-kanadische Kollege Mohamed Fahmi, Al-Dschasira-Bürochef in Kairo, und der ägyptische Produzent Baher Mohamed mit anhaltender Unterstützung aus dem Ausland rechnen können, erscheint hingegen fraglich. Letzterer erhielt sogar zehn Jahre Haft, weil er bei seiner Festnahme im Besitz einer Patrone war, die er nach eigenen Angaben bei Dreharbeiten eingesteckt hatte.
Dass internationaler Druck nicht aussichtslos ist, zeigt ein kleines Zeichen der Hoffnung, das wenige Tage vor dem Urteilsspruch aus Kairo kam. Ein weiterer Al-Dschasira-Reporter, der Journalist Abdallah Elshamy, der nicht zusammen mit den verurteilten Kollegen angeklagt war, kam am 17. Juni auf Anordnung der ägyptischen Generalstaatsanwaltschaft frei. Er hatte mehr als 100 Tagen aus Protest gegen seine Inhaftierung auf die Aufnahme von Nahrung verzichtet, so dass auf gesundheitliche Gründe für die Haftentlassung verwiesen wurde. ver.di hatte sich zusammen mit Amnesty International für die Freilassung Elshamys eingesetzt (M 4/14). Dass gegen Elshamy trotz der Freilassung noch Anklage erhoben wird, ist anzunehmen, aber gegenwärtig nicht sicher.