Verhaftet und verprügelt

Polizisten nehmen einen Jounalisten in Minsk am 27.August 2020 fest.
Foto: Reuters/Nasily Fedosenko

Journalisten bei Protesten in Weißrussland festgenommen, viele Akkreditierungen entzogen

In Weißrussland (Belarus) steht es derzeit schlecht um die Pressefreiheit. Das Vorgehen der Polizei bei den jüngsten Protesten gegen den Autokraten Alexander Lukaschenko nach den Präsidentschaftswahlen zeigt nur die Spitze des Eisbergs. Verfolgt werden vor allem einheimische Journalist*innen, auch wenn die Festnahme von Teams des ZDF und der ARD gerade Schlagzeilen gemacht hat.

Marina Mauchawana arbeitet als Lokaljournalistin in Bobruisk, einer Stadt im Osten Weißrusslands. Am Tag nach der mutmaßlich gefälschten Präsidentenwahl wurde sie vor dem lokalen Untersuchungsgefängnis festgenommen, in einen Gefangenentransporter geschubst und mit einem Schlagstock zwischen die Beine geschlagen. „Ich bringe Dich um. Ich kann das noch heute tun!“, hörte sie als Antwort auf ihren Protest. Mauchawana hatte noch „Glück“: Nach mehreren Stunden wurde sie wieder freigelassen.

Schlimmer erging es ihrem deutlich älteren Kollegen Alex Chyhir, der ebenso in Bobruisk in einen Polizeiwagen gezerrt und dort zusammengeschlagen wurde. Auf dem Polizeirevier ging seine Qual weiter: Gleich fünf Polizisten stürzen sich auf ihn, drohten, seine Arme zu brechen, verprügelten ihn und stellten ihm am Ende in Aussicht, auf ihn zu urinieren. Chyhir bekam 15 Tage Administrativhaft für die angebliche Beteiligung an einer unerlaubten Demonstration, wurde aber nach 6 Tagen freigelassen.

Marina Mauchawana und Alex Chyhir sind nur zwei von rund 120 Journalist*innen, die in Weißrussland seit den Präsidentenwahlen vom 9. August festgenommen worden sind. Im Zuge der anhaltenden Proteste hat die Verfolgung von Medienschaffenden in Weißrussland einen neuen Höhepunkt erreicht. Dabei befindet sich das Land auf der Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ bereits auf dem 153. Rang (von 180) an zweitletzter Stelle in Europa knapp hinter Russland (149) und noch etwas vor Aserbeidschan (168).

Für deutschlandweites Aufsehen gesorgt hatte der Entzug der Akkreditierungen von 17 Korrespondenten westlicher Medien durch das Außenministerium in Minsk. Es handelt sich dabei zumeist um weißrussische oder russische Mitarbeiter großer Presseagenturen, lokale Kameraleute der BBC, ein russisches Kamerateam des ZDF und mehrere Mitarbeiter von Radio Free Europe. Der massenhafte Entzug von bereits bewilligten Akkreditierungen ist einzigartig. Sogar der regimefreundliche Weißrussische Journalistenverband verlangte die schnelle und unkomplizierte Wiederzulassung ausländischer Medienvertreter*innen. Der unabhängige Journalistenverband (BAJ) kritisierte das Vorgehen scharf. Die meisten der 17 Journalist*innen hatten Ende August eine Solidaritätskette der „Frauen in Weiß“ um eine katholische Kirche am Minsker Unabhängigkeitsplatz gefilmt oder fotografiert oder sie waren am Rande der dort allabendlich stattfindenden, nicht bewilligten Demonstration gegen Lukaschenko aufgegriffen worden. Insgesamt waren es rund 50 Festnahmen an jenem Abend allein in Minsk.

Dauerhaft in Weißrussland stationiert sind nur ein paar wenige polnische Journalist*innen. Für deutsche Medien reisen manchmal noch Korrespondent*innen aus Moskau oder Warschau nach Minsk, doch solche Dienstreisen sind immer schwieriger zu finanzieren. Nachdem ein Kamerateam der ARD in Minsk am letzten August-Wochenende über Nacht in einer Polizeistation festgehalten und anschließend des Landes verwiesen worden war, reiste der Korrespondent Jo Angerer, der bei der Festnahme nicht dabei war, ebenfalls aus dem Land aus. Ohne das Kamerateam hatte er keine Möglichkeit mehr, vor Ort zu drehen und zu produzieren. Die Berichterstattung werde in der Zwischenzeit aus dem ARD-Studio in Moskau erfolgen, hieß es von der Sendeanstalt.

Bereits mehrere Tage vor den – für Lukaschenko auch wegen seines fatalen Corona-Managements – plötzlich schwierig gewordenen Wahlen war es kaum mehr möglich, überhaupt jemanden im Außenministerium zu erreichen, und sei es nur, um eine Kurzzeit-Akkreditierung zu beantragen. Auch Mails wurden nicht mehr beantwortet.

Für die seit Jahren schon traditionellen Proteste nach den Wahlen wurden auch in diesem Jahr viele oppositionelle oder unabhängige Onlinenachrichtenportale blockiert. Zum ersten Mal seit 2006 wurde das Internet völlig abgeschaltet. Drei Tage lang waren vor allem während der abendlichen Proteste sowohl das mobile Internet als auch Standleitungen instabil oder blockiert. Während der ersten drei blutig niedergeschlagenen Protesttage wurden Journalist*innen teils gezielt von OMON-Sicherheitskräften geschlagen, Kameras zerstört, eine Reporterin der oppositionellen Internetzeitung Nascha Niwa wurde aus zehn Metern Entfernung gezielt mit einem Gummigeschoss niedergestreckt. 70 Journalisten wurden landesweit an jenen ersten drei Protesttagen festgenommen, 54 von ihnen kamen in U-Haft, 25 wurden verprügelt, mindestens drei dabei schwer verletzt.

Diese Gewaltorgie des Regimes bewirkte jedoch das Gegenteil, mehr als in allen 25 vorangegangenen Amtsjahren Lukaschenkos flauten die Proteste nicht ab, sondern wurden immer größer. „Frauen in Weiß“ begannen Menschenketten gegen die Polizeigewalt zu bilden, Streiks erfassten das Land. Und schließlich erreichten die Arbeitsniederlegungen aus Protest gegen das Regime auch das monopolisierte, regimetreue Staatsfernsehen. Mehrere bekannte TV-Präsentatoren kündigten aus Protest. Nachdem selbst „Belarus 1“ keine Nachrichten mehr senden konnte, weil fast das ganze technische Personal streikte, ließ Lukaschenko Streikbrecher aus Russland einfliegen, denen er ein Mehrfaches der lokalen Löhne anbot. Inzwischen scheint das Weißrussische Staatsfernsehen praktisch in der Hand russischer Journalist*innen.

Als Alternative bleibt den Weißrussen nur das Satellitenfernsehen „Belsat“, das von Polen aus sendet sowie die beiden international finanzierten Online-Radiostationen „Euroradio“ und „Radio Svoboda“. Allen dreien – und mit ihnen rund 70 weiteren Onlineportalen – wurden Ende August die Internetseiten gesperrt. Von Weißrussland aus sind sie nur noch über ein Virtual Private Network (VPN) abrufbar.

Vor allem „Belsat“ unterhält ein großes eigens Netz von Lokaljournalist*innen, denen – teils seit Jahren – die Akkreditierung verweigert wird. Doch wer ohne Akkreditierung von Protesten berichtet, wird laut weißrussischem Gesetz selbst zum illegalen Demonstranten. Meist endete dies mit bis zu 15 Tagen Administrativhaft. Und während der jüngsten Proteste hat sich gezeigt, dass bereits in der U-Haft alles möglich ist, von Prügeln über Folter bis zu Morddrohungen.

Der Korrespondent Paul Flückiger berichtet aus Polen und Weißrussland

 

 

 

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

„Das Problem mit der Leidenschaft“

Lena Hipp ist Professorin für Soziologie an der Universität Potsdam und leitet die Forschungsgruppe „Arbeit und Fürsorge“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Mit M sprach sie über „Gute Arbeit“, Stressoren im Journalismus und weshalb die Trennung von Arbeit und Privatleben für Medienschaffende so wichtig ist.
mehr »

Türkische Presse im Visier der Justiz

Der Journalist Nedim Türfent berichtet über die Situation von Medienschaffenden in der Türkei. Sein Film "Ihr werdet die Macht der Türken spüren!" über die schikanöse Behandlung kurdischer Bauarbeiter erregte große Aufmerksamkeit und brachte ihm 2015 einen Journalistenpreis ein - und 2016 seine Verhaftung. Er wurde gefoltert und zu acht Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Die meiste Zeit davon verbrachte er im Hochsicherheitsgefängnis in der östlichen Stadt Van. Türfent wurde am 29. November 2022 nach sechs Jahren und sieben Monaten Haft entlassen. Schon wenige Monate später arbeitete er wieder als Journalist. Zurzeit nimmt er an einem Stipendium für bedrohte…
mehr »

Die Verantwortung der Redaktionen

Auf die mentale Gesundheit zu achten, ist keine individuelle Aufgabe. Auch Arbeitgeber*innen können und sollten etwas für psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen tun. Wie funktioniert das in einer Branche, die so geprägt ist von Zeit und Leistungsdruck und belastenden Inhalten wie der Journalismus? Wir haben uns in zwei Redaktionen umgehört, die sich dazu Gedanken gemacht haben: das Magazin Neue Narrative und der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag (SHZ).
mehr »

Gewalterfahrung im Lokaljournalismus

In Deutschland hat sich die Zahl der gewalttätigen Übergriffe auf Journalist*innen deutlich erhöht. Viele der Übergriffe finden am Rande von Demonstrationen statt. Der Thüringer Journalist Fabian Klaus recherchiert zu Rechtsextremismus und wird deshalb bedroht. Mit M sprach er über zunehmende Bedrohungslagen im Lokaljournalismus und die Unterstützung aus den Redaktionen.
mehr »