Verhaftet – verschollen – verschachert?

Andrej Babizkij – Hintergrund zu einem Skandal

Den ersten tschetschenischen Krieg verlor nicht das Militär; den ersten Krieg verlor die russische Regierung. Sie verlor ihn gegen die öffentliche Meinung im Lande, für die der tschetschenische Widerstand gegen die versuchte Besetzung der nach Unabhängigkeit strebenden Republik durch Truppen des Kreml noch den Charakter des gerechten Kampfes um Souveränität trug.

Die öffentliche Meinung – das waren vor allem die Medien. Nicht ein Tag verging ohne Enthüllungen zum tschetschenischen Krieg im Fernsehen und in der Presse.

Diesmal ist alles anders. In den zweiten tschetschenischen Krieg stolperte der Kreml keineswegs unvorbereitet hinein, so konnte man es von dem geschassten Ministerpräsidenten Sergej Stepaschin hören, der nicht dazu bereit war und seinen Platz deshalb für Wladimir Putin räumen musste. Die Freiheit, welche die Medien sich 1996 ertrotzt hatten, ist dem gewichen, was man in Russland heute als „käuflichen Journalismus“ beklagt – Pressefreiheit nur insoweit, als die von Clans bestimmten Medien sich gegenseitig relativieren.

Schließlich hat Tschetschenien den Bonus eines Hoffnungsträgers, zumindest aber jenen, ein Ausdruck allgemeiner Unzufriedenheit zu sein, verloren. Geiselnahme, Menschenhandel und wachsender Terror haben dazu geführt, dass selbst der „Fonds Glasnost“ Journalisten davor warnte, in Tschetschenien zu arbeiten, weil, so Alexej Simonow vom Fonds, „inzwischen die Tschetschenen das Vertrauen der jurnalistischen Gemeinschaft verloren haben“.

Der Fall des Journalisten Andrej Babizkij, Mitarbeiter von „Radio Liberty“, den russische Stellen – keiner weiß angeblich, welche – seit fast einem Monat haben verschwinden lassen, zeigt nun, dass auch die von Putin geführte neue Regierung mit den Medien eine andere Gangart vorlegen will: Nicht mehr käufliche Selbstzensur, sondern der Einsatz brutalen staatlichen Drucks soll in Zukunft Wohlverhalten erzeugen.

Andrej Babizkij war einer der wenigen, welche der offiziellen Propagandalinie der russischen Militärführung vom sauberen Krieg mit Tatsachen widersprachen, die er jenseits der russischen Linien recherchierte: Durch ihn erfuhr die russische Öffentlichkeit von der hässlichen Seite des Krieges, von zivilen Opfer in den Städten, von Massakern in Dörfern, Genaueres über die Zahl der Opfer auf Seiten der russischen Soldaten.

Seit dem 15. Januar meldete „Radio Liberty“ seinen Reporter als verschollen. Offizielle Stellen bestritten jede Kenntnis von seinem Aufenthalt. Der soeben von Putin zum Propagandachef für Tschetschenien ernannte Sergeij Jastrschemskij erklärte, man habe Babizkij nicht schützen können, da er ohne gültige Papiere im Kriegsgebiet unterwegs sei. Ein hoher Vertreter des Generalstaatsanwalts wurde eigens nach Tschetschenien in Bewegung gesetzt, um den „Fall Babizkij“ vor Ort zu prüfen und den Reporter, wenn er sich nicht stellen sollte, zur Fahndung auszuschreiben.

Zwei Wochen später, am 29. Januar „wurde bekannt“, dass Andrej Babizkij schon am 16. Januar, als er Grosny verlassen wollte, vom russischen Militär verhaftet und seitdem an wechselnden Orten im Norden Tschetscheniens gefangengehalten werde, angeblich, weil er ohne gültige Papiere, das heißt, Akkreditierung, angetroffen worden sei.

Die Begründungen wechseln wie das Wetter: Vor seiner Verhaftung war Andrej Babizkij von Armeeführung und Innenminsterium öffentlich beschuldigt worden, einseitig über den Krieg zu berichten und das Handwerk eines „Henkers“ ausüben zu wollen. In seiner Moskauer Wohnung wurden Fotos und Filme von der Polizei beschlagnahmt. Nach der Verhaftung beschuldigte man ihn der Mitgliedschaft in tschetschenischen Verbänden.

Proteste des Senders, der Besuch der amerikanischen Außenministerin Albright in Moskau veranlassten den Kreml zu dem Versprechen, den Andrej Babizkij freizulassen, wenn er sich zukünftig in Moskau aufhalten werde. Wladmir Putin erklärte laut Jastrschemskij die Angelegenheit zur Chefsache. Was dann geschah, ist auch für eine an Viel gewöhnte russische Öffentlichkeit kaum noch zu fassen: Geheimdienstliche Quellen spielten dem russischen Fernsehen ein Video zu, in dem gezeigt wird, wie der Reporter gegen drei Gefangene ausgetauscht wird. Der Ort ist nicht zu identifizieren, ebensowenig die Beteiligten. Sie sind, bis auf den Reporter selbst, maskiert.

Babizkij sei im Austausch gegen russische Gefangene einem tschetschenischen Kommando übergeben worden, ließ das Innenministerium dazu verlauten und der stellvertretende Innenminister rechtfertigte die Aktion damit, er sei jederzeit bereit „zehn Babizkijs gegen einen Soldaten“ auszutauschen.

Seitdem hebt eine Meldung zum Verbleib Babizkijs die nächste auf: Von tschetschenischer Seite wurde die Aktion zunächst bestritten, das Video als Fälschung bezeichnet; dann wurde sie durch einen Sprecher Maschadows bestätigt. Man werde dafür Sorge tragen, dass Babizkij ins westliche Ausland ausreisen könne. Gleich sprach der Außenminister Maschadows dem angeblichen Sprecher jede Legitimation ab und bestritt die Aktion. Zuverlässige Nachrichten, wo Babizkij sich befindet und in welcher Verfassung er ist, gibt es bisher nicht. Ein zweites Video zeigte ihn erschöpft und mit Anzeichen von Misshandlungen. Seine Angehörigen fürchten um sein Leben.

Auch wenn Andrej Babizkij morgen freigelassen werden sollte, so geht das Exempel, das hier statuiert wird, doch weit über seinen eigenen Fall hinaus: Der Öffentlichkeit, in Sonderheit den Journalisten wird demonstriert, wozu eine Regierung Putin bereit ist, um ihre Version der Wahrheit durchzusetzen. Die Öffentlichkeit ihrerseits, die der Kreml so heftig darauf eingeschworen hat, dass alle Tschetschenen Banditen seien, zeigt sich geschockt darüber, dass die Regierung einen russischen Staatsbürger an solche Banditen ausliefert.


  • Kai Ehlers arbeitet als freier Journalist in Hamburg und beschäftigt sich seit Jahren mit der politischen Entwicklung und der Mediensituation in Russland.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gemeinsame Standards für Medienfreiheit

In Brüssel wird der European Media Freedom Act (EMFA) bereits als "Beginn einer neuen Ära" zelebriert. Ziel der Verordnung ist es, die Unabhängigkeit und Vielfalt journalistischer Medien in der EU in vielfacher Hinsicht zu stärken. Doch wie er von den Mitgliedsstaaten  - vor allem dort, wo etwa die Pressefreiheit gefährdet ist wie Ungarn und der Slowakei - umgesetzt wird, zeigt sich erst im kommenden Sommer.
mehr »

Rundfunkreform mit vielen Fragezeichen

Bis zuletzt hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ein Ende der Blockade einer Beitragserhöhung durch die Ministerpräsidenten der Länder gehofft. Die Verweigerungshaltung der Politik ließ ihnen am Ende keine Wahl: Am 19. November kündigten ARD und ZDF eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an, um ihren Anspruch auf die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) errechnete Empfehlung einer Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich durchzusetzen.
mehr »

Eine Stimme für afghanische Mädchen

Die iranische Filmemacherin Sarvnaz Alambeigi begleitet in ihrem Dokumentarfilm „Maydegol“ über viele Jahre eine junge Muay-Thai-Boxerin aus Afghanistan, die im Iran unter schwierigen Umständen für ein selbstbestimmtes Leben kämpft. Im Interview erzählt Alambeigi, welche Rolle das Kopftuch für den Film spielt, was sie von der jungen Generation gelernt hat und warum der Film endet, bevor Maydegol endlich gelingt, was sie sich wünscht.
mehr »

Klimaprotest erreicht Abendprogramm

Am 20. August 2018, setzte sich die damals 15jährige Greta Thunberg mit dem Schild “Skolstrejk för Klimatet“ vor das Parlament in Stockholm. Das war die Geburtsstunde von Fridays for Future (FFF) – einer Bewegung, die nach ersten Medienberichten international schnell anwuchs. Drei Jahre zuvor hatte sich die Staatengemeinschaft auf der Pariser Klimakonferenz (COP 21) völkerrechtlich verbindlich darauf geeinigt, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
mehr »