Massenhafter Stellenabbau beim spanischen Staatsrundfunk
Dass eine Sanierung Not tut, das war beim spanischen Staatsrundfunk Radio Televisión Española (RTVE) allen klar. Doch das hat keiner erwartet. Die staatliche Industrie-Holding SEPI, der die Anstalt unterstellt ist, hat einen Plan. Die Belegschaft soll in den kommenden zwei Jahren von bisher 9.200 auf 4.855 Mitarbeiter gekürzt werden. Das ist ein Stellenabbau von 39 Prozent der dem Beamtetenstatus angeglichenen Fernsehmacher und 44 Prozent der Angestellten und künstlerischen Mitarbeiter. Am 5. April streikte die Belegschaft gegen die drastischen Kürzungen. Radio und TV sendeten 24 Stunden lang ein Minimum an aktuellen Nachrichten. Die restliche Zeit liefen Musik und Wiederholungen.
Der Stellenabbau soll soweit wie möglich durch eine Vorruhestandsregelung und durch Abfindungen für diejenigen, die freiwillig kündigen, erreicht werden. Die Begründung für den harten Eingriff: RTVE steht mit 7,6 Milliarden Euro in der Kreide. Jahr für Jahr kommen weitere 600 Millionen hinzu. Allein für die durch die Schulden verursachten Zinsen fallen zwischen 155 und 200 Millionen an.
„Das ist ein brutaler Todesstoß für RTVE“, beschwert sich Macarena Montesinos. Die konservative Politikerin sitzt in der parlamentarischen Kontrollkommission für Rundfunk und Fernsehen. Ihr ehemaliger Kommissionskollege José Manual Martínez Medem von der Vereinigten Linken sieht das ähnlich. Die Krise sei künstlich herbeigeführt. „Die Schulden sind nicht von RTVE. Es handelt sich um Staatsschulden, denn die Regierungen, egal ob von den Sozialisten oder von den Konservativen, haben die Anstalt dazu gezwungen, sich zu verschulden – mit Staatsbürgschaft anstatt die gesetzlich vorgesehene Subvention auszuzahlen.“
Martínez Medem verweist damit auf das eigenwillige Finanzkonzept, das bei RTVE seit 20 Jahren angewandt wird. Zwar steht im Gesetz, dass die Anstalt neben den Werbeeinnahmen aus dem Staatshaushalt finanziert wird, doch statt die Subventionen auszuzahlen, wurden RTVE ständig neue Schulden genehmigt. Die roten Zahlen häuften sich, ohne den Staatshaushalt direkt zu belasten. Damit wurde das Haushaltsdefizit gesenkt, um die Maastrichter Kriterien für die Einführung des Euros zu erfüllen. Vor zwei Jahren kam Brüssel den Spaniern auf die Schliche und schob dem Ganzen einen Riegel vor.
RTVE stand nicht immer so tief in der Kreide. Bevor Mitte der 80er die öffentlichen Regionalsender und Anfang der 90er Jahre drei private Mitbewerber – Antena 3, TeleCinco und das Bezahlfernsehen Canal+ – in den Äther gingen, nahm RTVE über Werbung oft mehr ein, als für den Betrieb der Anstalt ausgegeben wurde. Doch mit dem Ende des Monopols begannen die Werbeinnahmen zu sinken. Heute decken sie nur noch 57 Prozent der Betriebskosten. Der Staat steuert weitere vier Prozent hinzu. Der Rest wird über das Schuldensystem finanziert.
Dieses Jahr hat die sozialistische Regierung von José Luis Zapatero im Staatshaushalt mit 575 Millionen Euro erstmals eine nennenswerte Summe für RTVE eingeräumt. Das Geld ist allerdings nur eine einmalige Zahlung und an die Bedingung gebunden, die Anstalt „gesundzuschrumpfen“. Was die Regierung verschweigt: Rechnet man die Schulden von RTVE um, beläuft sich dies nicht einmal auf ein Sechstel dessen, was zum Beispiel die Deutschen oder die Briten im gleichen Zeitraum mittels Rundfunkgebühren für ihre öffentlichen Anstalten aufbringen.
Eine sichere Finanzierung für RTVE ist auch künftig nicht in Sicht. Zwar wird im eigens von der Regierung eingesetzten „Komitee der Weisen“, das die Reformen für ein qualitativ, besseres öffentliches Fernsehen ausarbeiten soll, auch über die Einführung von Rundfunkgebühren debattiert. Doch die Regierung traut sich an eine solche Maßnahme nicht heran. Gebühren gelten als zu unpopulär.
„Der Personalabbau wird dazu führen, dass wir kaum noch selbst Programme produzieren können“, ist sich der Sprecher des Betriebsrates bei RTVE, Marcel Camacho, sicher. Die Programme müssten dann künftig außer Haus von privaten Produktionsgesellschaften hergestellt werden. 4.855 verbleibende Mitarbeiter klingt viel. Doch RTVE ist ein Riesenkonzern. Neben TVE 1 und La 2 unterhält der Sender zwei internationale Kanäle, den Sender 24 horas, der über Satellit rund um die Uhr Nachrichten auf Spanisch in alle Welt sendet sowie vier thematische Kanäle. Hinzu kommen die sechs Radioprogramme von RNE. Vom normalen Radio 1 über Klassik, Rock und Pop bis hin zum Nachrichtensender Radio 5 und dem Weltsender.
„Mit diesen Finanzen und einer so dünnen Personaldecke müssen ganze Bereiche geschlossen werden“, sagt Camacho. Das betreffe unter anderem die Regionalredaktionen. „Das wird dazu führen, dass die Nachrichten immer mehr aus hauptstädtischer Sicht gemacht werden.“ Außerdem soll es künftig weniger Kinofilme, weniger Serien und weniger Sport geben. Nachrichtensendungen und Kinderprogramme sollen im Gegenzug ausgebaut werden. „Beschränkung auf das Wesentliche eines öffentlichen Fernsehens“, wird diese Politik genannt.
„Damit geht unsere Zuschauerquote endgültig in den Keller“, ist sich Camacho sicher. Die beiden Sender von TVE liegen zusammengenommen bei um die 22 Prozent Einschaltquote. Die beiden großen Privatsender Antena 3 und TeleCinco liegen jeweils gleich auf. Alle großen Tageszeitungen sind sich einig, wenn es ums Abspecken bei RTVE geht. Die Anstalt sei viel zu groß, die Produktionskosten zu hoch und die staatliche Finanzierung verzerre den Wettbewerb, lauten die Schlagzeilen. Kein Wunder, die meisten Blätter sind mit Privatsendern verbunden oder haben Projekte für das terrestrische Digitalfernsehen. Sie würden sich gerne den Marktanteil TVE einverleiben.
Bei nicht unerheblichen Teilen der Bevölkerung stößt die Kritik an RTVE auf Zustimmung. Die Anstalt hat einen großen Teil ihres einst guten Rufes aus den ersten Jahren der Demokratie eingebüsst. Heute gilt sie vielen wieder als „die Stimme ihres Herrn“, als Regierungssprachrohr. Anders als in den meisten europäischen Ländern wird RTVE nicht wirklich unabhängig verwaltet. Die Kontrollkommission von RTVE ist ein Spiegelbild des Parlaments. Wer in der Volksvertretung die Mehrheit hat, hat auch das Sagen bei RTVE. Die Nachrichten werden von der Regierung – egal welcher politischer Couleur – schamlos benutzt, um Vorfälle totzuschweigen oder eigene Erfolge hochzuspielen.
In den letzten Jahren sank zudem die Qualität der Programme. Um mit den Privaten auf dem Werbemarkt zu konkurrieren, nahm auch bei TVE das Trash-Fernsehen – Realityshows, Herz-Schmerz-Programme, Testimonios, etc. – zu. „Diese Programme bedienen die primitivsten Instinkte der Zuschauer. Dazu werden regelrechte Monster aufgebaut“, erklärt Mariola Cubells. Sie ist Pionierin dieser Art von Fernsehen. Acht Jahre lang arbeitete die junge Journalistin im öffentlichen Regionalsender von Valencia, Canal 9, wo gleich mehrere der Formate erfunden und erprobt wurden, die heute alle nachahmen. Dann kamen die Zweifel und der Ausstieg. Mit ihrem Buch: „¡Mírame, tonto!“ (Schau her, Dummkopf!), ermöglicht sie einen Blick hinter die Kulissen. Sie zeigt, wie die Gäste gezielt dazu gebracht werden, zu weinen, zu schreien oder andere Menschen zu beleidigen. In jedem Sender gibt es eine Kartei mit Personen, die dafür bekannt sind, dass sie in Talkshows spontan besonders sexistische Sprüche, Rassistisches, oder Arrogantes von sich geben.
TVE möchte aus diesem Teufelskreis aussteigen. „Wir können nicht mitbieten in einem Konkurrenzkampf, der versucht die Inhalte des anderen noch zu unterbieten. Televisión Española kann keinen offenen und beleidigenden Sex bringen, wir können keine Aggressivität, Gewalt oder Verhalten senden, das gegen die Gleichberechtigung der Geschlechter verstößt, Minderheiten diskriminiert, oder die Gewalt gegen Frauen zum Spektakel macht“, erklärt die TVE-Direktorin Carmen Caffarel. Der Professorin für Medien- und Kommunikationswissenschaften, die eigens eingesetzt wurde, um die Anstalt zu reformieren, schwebt ein Programm vor, das „Vorbild ist bei der Information und damit die Führung erreicht“. Das öffentliche Fernsehen soll „Paradigma für Qualität, Pluralität, kulturelle Vielfalt und die Verbreitung von Werten“ sein.