Neue BBC-Guidelines verändern den britischen Journalismus
Um nachdrücklich die Glaubwürdigkeit von Meldungen und Artikeln zu vermitteln, ist der Zusatz „nach Angaben der BBC“ oder „wie die BBC meldet“ in vielen deutschen Nachrichtenredaktionen zu einem Standardsatz geworden. Was die BBC in Radio, TV und Online berichtet und meldet, muss richtig und wahr sein. BBC-Affären haben an dieser Einschätzung nichts geändert. In Deutschland gilt die BBC weiterhin als hehres Vorbild für journalistische Unabhängigkeit, Glaubwürdigkeit und Außendarstellung in der Öffentlichkeit. Es gilt abzuwarten, inwieweit die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland ihrem Vorbild mit den neuen Richtlinien folgen.
Die 27.000 BBC-Mitarbeiter sind felsenfest davon überzeugt, dass die journalistisch- ethischen Grundlagen der BBC den weltweit guten Ruf der „Beeb“ – wie die BBC kurz genannt wird – ausmachen. Seit dem 25. Juli 2005 gelten die neuen „Editorial Guidelines“. Sie lösen die immer wieder überarbeiteten „Producers‘ Guidelines“ ab. Die von der „Editorial Policies Unit“, der neuen redaktionellen Richtlinien Task Force der BBC, in gut neun Monaten erarbeiteten neuen Guidelines sind die Konsequenz aus den BBC-Auseinandersetzungen der letzten Monate und Jahre. In 19 Kapiteln legt das neue dunkelrote Guidelines-Handbuch auf 226 eng beschriebenen Seiten die zukünftigen BBC-Werte und Standards fest (www.bbc.co.uk/guidelines/editorialguidelines/).
Keine Schnellschüsse mehr
Der neue BBC-Grund- und Leitsatz dürfte viele deutsche Redaktionsvorstellungen von aktueller Berichterstattung tief erschüttern. Er lautet: „For the BBC accuracy is more important than speed and it is often more than a question of getting the facts right.“ Auf gut deutsch: Journalistische Schnellschüsse sind strikt untersagt. Erst wenn Daten und Fakten einer Meldung, eines Berichts akkurat und umfassend recherchiert sind, wenn sie Hand und Fuß haben und schließlich vom CvD bzw. Teamchef abgesegnet sind, gehen sie ins Programm. Dass Konkurrenten dadurch in Zukunft eine aktuelle Meldung vielleicht zuerst haben könnten, wird von der BBC in Kauf genommen.
Die neuen Editorial Guidelines legen daher vier Grundregeln für die journalistische BBC Arbeit fest:
- Informationen müssen „first hand“ gesammelt werden, also direkt von Personen, die glaubwürdig sind oder die aufgrund ihrer Stellung dazu berechtigt sind, grundlegende Informationen zu geben.
- Jede Information muss von mindestens zwei, besser drei Quellen, bestätigt werden. Ist das nicht möglich, muss die „single source“, die alleinige Quelle namentlich ausdrücklich genannt werden.
- Alle Gespräche mit „Quellen“ müssen elektronisch oder digital aufgenommen werden. Ist das nicht möglich oder könnte dadurch die Quelle kompromittiert werden, ist jeder BBC-Journalist angewiesen, ab sofort genaue schriftliche Aufzeichnungen über „Quellen“-Informationsgespräche zu verfassen, anhand derer wörtliche Zitate bzw. die Grundlage für das Entstehen einer Meldung, eines Berichts nachvollzogen werden können.
- Alle Agenturmeldungen müssen durch BBC-Reporter bzw. Korrespondenten bestätigt werden. Bei Nachrichtenagenturen, die weltweit einen journalistisch guten Ruf haben, können Ausnahmen gemacht werden.
Um diesen Geboten Genüge zu tun, hat die BBC eine neue journalistische Arbeitsweise festgeschrieben : „Scripting“. Kein Bericht, keine Meldung und vor allem auch kein Livegespräch mit Reportern und Korrespondenten geht mehr auf den Sender, wenn es nicht vorher per Manuskript einem Senior Broadcast Journalist oder Editor vorliegt bzw. von diesen Redaktions-Teamleadern gecheckt und dann abgesegnet worden ist. Bei Livegesprächen werden die wichtigsten Grundzüge und Inhalte vorher schriftlich festgelegt. Daran muss sich dann jeder Reporter und Moderator strikt halten. Zur Erinnerung: Durch die sehr freie, spontane und persönliche Einschätzung eines BBC-Reporters in einem morgendlichen Radio Live Gespräch begann die Auseinandersetzung zwischen BBC und Regierung, die schließlich zum Untersuchungsbericht durch den Lordrichter Hutton führte. BBC-Radio 4 Chefreporter Andrew Gilligan hatte live und spontan auf Nachfrage des Moderators behauptet, die britische Regierung habe Unterlagen aufgemotzt, damit das Parlament dem Eintritt in den Irak Krieg zustimme. Mit dem Scripting soll dies in Zukunft verhindert werden. Es soll gewährleisten, dass Reporter / Korrespondenten sich in der Berichterstattung ausschließlich auf das Zusammentragen von Daten und Fakten, auf die Recherche beschränken. Persönliche Anmerkungen oder gar Bewertungen des Recherchierten sind strikt untersagt. Kommentierende Berichte oder persönliche Kommentare wie z. B. in den ARD- Tagesthemen sind seit jeher in den BBC-Programmen nicht erlaubt!
Das Gebot der Neutralität
In den neuen Guidelines werden sechs eng beschriebene Seiten dem Kapitel. „Neutralität und Meinungsvielfalt“ – ein weiteres wichtiges Standbein der BBC-Berichterstattung – gewidmet. Um diese Neutralität zu gewährleisten, müssen sich viele berühmte BBC-Radio und TV-VIPS zukünftig an ganz neue Umstände gewöhnen. Ab sofort ist es jedem BBC-Journalisten untersagt, für konkurrierende Medien zu arbeiten. Gemeint ist damit die für viele Starjournalisten in der Vergangenheit sehr einträgliche Zeitungs-Nebenbeschäftigung. Zeitungs-Kolumnen mit persönlichen Kommentaren zum politischen Geschehen sind mit den neuen BBC-Editorial Guidelines nicht mehr vereinbar. BBC-Journalisten dürfen in ihrer eigentlichen „öffentlich-rechtlichen“ journalistischen Arbeit nicht mehr angreifbar und müssen daher strikt „neutral“, sein.
Vor diesem Hintergrund legen die neuen Richtlinien auch den Umgang mit Werbung sehr genau fest. Die Überschrift der elf Seiten zu diesem Themenbereich bringt die neue BBC-Einschätzung auf den Punkt, darunter Kapital 13: „Redaktionelle Integrität und Unabhängigkeit“. Die zwei wichtigsten Grundsätze lauten ab sofort: „Es darf auf gar keinen Fall Product Placement in BBC-Sendungen stattfinden“ und „Aktivitäten von BBC-Mitarbeitern außerhalb der BBC dürfen in keiner Weise BBC-Programme und Entscheidungsfindungen in der BBC beeinflussen“.
Eine weitere Feststellung ist besonders interessant mit Blick auf die Geschehnisse um die Werbung in eigenproduzierten ARD-Sportprogrammen. Sie lautet: „Wir dürfen in TV- und Radioprogrammen niemals Produkte und Dienstleistungen als Gegenleistung für Geldzahlungen, Dienstleistungen oder Ähnliches präsentieren. Das ist Product Placement. Im Bereich der EU sind solche Vorgehensweisen illegal.“ Diese fett gedruckte Feststellung des öffentlich-rechtlichen Senders BBC müsste demnach auch für ARD und ZDF inklusive ihrer Töchter-Produktionsfirmen gelten.
Für den Umgang von BBC-Mitarbeitern mit der Werbung z. B. bei Sport Events, Rockkonzerten oder anderen Großveranstaltungs-Produktionen werden künftig sehr genaue, jederzeit nachvollziehbare und damit transparente Produktionsetats eingefordert. Alle Finanzmittel von außerhalb der BBC müssen im Produktionsplan deutlich und getrennt aufgeführt werden. Transportkosten, Übernachtungen sowie alle Einrichtungen, die z. B. bei Livesendungen von der BBC genutzt werden, werden von der BBC selbst bezahlt. Jede finanzielle Unterstützung eines Unternehmens für BBC-Sendungen, etwa bei der Übertragung von Rockkonzerten, muss veröffentlicht und vor Vertragsabschluss mit der Editorial Policy Unit und den BBC-Rechtsanwälten eindeutig festgelegt werden. Kein BBC-Journalist darf in diesem sensiblen Bereich eigenmächtige Entscheidungen treffen oder gar joint ventures mit Privatunternehmen eingehen oder Leistungen gegen Geldzahlung vereinbaren. Ohne die Editorial Policy Unit, die Redaktions- Politik- Abteilung, geht in den BBC-Programmbereichen zukünftig nichts mehr. Die von BBC-Generaldirektor Mark Thompson neu gegründete Unit hat für alle internen Journalismus-Fragen und alle Außenkontakte der BBC die letzte und endgültige Entscheidungsbefugnis.
Offenlegung alles Persönlichen
Um wirklich keine Zweifel entstehen zu lassen, fordert die BBC in Zukunft von allen fest angestellten wie freien Mitarbeitern/ Produktionsgesellschaften die Offenlegung aller persönlichen Interessen oder Beziehungen, die eine Zusammenarbeit in BBC-Programmen beeinträchtigen, besser: kompromittieren könnten. Jeder eventuell vorhandene Interessenkonflikt muss mit den Vorgesetzten zweifelsfrei geklärt werden. Freie Mitarbeiter / Produktionsgesellschaften werden in Zukunft über Produktions- und Mitarbeiterverträge „gezwungen“, ihre persönlichen Interessen zu erklären. In der Praxis sieht das dann so aus: Kurz nach der Veröffentlichung der Guidelines erhielten 12.000 freie Mitarbeiter und Produktionsgesellschaften neue Verträge. Darin mussten sie sich verpflichten, in Zukunft die neuen BBC-Regeln ohne Wenn und Aber einzuhalten.
Udo Seiwert-Fauti, Edinburgh