Weltweit erste Online-Gewerkschaft

Schweizer //syndikat ist nur einen Mausklick von Mitgliedern und Interessierten entfernt – wie das konkret funktioniert, erzählt Mitbegründer Beat Ringger

Was unterscheidet //syndikat von anderen Gewerkschaften?

Beat Ringger: Wir sind heute rund dreißig aktive syndikalistinnen und syndikalisten, und wir haben die Chance, auf der Grünen Wiese eine neue Gewerkschaft aufzubauen und dabei quasi „neu zu erfinden“, was Gewerkschaft ist. Zwei Dinge machen wir anders. Erstens: Für uns ist das Internet eine zentrale Drehscheibe. Auf unserer Web-Site finden Sie zum Beispiel verschiedene Online-Ratgeber zu Themen wie Arbeitsrecht, Löhne, Datenschutz am Arbeitsplatz, Freelancer. Sie finden da auch ganz neu den Lohnchecker, eine Anwendung, in der die Leute anonym ihr Lohnprofil eingeben und damit helfen, Löhne transparent und vergleichbar machen. Und so weiter. Mit dieser Website sind wir immer nur einen Mausklick von Mitgliedern und Interessierten entfernt. Zweitens: Gewerkschaft ist für uns keine Leidensgemeinschaft von Menschen, die unter ihrer Arbeit stöhnen. Dieses Image haben leider viele bestehende Gewerkschaften in der Schweiz. Gewerkschaft ist für uns vielmehr ein Netzwerk von Leuten, die gemeinsam aus der Arbeit das Beste für ihr Leben herausholen wollen. Dehalb läuft unsere Mitgliederwerbekampagne unter dem Motto „Schoggi-Jobs für alle“ (Schoggi ist Schweizerdeutsch für Schokolade).

Wie stehen die etablierten Gewerkschaften zu //syndikat?

Von der größten Schweizer Gewerkschaft, der Gewerkschaft Bau und Industrie (GBI), haben wir eine entscheidende Starthilfe bekommen, ohne die wir gar nicht hätten loslegen können: 120.000 Franken als Spende und weitere 180.000 Franken als Darlehen. Diese Hilfe ist völlig uneigennützig und an keine Auflagen gebunden. Bei anderen Gewerkschaften lösen wir gemischte Reaktionen aus. Da ist Angst vor Konkurrenz – und gleichzeitig doch die Hoffnung, dass wir erfolgreich sein werden.

An wen richtet sich //syndikat?

In erster Linie an Leute aus der Web- und IT-Branche. Typische Mitglieder sind etwa der 28jährige, selbstständige Web-Publisher und die 45jährige gestandene IT-Spezialistin.

Wie sind Ihre ersten Erfahrungen?

Uns gibt es jetzt seit drei Monaten, und wir zählen 300 Mitglieder. In diesen Tagen starten wir eine breite Kampagne zur Mitgliederwerbung mit breit gestreutem Versand per Post und mit neuen Online-Angeboten. Unser Ziel: 1000 Mitglieder bis Ende des Jahres. Gleichzeitig wollen wir mit einer neuen öffentlichen Kampagne „I love my privacy“ die Aufmerksamkeit auf den mangelnden Datenschutz am Arbeitsplatz lenken. Wir fordern dabei unter anderem ein Verbot von Schnüffelsoftware wie Key Loggern und Web Spionen. //syndikat stößt auf großes Interesse. Neue Mitglieder kommen jedoch auch bei uns nicht von selbst. Wir müssen die Leute davon überzeugen, dass wir nützlich sind und dass man uns braucht.

Was sind die häufigsten Probleme, mit denen sich Kollegen an Sie wenden?

Drei Themen tauchen am häufigsten auf: Die ausufernden Arbeitszeiten in vielen IT-Jobs, die Unsicherheit über angemessene Löhne v.a. im Bereich Web-Publishing, die E-Mail-Überwachung am Arbeitsplatz.

Wohin soll die Reise gehen? Wie sieht //syndikat in – sagen wir – zwei Jahren aus?

Unsere Vision: Wir sind in Bewegung und lösen Bewegung aus. IT- und Web-Leute empfinden es mehr und mehr als Ausdruck einer professionellen Haltung, sich bei uns zu organisieren. Wir sind in der Gesellschaft ein wichtiger Player, wenn es um Datenschutzfragen geht. Wir sind konfliktfähig, können unsere Mitglieder am Arbeitsplatz wirksam vertreten und sind notfalls auch streikfähig. Freelancer vernetzen sich mit Vorzug in //syndikat. Wir verkörpern die andere Zukunft der Informationsgesellschaft: Vernetzung zur Stärkung des Kollektivs, zur Wiederbelebung solidarischer Werte.


 

Das Gespräch führte Charlotte Schmitz

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Das Schicksal von Toshiko Sasaki

Als am 31. August 1946 das us-amerikanische Magazin „The New Yorker“ an den Zeitungskiosken auslag, verriet das Titelblatt in keinster Weise, welche Geschichte im Heftinneren auf den Leser wartete. Die Vorderseite des Einbands stammte wie so oft von dem New Yorker Künstler Charles E. Martin und zeigte eine friedliche Parklandschaft, in der Menschen spielen, tanzen oder spazierengehen. Drinnen aber entfaltete sich in einer Reportage mit dem Titel „Hiroshima“das  Grauen, das dem Abwurf der ersten Atombombe am 6. August 1945 über Japan folgte.
mehr »

Rechte Gratiszeitungen machen Meinung

In Ostdeutschland verbreiten kostenlose Anzeigenblätter zunehmend rechte Narrative – etwa der Hauke-Verlag in Brandenburg. Unter dem Deckmantel von Lokaljournalismus mischen sich Werbung, Verschwörungserzählungen und AfD-Propaganda. Möglich wird das auch wegen der Krise des Lokaljournalismus: Wo es kaum noch Medienvielfalt gibt, füllen rechte Angebote die Lücken.
mehr »

Kuba: Pressearbeit in der Krise

Kubas unabhängiger Journalismus steckt in der Krise. Auf der einen Seite sind etliche Berichterstatter*innen ausgewandert, auf der anderen ist der Druck von offizieller Seite hoch. Noch gravierender ist, dass Donald Trump die Organisation US-Aid aufgelöst hat, die etliche Redaktionen auf der Insel, aber auch in Honduras, Nicaragua oder  Guatemala unterstützt hat. Verantwortliche Redakteure suchen nun nach anderen Geldgebern.
mehr »

RSF: Einsatz für Journalisten in Gaza

Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert vor der geplanten Israel-Reise von Außenminister Johann Wadephul die Bundesregierung auf, sich endlich für Journalistinnen und Journalisten im Gaza-Streifen einzusetzen. Schon seit langem gibt es so gut wie keine unabhängige Berichterstattung und für palästinensische Medienschaffende vor Ort sind die Bedingungen lebensgefährlich. Seit Kriegsbeginn wurden mehr als 200 Medienschaffende getötet - der Großteil bei Bombardierungen durch das israelische Militär.
mehr »