Anzeigenkunden üben massiven Druck auf Lokalzeitungen aus
In Großbritannien tobt eine Medien-Krise, kein Medium, weder Print, Radio oder Fernsehen ist davon ausgenommen. Am schlimmsten trifft es den Lokaljournalismus. Weltwirtschaftskrise, kapitalistische Ausbeutungspolitik der Medienkonzerne und dubiose Handlungsweisen der Politik ergeben ein Gemisch, welches in einem Jobmassaker mündet. Selbst bei überregionalen Zeitungen führt dies mittlerweile zu Streiks.
Bei den zur Trinity Mirror Gruppe gehörenden Zeitungen Daily Record und der Sunday Mail in Glasgow, Schottland, kam es zu Arbeitsniederlegungen. Hier sollen 70 Stellen abgebaut, 24 Journalisten sofort entlassen werden.
Laut Aussage des für Nordengland zuständigen Hauptamtlichen der britischen Journalistengewerkschaft NUJ hat die Rolle des „Chefterminators“ im Augenblick die Guardian Media Group. Die Krise der Guardian Gruppe versinnbildlicht in vielerlei Hinsicht, was gerade in der Medienindustrie schief läuft. Die Guardian Gruppe erhebt den Anspruch, anders zu sein als die anderen Verlagshäuser. Sie gibt die als linksliberal geltende Tageszeitung The Guardian heraus. Geführt wird die Gruppe nicht von Aktionären oder Privatunternehmern, sondern vom Scott Trust. Dessen Aufgabe ist es, die verlegerischen Ideale des Guardian Gründers zu bewahren und die finanzielle Unabhängigkeit des Guardian zu garantieren. Alle Profite sollen in die Tageszeitung The Guardian rückinvesitiert werden.
Im Finanzjahr 2007/08 machte die Guardian Media Group 306,7 Millionen Pfund Profit (Rund 339 Millionen Euro). Dieser Profit wurde nicht durch die Tageszeitung The Guardian erwirtschaftet, denn die macht jährlich Verluste. Die Gewinne der Guardian Media Group kommen von den Lokalzeitungen. Lokalzeitungen wie zum Beispiel die Manchester Evening News. Diese Profite werden zum einen aus dem Anzeigenmarkt generiert, zum anderen durch die rabiate Durchsetzung von Niedriglöhnen.
Während Alan Rusbridger, Mitglied des Vorstandes des Scott Trusts und Chefredakteur des Guardians im vergangenen Jahr 401.000 Pfund (rund 443.000 Euro) verdiente, mussten sich Journalisten der Manchester Evening News für Jahre mit einer Einfrierung ihrer Löhne begnügen. Teilweise liegen die Löhne von erfahrenen Journalisten bei der Guardian Gruppe knapp über 20.000 Pfund (22.000 Euro). Mark Dodson, Chief Executive der Regionalmediensektion von Guardian Media verdiente derweil 403.000 Pfund (rund 445.000 Euro) im Jahr 2008.
Im vergangenen Jahr wurden auch die Lokalzeitungen der Guardian Gruppe vom Abschwung im Anzeigenmarkt betroffen. Also führt die Guardian Gruppe weit reichende Kürzungen durch. Alle 14 Büros der wöchentlich erscheinenden Stadtteilzeitungen in Großraum Manchester werden geschlossen. Bei der Manchester Evening News selbst sollen 11 Journalisten entlassen werden. Insgesamt werden bei Guardian Media in Manchester 78 Stellen abgebaut. In Südengland will Guardian Media über 90 Stellen streichen. Das der Zeitung angeschlossene Fernsehprojekt Channel M, noch am 28. April von Spiegel Online als Erfolgsprojekt gepriesen, soll über die Hälfte aller Angestellten verlieren. Das sind 41 von 74 Beschäftigten. Wie bei den „normalen“ kapitalistischen Zeitungsgruppen zahlen die Beschäftigten, nicht die Manager der Guardian Gruppe den Preis für die Krise.
Der Löwenanteil des Anzeigenmarktes für Lokalzeitungen wie die Manchester Evening News wird in Großbritannien von öffentlichen Körperschaften wie dem Gesundheitssystem, hauptsächlich aber von der Stadtverwaltung getragen. Die Stadtverwaltungen der Kommunen Salford und Manchester, sowie der Satellitenstädte Stockport, Bury, Bolton und Trafford sind ein Hauptarbeitgeber der Region und als solche Hauptanzeigenkunden. Viele britische Lokalzeitungen sind somit de fakto von der öffentlichen Hand abhängig. Beginnt die öffentliche Hand wie jetzt in Zeiten wirtschaftlicher Krise ein rabiates Sparprogramm, sinkt die Profitrate für Lokalzeitungen. Dies ist zum Beispiel in Leeds der Fall, wo Journalisten der zur Johnston Gruppe gehörenden Zeitungen Yorkshire Post und Yorkshire Evening Post zwei Wochen lang streikten um eine Entlassungswelle zu vermeiden.
Es gibt aber auch politische Gründe für den schwächelnden Anzeigenmarkt. Die Kommune Salford weigerte sich beispielsweise in den vergangenen Jahren, im zur Guardian Gruppe gehörenden Salford Advertiser Anzeigen zu schalten. Das Büro des Salford Advertisers gehört zu denen, die nun geschlossen werden. Steven Kingston vom Salford Star machte ähnliche Erfahrungen. Auch seinem Magazin verweigerte die Kommune Salford die „Unterstützung“. Der Salford Star gewann unter anderem den renommierten Paul Foot Preis für Investigativjournalismus für seine Enthüllungen über das korrupte Verhältnis zwischen Stadtverwaltung und Bauindustrie, sowie die systematische Vertreibung von einkommensschwachen Bevölkerungsschichten aus Salford. Der Vorsitzende des Stadtrates in Salford, John Merry, begründete die Verweigerung von Geldern für den Salford Star so: „Der Salford Star wollte keine Restriktionen darüber akzeptieren, was publiziert wird und was nicht.“
Ähnliches beklagen auch die Journalisten der Guardian Media Gruppe in Manchester. Viele wiesen am 28. März auf einer von über 100 Menschen besuchten Protestveranstaltung gegen die Schließungen darauf hin, dass die Kommune Salford systematisch Anzeigenschaltungen verweigert, weil im Salford Advertiser missliebige Artikel veröffentlicht wurden. Profitgier auf der Seite der Unternehmer und Zensurgeist auf der Seite der Politik vernichten die Lokalpresse. Entscheidungsprozesse der Lokalpolitik über die Schließung von Krankenhäusern, die Privatisierung öffentlicher Wohnungen oder kommende Sparmaßnahmen im Budget werden nicht mehr journalistisch bearbeitet, weil die notwenigen Arbeitskräfte auf die Straße gesetzt werden.