Journalistin an der Spitze der Betriebsräte im Axel-Springer-Konzern
Axel-Springer Haus, Berlin-Kreuzberg. Bis zum Büro von Petra Pulver müssen sehr weite, sehr große Flure zurückgelegt werden. Unzählige Türen tragen die Aufschrift „Personalentwicklung“. Auch die Konzern- und Gesamtbetriebsratsvorsitzende hat ein großes Büro. An der Wand hängt Roland Beiers drollige Karl-Marx-Karikatur aus der Wendezeit und über dem Besprechungstisch eine dieser Fotocollagen, die einem zum Geburtstag oder anderen Jubiläen überreicht werden.
Der große Schreibtisch ist voll, doch als meine Gesprächspartnerin mir später eine Unterlage heraussuchen will, weiß sie sofort, auf welchem Stapel sie zu finden ist. Jetzt springt Petra Pulver auf und schüttelt Hände. Eine attraktive Powerfrau, die sich ihre eigene Form von Business-Dress erlaubt: kein Kostümchen in dunkelblau, sie trägt weiße Jeans mit Strass an der Naht, ein flottes Top und sommerliche Bluse. „Ich war gerade in Urlaub“, sagt sie, „mal drei Wochen raus aus dem Laden, das braucht man auch“.
Denn einfach war das zurückliegende Jahr nicht. Zwar seien sie bei Springer – verglichen mit anderen Verlagen – „mit einem blauen Auge davongekommen“, sagt Pulver. Dennoch gab es harte Verhandlungen. Auf der Tagesordnung Monster wie das Rationalisierungsschutzabkommen: „Dabei war das oberste Gebot: Arbeitsplätze erhalten! Wir haben Maßnahmen vereinbart wie Qualifikation, Umschulung, Ausgleichszahlungen bei Schichtverlusten; es gibt eine Umzugsregelung, falls Kollegen den Arbeitsplatz wechseln müssen. Das hatten wir jetzt gerade bei Bild und Bild am Sonntag. Dann konnten wir die Abfindungsregelungen fast verdoppeln, und wir haben erreicht, dass die Gesamtbetriebsvereinbarung auch für die Unternehmensteile greift, die ausgegründet werden.“
Dann noch der Streit mit dem Vorstand wegen der VarioRente, einem Modell der betrieblichen Altersversorgung. Die für drei Jahre garantierte Sechs-Prozent-Verzinsung der Beiträge „war nicht einfach durchzukriegen“. Bei solchen Verhandlungen hat es die Vorsitzende überwiegend mit Männern zu tun. Auch im Axel-Springer-Vorstand sind Frauen Mangelware. Da braucht es diplomatisches Geschick, Überzeugungsvermögen, Hartnäckigkeit, und – Petra Pulver reibt ihre Kuppen aneinander – Fingerspitzengefühl.
Zur Entspannung Mord
Daher kam der Urlaub grade recht. Eine Woche Berlin, dann für zwei Wochen ab nach Menorca. Im Gepäck auf keinen Fall Arbeit! Schon gar nicht den Blackberry. Stattdessen Krimis. Stieg Larsson, Gillian Hoffman, richtig harten Mörderstoff. „Ich bin eine leidenschaftliche Krimileserin“, schwärmt die ehemalige Studentin der Kriminologie, Soziologie und Psychologie. Damals war ihr Ziel Randgruppenbetreuung beim Landes- oder Bundeskriminalamt, doch „die wollten damals weder Soziologen noch Frauen“, lacht sie heute.
Das war in Bonn, Mitte der 70er. Petra Pulver ist Jahrgang 1957 und in München, dann in Bonn aufgewachsen. Kein Dialekt hat sich an sie kletten können, eher noch würde man ihr Hochdeutsch in Hannover ansiedeln. Ihre Studienzeit war die Zeit der Quereinsteiger, der Kundgebungen und Juso-Gruppen: „Man war halt sehr politisiert“, erinnert Pulver sich. „Aber ich war auch Klassensprecherin, Schulsprecherin, Jugendleiterin der Kirchengemeinde. Ich konnte Ungerechtigkeiten partout nicht ertragen und wollte dagegen was tun – das zieht sich durch mein ganzes Leben“.
Nur ein WG-Typ war Petra Pulver nie, stets bestand sie auf eigene vier Wände. Und dann die Musik damals. Vor allem die rheinische Jazz- und Rockszene, die Abende in der Jazzgalerie Bonn, auf den Kölner Rheinterrassen oder die Kneipen in der Südstadt, wo man BAP und Grönemeyer noch zum Anfassen hatte. Doch am nächsten Tag wurde es immer wieder ernst. Anfang der 80er begann sie als studentische Aushilfe in der Bonner Redaktion der Welt und arbeitete mehr als üblich. Nur fest anstellen wollte man sie nicht. „Aber ich wollte einen festen Vertrag“, sagt sie. Nach drei Jahren hatte sie ihn mit Hilfe des damaligen Betriebsrats durchgesetzt. „Ich glaube, so kommt man zur Betriebsratsarbeit – durch die Erfahrung von Ungerechtigkeit am eigenen Leib“, weiß die heute ranghöchste Interessenvertreterin im Axel-Springer-Konzern.
Im Jahre 1992 dann der Umzug der Welt-Redaktion von Bonn nach Berlin. Petra Pulver bewarb sich um die Schlussredaktion, bekam den Job und wurde Betriebsratsvorsitzende bei der Welt und etwas später auch bei der Welt am Sonntag. Doch damals waren da noch Ullstein mit der Berliner Morgenpost und der BZ sowie Bild Berlin und neue Bundesländer: „Es waren also drei Betriebsratsgremien vor Ort“. Also entschied man sich 2002 zur Wahl eines gemeinsamen Standort-Betriebsrats, an dessen Spitze Petra Pulver.
Leicht war die Umstellung auf freigestellte Betriebsratsvorsitzende des Verlagshauses Berlin nicht. Aus der quirligen Redaktionsarbeit in die hauptberufliche Interessenvertretung: „Früher war abends die Arbeit erledigt. Heute gehe ich nach Hause und gar nichts ist erledigt. Wenn ich von Umstrukturierungsmaßnahmen höre, dann nehme ich mir die Unterlagen abends mit und überlege: Welche Alternativen gibt es, in welche Richtung sollen wir verhandeln? Das lässt einen nicht los“.
Heute ist ihr Tag „durchgetaktet“: 200 Mails, Gespräche, Beratungen mit Kolleg/innen, Verhandlungen und Sitzungen mit Geschäftsleitungen, Gremien und Gruppen. „Spannend“ ist Petras bevorzugte Vokabel, wenn etwas sie besonders reizt. Spannend und herausfordernd findet sie ihre Arbeit, auch wenn sie für ein Privatleben kaum Zeit hat und die Dämonen der Arbeitswelt sie bis in den Abend hinein jagen. Ein schlechtes Gewissen packt sie manchmal, wenn sie denkt: Menschenskinder, du musst auch mal was für dich tun und dich mehr um deine Freunde kümmern. Das hat sie sich jetzt fest vorgenommen. „Meine persönliche Zielvereinbarung“ nennt sie es und lacht verlegen.