Thomas Schulers Biografie über „Die Mohns“
Der Millionär, der als Tellerwäscher anfing, ist in Deutschland ein seltenes Märchen. Dennoch, eine ehemalige Telefonistin ist heute „Königin von Gütersloh“. Wie sie es schaffte, den Bertelsmann-Konzern zu beherrschen, erzählt Thomas Schuler ebenso unterhaltsam wie informativ in seinem Buch über „Die Mohns“.
Es war im November 1982, da schlichen sich Reinhard Mohn, 61, und die 20 Jahre jüngere Elisabeth, geborene Beckmann, geschiedene Scholz, durch die Hintertür ins Rathaus zu Gütersloh, um zu heiraten. Seine erste Frau hatte Mohn fünf Jahre vorher verlassen. Als Magdalene Mohn von einer Kur nach Hause kam, fehlten seine Kleidung und ein Ledersessel. Dafür lag auf dem Tisch ein Brief, in dem stand: „Unsere Ehe war ein Irrtum.“
Reinhard und Elisabeth „Liz“ Mohn kannten sich, seit sie auf einem Betriebsfest „Reise nach Jerusalem“ gespielt hatten. Er hatte viele Affären, aber mit Liz hatte er auch drei Kinder, so viele wie mit Magdalene. Brigitte, Christoph und Andreas glaubten lange, Joachim Scholz sei ihr Vater, ein Kinderbuchlektor bei Bertelsmann, der Elisabeth heiratete. „Im sauberen Mittelklasse-Gütersloh hatte man keine illegitimen Kinder“, spottet Andreas. Die Fassade dieser Scheinehe hielt. Obwohl „Vater Joachim“ das Haus verlassen oder im Keller schlafen musste, wann immer „Onkel Reinhard“ kam, erfuhren die Kinder erst nach der Scheidung, dass der Onkel ihr Vater war. Da waren Andreas 12, Christoph 14 und Brigitte 16 Jahre alt.
Geht uns das etwas an? Darf ein Journalist über das Privatleben eines Unternehmers schreiben? Er darf, er muss! Dass Heinrich Mohn Mitglied der SS war und zwei Kinder der NSDAP angehörten und die Hitlerjugend bei den Mohns einen Versammlungsraum hatten, ist keine Privatangelegenheit. Auch die Tatsache, dass Bertelsmann Helden- und Blut-und-Boden-Literatur in Millionenauflage druckte, schlug schon vor Jahren Wellen. Dass der alte Mohn nach dem Krieg mit Wissen von Reinhard Mohn Dokumente fälschte, zeugte ebenso nicht gerade von einem vorbildlichen gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstsein, allerdings von Unternehmergeist, denn ohne diesen Betrug hätten die Mohns keine Lizenz zum Drucken erhalten.
Schweigen wäre auch falsch verstandene Diskretion, wenn einflussreiche Menschen Wasser predigen und Wein saufen, wenn sie lügen und verschweigen, um ihre saubere Familie als Vorbild zu inszenieren. Das ist bei den Mohns geschehen: Nachdem Liz Mohn vor drei Jahren ihr Buch „Liebe öffnet Herzen“ veröffentlich hatte, holte sich Reinhard Mohns älterer Bruder Sigbert bei Bertelsmann ein Exemplar des „Märchenbuchs“ ab, wie er es nannte. „Warum schilderte sie detailliert ihr Leben und erwähnte dabei ihre erste Ehe mit keinem Wort?“, fragte Sigbert.
Das Privatleben der Mohns ist relevant für die Zukunft eines Weltkonzerns mit 18 Milliarden Euro Umsatz (RTL Group, Verlag Random House, Stern). Ob nämlich Reinhard Mohn, inzwischen 82 Jahre alt, das Geschehen noch überblickt, erscheint nicht nur Schuler fraglich. Er hat Liz zur Familiensprecherin in der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft gemacht, dem eigentlichen Machtzentrum. Sie trug dazu bei, dass der Bertelsmann-Aufsichtsratsvorsitzende Gerd Schulte-Hillen gehen musste, auch beim Abservieren der Bertelsmann-Manager Thomas Middelhoff, Vorstandschef bis zum Sommer 2002, und Mark Wössner soll sie eine entscheidende Rolle gespielt haben.
Nun sieht Schuler Bertelsmann auf dem Weg zu einem „Dreigestirn“ der Macht: Liz‘ Sohn Christoph, Vorstandschef von Lycos Europe, rückt in den Vorstand auf. Tochter Brigitte Mohn übernimmt die Führung der Bertelsmann-Stiftung, deren Rolle Schuler ebenfalls kritisch beleuchtet. Und Liz wacht als Mitglied des Aufsichtsrats, des Präsidiums der Stiftung und der achtköpfigen Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft über allem.
Thomas Schuler meint: „Es sieht so aus, als sei Bertelsmann auf dem Weg, ein ganz normales Unternehmen in der Hand einer ganz normalen Familie zu werden.“