„Lady dju“

Bundesgeschäftsführerin Ulrike Maercks-Franzen lässt nicht locker

Sie äußert sich zu Tariffragen, zu Datenschutz und Informationsfreiheitsgesetz. Zu Qualitäts- und Ausbildungsfragen im Journalismus ebenso wie zur Abgrenzung von PR. Für bedrohte ausländische Kolleginnen und Kollegen hat sie sich eingesetzt, zum ungarischen Mediengesetz Stellung bezogen und auch hierzulande permanent die Pressefreiheit verteidigt. Immer steht ihr Name für das Amt: seit ver.di-Gründung ist Ulrike Maercks-Franzen „Lady dju“. Nun muss sie die Bundesgeschäftsführung wohl abgeben. Am 26. Februar wurde sie 65. Aber – noch ist, trotz frühzeitiger Bemühungen, die richtige Nachfolge nicht gefunden worden. Deshalb hat sie sich bereit erklärt, noch bis zum November zu bleiben.


Ihre öffentlichen Statements kann jeder nachlesen, Privates über die Person Uli Maercks-Franzen kaum. Schon gar nichts darüber, wie sie sich, immer mit Herzblut für die Gewerkschaft und ihr Feld engagiert, nun fühlt, da sie von der Arbeit lassen soll. Tatsächlich hat sie schon Punkte auf einer To-Do-Liste, für die Zeit „danach“. Durch einige Funktionen – die im Deutschen Presserat, beim Versorgungswerk der Presse oder in internationalen Gremien bei IJF und EJF – ist ein langsameres Ausschleichen gesichert. Und nun wird sie ja auch den 25. dju-Journalistentag noch organisieren, als zehnten in eigener Verantwortung.
Dabei hat sie bis zur Rente schon „unendlich viel gearbeitet“, mehr, als sie sich „jemals hätte träumen lassen“ – mit einem zeitweise „mörderischen“ Pensum an Wochenstunden und, nicht nur als ihre Kinder klein waren, oft auch nachts. Das ging, weil sie trotz allem „immer Glück hatte“. Sie durfte Dinge machen, mit denen sie sich voll identifizierte, familiärer Hintergrund und Arbeitsteilung ließen solches Engagement zu.
„Wir wollen alles!“ – Beruf, Familie und politische Einmischung – das Motto sprach Ulrike schon früh aus dem frauenbewegten Herzen. Um es auch zu leben, lud sie sich Verantwortung klaglos auf. Schon als AstA-Kulturreferentin Mitte der siebziger Jahre in Bonn. Politisiert war sie bereits seit der Schulzeit, die Studentenbewegung teilte sie, „aufgeschrecktes Bürgerkind“, zunächst eher zuhörend. Den Mord an Benno Ohnesorg bei der Anti-Schah-Demo am 2. Juni 1967 in (West)Berlin erlebte sie fast als Augenzeugin mit. Als mit zunehmendem Wissen – sie studierte Germanistik, Geschichte, Kunstgeschichte und Philosophie – auch das Selbstbewusstsein hinzukam, gab es für das Energiebündel kein Halten mehr.

Rheinische Frohnatur

Mehrere Gaben haben ihr das Leben erleichtert und berufliche Wege geebnet: Sie ist eine rheinische Frohnatur, hat mimisches Talent, sprüht vor Phantasie und Kreativität, kann organisieren und strukturiert arbeiten, ist kommunikativ. Und sie liebt Papier – ganz besonders bedrucktes und solches, für dessen Gestaltung sie selbst verantwortlich zeichnet. Letzteres war ihr weder in die Wiege gelegt noch schien sie als Deutsch- und Geschichtslehrerin dafür ausgebildet. Doch es hat sich ergeben, als sie, zuvor Mitarbeiterin der kleinen, linken Filmverleihfirma unidoc und Mitglied der Rundfunk-, Film- und Fernseh-Union (RFFU) 1984 in München bei der Zeitschrift Hörfunk-Fernsehen-Film der Gewerkschaft Kunst im DGB die ausgeschriebene Redakteursstelle bekam, zunächst auf Honorarbasis und halbtags. Sie arbeitete alleinverantwortlich, konnte das aber nur schaffen, weil ihr nacheinander zwei ehrenamtliche Chefredakteure – Jürgen Schröder-Jahn und Axel Becker viel Handwerkszeug vermittelten. Den Gestaltungswillen brachte sie schon selbst ein.
Nach Gründung der IG Medien verantwortete die Redakteurin dann bei Publizistik und Kunst die Bereiche Rundfunk, Film, Fernsehen und Printjournalismus, in engster Busenfeindschaft mit ihrem für Literatur, darstellende und bildende Kunst zuständigen Kollegen. Dank thematischer Profilierung der IG-Medien-Zeitschriften ergab sich die Chance, erstmals eine Zeitschrift von Beginn an zu konzipieren und – auch formal – allein zu verantworten. M Menschen Machen Medien, 1994 aus der Taufe gehoben, bezeichnet Ulrike als ihr „Baby“. Dieses Kind forderte neuerlich Herzblut, Energie und Zeit, gestattete ihr aber, sehr frei und unabhängig zu arbeiten. Selbst IG Medien-Vorsitzender Detlef Hensche habe stets erst das gedruckte Heft zu Gesicht bekommen. Insgesamt 18 Jahre hat „UMF“ Gewerkschaftspresse gemacht, sich das Hirn zermartert, mal die rechte und mal die linke Hand in Gips getragen – nie ist jemals eine Ausgabe ausgefallen.
Dass sie 2001 die M dennoch aus ihrer Obhut entlassen und mit 56 Jahren „einen neuen Beruf angefangen“ hat, lag an der ver.di-Gründung und daran, dass die Stelle des dju-Bundesgeschäftsführers vakant wurde. Ulrike sah ihre Bewerbung als logische Konsequenz und „Fortführung der Sache mit andern Mitteln“. Schließlich war sie mit der inhaltlichen Arbeit der Journalistenvertretung lange vertraut, kannte die handelnden Personen und hatte nicht nur berichterstattend an Vorstandsarbeit teilgenommen. Nun konnte sie noch aktiver politisch eingreifen, fand es reizvoll, Inhalte und Themen nicht über ein Medium vermittelt, sondern ganz direkt für Menschen und Gruppen umzusetzen. „Etliche Veränderungen gelingen wirklich, auch wenn langer Atem und viele Mitstreiter nötig sind“, ist ihr Fazit. Um die Vergütungsregeln für Freie etwa wurde sieben Jahre verhandelt, nun muss noch eine Fair-Pay-Kampagne gegen den Verleger-Boykott her. Die Berufsauffassung wandelt sich mühsam, aber erkennbar, auch die Qualitätsdebatten auf den dju-Journalistentagen trugen dazu bei. Die Organisation dieses jährlichen Branchentreffs galt der Bundesgeschäftsführerin als „ideale Mischung von Politik, Kreativität und Organisation“. Doch nun naht für „Lady dju“ der Schlussapplaus. Soweit, dass das strapazierte Publikum ihren Abgang gar ersehnen könnte, lässt sie es nicht kommen. Die Situation hat sie bereits als junges Ding an der Schulbühne abgearbeitet, als sie Dürrenmatts alte Dame gab. Wer sie kennt, hört zur Pointe das schallende Lachen.

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