Pionier des Politmagazins

Gert von Paczensky: Der Erfinder von „Panorama“ wird 80

Gerd von Paczensky ist ein sehr freundlicher Mann, oft verschmitzt, häufig ironisch. Aber dass die ARD ihre Politikmagazine kürzen will, findet er nicht komisch, sondern „unerhört, ein Skandal. Das Ergebnis des mutmaßlich schlechten Geschmacks der ARD-Programmverantwortlichen.

Es ist ein Rätsel, warum die sich zu Gefangenen der Quote machen und diesen falschen Stolz auf gute Quoten haben.“ Die BBC, weiß der ehemalige Londonkorrespondent, hat sich unter privater Konkurrenz modernisiert, ohne kritischen Journalismus aufzugeben. „Aber bei uns sehe ich das Versagen der Sachwalter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens darin, angesichts der kommerziellen Sender nicht die journalistischen Stärken zu betonen.“

Bücher über die Dritte Welt

Seit fast 60 Jahren ist Pacz, wie ihn nicht nur Freunde nennen, ein kritischer Journalist, der bis heute mit dem Etikett „Linksintellektueller“ keine Probleme hat. Er war seit 1946 unter anderem 12 Jahre bei der „Welt“, bevor die durch Springer auf Kalten-Kriegs-Kurs eingeschworen wurde, auch mal stellvertretender Stern-Chefredakteur und Chefredakteur von Radio Bremen. Berühmt geworden ist von Paczensky als Erfinder („es waren aber mehrere beteiligt“) von „Panorama“, seitdem gilt er als Pionier des kritischen Fernsehjournalismus. Er machte das regierungskritische Magazin zu einer aufklärerischen Institution im Adenauer-Deutschland. Die Bild-Kampagne „Der Spitzbart muß weg“ wurde zum geflügelten Wort, der „Spitzbart“ ging von selber. Von Paczensky war oft und gerne der erste mit einer Idee, aber auch der erste, der ging, wenn ihm etwas nicht paßte oder ihm einer rein redete, immer konsequent, wenn er sich parteipolitisch vereinnahmt oder gegängelt fühlte. „Es gibt auch heute kritische Journalisten, aber wenige. Die Verleger sind noch mächtiger geworden und lassen nichts ins Blatt, das Anzeigenkunden ärgert.“ Außerdem: „Zeitungsjournalisten wurden schon immer lausig bezahlt.“

Drei Jahrzehnte war von Paczensky ein „begeisterter Restauranttester“, auch auf diesem journalistischen Feld gehört er zu den Pionieren. Vor zwei Jahren war Schluß mit den Kolumnen in „essen & trinken“. „Seit ich aufgehört habe, mich für das Thema interessieren zu müssen, interessiert es mich schlagartig nicht mehr“, schmunzelt der Ehrenbürger von Cognac, „ich entdecke eine Vorliebe für Frikadellen und deutsche Landgasthäuser und lese keine Restaurantkritiken mehr.“ Die „Kulturgeschichte des Essens und Trinkens“, die er gemeinsam mit seiner Frau, der Schriftstellerin Anna Dünnebier, geschrieben hat, dokumentiert seine über das Kritisieren hinausgehende Lust am Thema ebenso wie die Bücher über Cognac, Champagner, französische Küche. Sein „wichtigstes Anliegen, mein wichtigstes Thema“ aber war immer die sogenannte Dritte Welt. „Da bin ich fanatisch interessiert. Was die Europäer den Entwicklungsländern angetan haben, müssten sie gut machen, anstatt irgendwelchen diktatorischen Halunken Geld hinterherzuwerfen.“ Aus diesem lebenslangen Interesse sind Bücher und Filme über die Verheerungen durch die Mission („ein wenig erfolgreiches Buch“) und die Geschichte des Kolonialismus, über den Algerienkrieg und die Rolle der Ölkonzerne entstanden. Diese Themen werden mit seinem Namen freilich kaum verbunden, was ihn ein bißchen wurmt. Das Dreivierteljahr 1974 als witziger Moderator der legendären Talkshow „III nach 9“ mit Marianne Koch und Wolfgang Menge haben „die Leute besser im Gedächtnis als meine Arbeit über den Algerienkrieg“. Es war aber „leicht, anders zu sein als die anderen, weil es keine Talkshows gab“.

Es ist nie zu spät

Heute sieht der in Köln lebende Publizist sehr wenig fern, meistens schon die Politmagazine. Abends arbeitet er, hört viel Radio, liest gründlich die „Emma“ seiner Freundin Alice Schwarzer, deren Biografie er gemeinsam mit seiner Frau geschrieben hat. Gerade beginnt er zum wiederholten Male James Joyce „Ulysses“ zu lesen, „ein Dauerbrenner, aber irgendwann schaffe ich das“. Der im August 80jährige schreibt, recherchiert stundenlang im Internet. Ein neues Buch mit dem Arbeitstitel „Die Ernährungsmafia“ ist fertig. Es klärt über die Verquickungen zwischen Pharmaindustrie, Medizin und Medizinjournalismus bei der Kampagne gegen angeblich schädliches Cholesterin und für Cholesterinsenker auf. Das PEN-Mitglied ist vor 12 Jahren aus dem Verband Deutscher Schriftsteller aus nicht prinzipiellen Gründen ausgetreten, Anfang der 90er Jahre war er Bundesvorstandsmitglied. Seine Frau ist Vorsitzende des VS-NRW in ver.di und dessen stellvertretende Bundesvorsitzende. Eigentlich, findet Pacz, hätte er längst wieder eintreten sollen. „Zu spät ist das nie.“ Zumal er sich „zutiefst über den schrecklichen Sozialabbau durch die sozialdemokratische Regierung“ ärgert.

 

 

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