„Polarisiert habe ich nie“

Heribert Stratmann, wiedergewählter WDR-Personalratsvorsitzender

„Erfahrung für die Zukunft: Heri Stratmann – guter Rat ist ver.di“: Der Wahlslogan des verdi-Betriebsverbandes bei der jüngsten Personalratswahl im WDR ist wahrer als Wahlslogans normalerweise sind. Denn Heribert Stratmann, den niemand Heribert nennt, ist sozusagen von Herkunft her Gewerkschafter, mit einem für einen Personalratsvorsitzenden im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht gerade typischen Weg: Der Vater war wie der Großvater Bergmann in Essen, die Ehrenurkunde für 40jährige Mitgliedschaft in der IG Bergbau und Energie steht bei seinem Sohn im Büro und es war selbstverständlich, dass der Industrieelektroniker und Elektromeister („Mein Vater wollte nicht, dass wir in den Pütt gehen. Zu gefährlich.“) sich schon während seiner Lehre als Jugendvertreter um die Interessen seiner Kollegen kümmerte. Zehn Jahre als Betriebsratsmitglied und drei Jahre als Betriebsratsvorsitzender in einem mittelständischen metallverarbeitenden Betrieb mit 350 Leuten lagen hinter ihm, als er 1980 beim WDR in der Abteilung Senderbetriebstechnik beim Sender Langenberg anfing. „Das war anfangs sehr schwierig für mich, auf einer Außenstelle ohne Kontakt zu den Strukturen des Betriebes, zu den Kollegen und zur Gewerkschaft zu arbeiten.“

Für fairen Umgang mit Älteren

Er kam sich ein bisschen verloren vor und setzt sich auch deshalb dafür ein, dass ver.di möglichst früh neue Kollege/innen anspricht. Nach einer gewerkschaftlichen „Auszeit“, der Familiengründung und dem Hausbau in Essen geschuldet, ging er wieder dahin, wo er in seinem Arbeitsleben immer gewesen war: In die betriebliche Interessenvertretung. Seit 1993 im Personalrat und seit 1996 freigestellt ist er seit 2003 Personalratsvorsitzender. In dieses Amt ist der parteilose 57jährige gerade wiedergewählt worden, das Ergebnis war für ver.di „ganz toll“: 356 Stimmen hinzugewonnen, fast 60 Prozent aller Wählerstimmen, 13 von 21 Sitzen. Für die nächsten vier Jahre steht das Thema „Älterwerden im Betrieb“ ganz obenan. Das derzeitige Durchschnittsalter der Belegschaft ist 45,7 Jahre. Drei Viertel der Belegschaft ist 40 Jahre und älter. „Es ist Zeit für eine neue Altersteilzeit- und Vorruhestandsregelung und Zeit für strategische Überlegungen, wie der WDR in Zukunft mit einer immer älteren Belegschaft fair umgehen muss.“ Stratmann vermerkt wachsenden Beratungsbedarf der Kollegen/innen und eine große Unsicherheit: „Die Belastung durch Arbeitsverdichtung auch bei Jüngeren nimmt rapide zu, viele Stellen werden nicht nachbesetzt, viele Leute sind ausgebrannt.“ Ideen für eine Vorruhestandsregelung hat er: „Wir haben schon früher auf die Essensmarken verzichtet und die Gehaltsauszahlung auf das Monatsende verschoben. Das Geld aus dem Zinsgewinn ist eigentlich da.“
Heri Stratmann ist keiner, der polarisiert. Er sucht den Kompromiss und findet, „dass das viel schwieriger ist, als wenn man auf den Tisch haut und bestimmt, wo es langgeht. Ich will die Truppe zusammenhalten.“ Seine Art ist es zuzuhören, mitentscheiden zu lassen, alle zu beteiligen, den Ausgleich zu finden. Sauer wird so ein in sich ruhender Ruhrpöttler, wenn ihm Jemand „hintenrum kommt. Wenn einer nicht offen ist, mich verarscht.“ Als Mitglied im Tarifausschuss des Betriebsverbandes findet er „vertrauensvolle Verhandlungen müssen vertrauensvoll bleiben“ und ärgert sich über so manchen Hierarchen, der Diskretes indiskret behandelt.
Heri Stratmann findet es wichtig, dass der „gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk sich als Arbeitgeber anders verhält als ein gewinnorientiertes Unternehmen. Da müssen wir als Personalrat sehr aufpassen. Beispielsweise bei der Leiharbeit. Sie ist ok, wenn es um Spitzenbelastungsausgleich geht. Aber sie ist nicht ok, wenn wir fast schon zwei Belegschaften mit unterschiedlichen Rechten haben.“ Genau hingucken, abwägen, differenzieren: Das ist ein Prinzip des nach wie vor im Herzen des Ruhrgebiets lebenden Stratmann: „Die Zusammenarbeit des WDR mit der WAZ ist so ein Beispiel, das man sehr vorsichtig beurteilen und differenziert betrachten muss.“ Dass der WDR massenattraktive Programme wie Fußball oder Olympia braucht, ist selbstverständlich, „aber nicht um jeden Preis und bestimmt nicht um den Preis der Sparversion für anspruchsvolle Programme“. Stratmann selber ist eingefleischter „Tatort“- und „Monitor“-Fan und zappt sich auch gerne durch die Programme, „ich muß ja wissen, was die anderen machen“.

Manchmal auf „Schleppschicht“

Sein Ausgleich zum anstrengenden Job ist neben Gartenarbeit die Musik: Unter dem Namen „Schleppschicht“ tritt Stratmann, der seit seinem 14. Lebensjahr Gitarre spielt und in seinem hauseigenen Probenraum auch ein Schlagzeug bedient, mit einem Kumpel auf. Auf bekannte Melodien schreibt er kabarettistische Texte etwa zum aktuellen kölschen Korruptionsklüngel und tritt meist auf alternativen Karnevalssitzungen in Essen und Köln auf. „Schleppschicht“ fuhren die Kumpels, wenn sie es nach einer durchzechten Nacht langsam angehen ließen. Langsam angehen kann Stratmann seine neue Amtszeit nicht. Das neue Landespersonalratsvertretungsgesetz der Rüttgers-Regierung treibt ihn um: „Wir haben kein Mitbestimmungsrecht mehr bei Umsetzungen, nicht mal ein Informationsrecht. Wir erfahren nur durch die Nachbesetzungen, wo die Leute überhaupt geblieben sind.“ Als nächstes Thema steht der Finanzausgleich der Ländersendeanstalten an. Für Stratmann, der Mitglied des WDR-Verwaltungsrates ist, eine weitere Baustelle. „Die Gefahr, dass uns die Arbeit ausgeht, besteht nicht.“

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Games: Welcome to Planet B

Die Bürgermeisterin muss sich entscheiden: Soll zuerst ein Frühwarnsystem vor Springfluten eingerichtet oder neue Möglichkeiten zum Schutz vor Hitze geplant werden? Und sollen diese neuen Schutzmaßnahmen besonders günstig oder lieber besonders nachhaltig sein? Was wie Realpolitik klingt ist ein Computerspiel. Denn immer mehr Games setzten sich auch mit Umweltthemen auseinander.
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »

Klimaleugnung in den Medien

Rechtspopulistische Bewegungen machen weltweit mobil gegen den Klimaschutz. Sie zeigen sich „skeptisch“ gegenüber dem Klimawandel und lehnen klima- und energiepolitische Maßnahmen ab. Ein Widerspruch: Obgleich „Klimaskepsis“ und die Leugnung des menschengemachten Klimawandels vielfach zentrale Positionen der politischen Rechten markieren, existieren auch gegenläufige Tendenzen in Bezug auf Umwelt- und Naturschutz. Denn auch Rechte waren stets in Umweltbewegungen zugegen. Das hat Tradition.
mehr »

Schwierige Neuanfänge für Exiljournalisten

Für Journalist*innen im Exil ist es schwer, in ihrem Beruf zu arbeiten. Gerade wenn sie aus Ländern kommen, die wenig im Fokus des öffentlichen Interesses stehen. „Ich gehöre zu den Privilegierten“, sagt Omid Rezaee im Gespräch mit M. Der heute 34-jährige ist 2012 aus dem Iran geflohen, weil er dort wegen seiner Berichterstattung verfolgt wurde.Um einer Gefängnisstrafe zu entgehen, floh er zuerst in den Irak und dann nach Deutschland. Hier lebt er seit neun Jahren und arbeitet als Journalist.
mehr »