Die europäischen Fact-Checker

Checkliste Collage

foto: 123rf

Die wichtigste Aufgabe des European Fact-Checking Standards Network: Qualitätssicherung. Mit einem eigens entwickelten Kodex und internationalen Kollaborationen will das Netzwerk, dem Nachrichtenagenturen und Medien aus ganz Europa angehören, den höchsten Standard im Fact-Checking gewährleisten. „Das beste Gegenmittel gegen Desinformation und Falschinformation ist ein gesundes Medienökosystem und guter Journalismus“, sagt EFCSN-Koordinator Stephan Mündges.

Nachdem der slowakische Ministerpräsident Robert Fico im Mai angeschossen wurde, verbreiteten sich schnell Theorien über die Hintergründe der Tat. Die Frau des Attentäters sei eine Geflüchtete aus der Ukraine, hieß es etwa in sozialen Netzwerken in der Slowakei und in Tschechien. Das stimmt nicht. Doch der Fall zeigt, dass Fake News leicht in mehreren Ländern zugleich Anklang finden. „Wir sehen, dass Des- und Falschinformationen als gesellschaftliches Problem nicht an Grenzen stoppen, sondern über Grenzen hinweggehen“, sagt Stephan Mündges. „Das macht Kollaboration wichtig.“

Mündges ist Koordinator des European Fact-Checking Standards Network (EFCSN), das sich als „die Stimme der europäischen Fact-Checker“ bezeichnet. Das EFCSN hat zurzeit 47 Mitglieder aus ganz Europa, darunter große Nachrichtenagenturen wie dpa und AFP und kleinere Teams, etwa „Myth Detector“ aus Georgien und „Re:Baltica“ aus Lettland. Zweites Mitglied aus Deutschland ist „Correctiv“.

Zentrales Anliegen ist, wie Mündges sagt, Qualitätssicherung. Man wolle die höchsten Standards im Fact-Checking gewährleisten. Dazu hat das Netzwerk einen Code of Standards erarbeitet, einen Kodex, den alle Mitglieder erfüllen müssen. Er stellt hohe Anforderungen etwa an Methodik, ethische Standards und Transparenz. Viele der Mitglieder sind auch zertifiziert vom International Fact-Checking Network (IFCN), das in den USA angesiedelt ist.

Desinformation mit Erklärstücken vorbeugen

Anlässlich der Europawahlen hat das EFCSN eine Datenbank namens Elections 24 Check ins Leben gerufen. Dort versammelt sind Recherchen der Mitgliedsorganisationen, es sind Widerlegungen („Debunking“) aktuell verbreiteter Falschinformationen und Mythen in ganz Europa, aber auch Faktenchecks zu Aussagen von Politiker*innen sowie Erklärstücke, hier „Prebunking“ genannt. Die Idee dahinter ist, die Leser*innen so gut über ein Thema zu informieren, dass sie nicht mehr für Desinformation anfällig sind. Im Rahmen des Projekts AI@EUElections, ebenfalls vor dem Hintergrund der Europawahlen entstanden, schult das EFCSN Journalist*innen darin, KI-generierte und digital veränderte Inhalte zu erkennen.

Für die Entwicklung des Code of Standards und den Start des Netzwerks gab es eine Förderung der EU-Kommission, mittlerweile finanziert sich das Netzwerk vor allem aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Für spezielle Projekte gibt es zudem Unterstützung einzelner Unternehmen. Im Falle von AI@EUElections ausgerechnet vom Facebook-Konzern Meta, dem – wie auch den anderen großen Plattformen – vorgeworfen wird, nicht konsequent genug gegen Desinformation vorzugehen.

Falschinformationen zu Ukraine und Klima

Bei allen großen Plattformen gebe es Luft nach oben, sagt Stephan Mündges dazu. Beim Fact-Checking sei Meta aber die „positive Ausnahme“, der Konzern betreibe „das einzige europaweit wirklich gut funktionierende und auch erfolgreiche Fact-Checking-Programm“.

Aktuell sind Falschinformationen zum russischen Krieg gegen die Ukraine und rund um Klima- und ökologische Themen besonders stark im Umlauf, wie Mündges beobachtet. KI-generierte Desinformation beschäftige das Netzwerk zurzeit weniger, allerdings gehe es bei dieser Art der Desinformation weniger um Masse, sagt Mündges. Eine Strategie sei es stattdessen, gezielt vorzugehen und manipulierte Inhalte so kurzfristig etwa vor einer Wahl zu veröffentlichen, dass keine Zeit mehr bleibt, darauf zu reagieren.

Mündges hat eine klare Antwort darauf, was gegen Fake News hilft: „Das beste Gegenmittel gegen Desinformation und Falschinformation ist ein gesundes Medienökosystem und guter Journalismus.“


3 entlarvte News durch den European Fact-Checking Standards Network (EFCSN)

 

1. Ursula von der Leyens Großmutter

Falschinformation

In sozialen Medien kursiert ein Foto einer Frau, die Adolf Hitler die Hand schüttelt. Angeblich soll es sich bei der Frau auf dem Foto um die Großmutter von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen handeln.

Widerlegung

Mehrere EFCSN-Mitglieder haben zu dem Fall recherchiert. Das spanische Portal „Newtral“ etwa hat das Foto im Bildarchiv Ostpreußen gefunden, dort wird als Name der Frau auf dem Foto Hildegard Zantop angegeben. „Newtral“ hat sich diese Angaben vom Archiv bestätigen lassen und den Namen auf der Ahnenforschungs-Website Geneastar mit dem Stammbaum von Ursula von der Leyen und ihrem Mann abgeglichen. Dort finde sich der Name Zantop nicht.

2. Wolodymyr Selenskyj über Charkiw

Falschinformation

In einem Videostatement soll der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, gesagt haben, dass geplant sei, die ukrainische Millionenstadt Charkiw an Russland zu übergeben. Denn die Ukraine brauche die Stadt nicht.

Widerlegung

Die Fact Checker*innen des georgischen Portals „Myth Detector“ haben das 8-sekündige Video als Fälschung enttarnt, indem sie den Ausschnitt mit bisherigen Videos von Selenskyj verglichen haben. Sie fanden heraus, dass das Bild eines authentischen Videos von Selenskyj an einer Stelle identisch mit der gefälschten 8-Sekunden-Version ist, was sie unter anderem an den Falten auf seinem Pullover erkannten. Im echten Video ist keine Rede davon, Charkiw an Russland zu übergeben. Dem Fake-Video wurde also eine bearbeitete Tonspur hinzugefügt.

 

3. Verbot von Toilettenpapier

Falschinformation

Angebliche Verbote der EU sind ein beliebter Inhalt von Falschinformationen. In Polen schaffte es die Behauptung, dass die EU Toilettenpapier verbieten will, sogar in die Nachrichten eines regionalen TV-Senders.

Widerlegung

Die polnische Redaktion der Nachrichtenagentur AFP widmete der falschen Behauptung einen ausführlichen Beitrag. Zu Wort kommt ein Sprecher der EU-Kommission, der sagt, es gebe keine Pläne, weder jetzt noch in Zukunft, Toilettenpapier zu verbieten. Als möglichen Ursprung der Fake News nennt AFP einen Bericht in einem rumänischen Nachrichtenportal – dieser war allerdings ein Aprilscherz.

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