Wer hier lacht, ist selbst schuld

Satire-Zeitschriften in Spanien füllen Lücken kritischer Berichterstattung

Nach den Pariser Anschlägen auf Charlie Hebdo und ein jüdisches Geschäft sahen Staatschefs aller Länder die Gelegenheit, einen der viel zitierten „Grundwerte“ gegen die Feinde der Offenen Gesellschaft in Anschlag zu bringen und über Meinungsvielfalt und Pressefreiheit zu reden. Auch Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy von der post-franquistischen PP demonstrierte in Paris mit. Bei ihm würde jedoch niemand mit näheren Spanien-Kenntnissen auf die Idee kommen, dass ihm Meinungsvielfalt am Herzen liegt. Die Politik seiner Partei sieht da ganz anders aus.

Facu Diaz in seinem Satire-Video, in dem er die Volkspartei (PP) mit der Terrororganisation ETA verglich und ein Ende ihrer „bewaffneten Aktivitäten und Lieferung von Waffen“ ankündigte. Screenshot: youtube.com/watch?v=eE1VB1mI-ro
Facu Diaz in seinem Satire-Video, in
dem er die Volkspartei (PP) mit der
Terrororganisation ETA verglich und
ein Ende ihrer „bewaffneten Aktivitäten
und Lieferung von Waffen“ ankündigte.
Screenshot: youtube.com/watch?v=eE1VB1mI-ro

Zufälligerweise wurde am Tag des Attentats auf Charlie Hebdo der spanische Komiker Facu Diaz wegen eines Satirevideos gegen die PP verklagt – ein Video vom Juni vorigen Jahres, wohlgemerkt. Die Klage kam von der Stiftung „Würde und Gerechtigkeit“, die aus einer Vereinigung von Opfern der baskischen Terrorgruppe ETA hervorging und als der PP nahe stehend gelten kann. Diaz hatte im Stile einer ETA-Botschaft vermummt die Auflösung der seit Jahren unter größtem Korruptionsverdacht stehenden PP bekannt gegeben. Das Video ist witzig, aber unspektakulär. Dennoch: Diaz wurde Verharmlosung der ETA, Verhöhnung der Opfer und dergleichen vorgeworfen. Er musste vor dem Sondergericht, das für schwere Straftaten und Terrorismus zuständig ist, aussagen. Direkt danach wurde das Verfahren eingestellt.

Abgedroschene Vorwürfe

Was auch immer hinter der Klage stand, der Fall zeigt, womit sich allzu kritische Menschen aus Politik und Medien in Spanien so rumschlagen müssen. Der Vorwurf, mindestens implizit die ETA zu unterstützen, ist mittlerweile so abgedroschen, dass er selbst schon eine oft gebrauchte Wendung in satirischen Aussagen ist. So auch in Mongolia (Mongolei), einem der in und wegen der spanischen Medienkrise entstandenen Projekte. Die 2012 gegründete großformatige und gern auch auf der Titelseite sehr provokante Monatszeitung ist sehr beliebt geworden. Ihr Hauptinhalt ist Satire, sie hat aber auch eine große Rubrik für echte Geschichten und für investigative Recherchen, Untertitel: Wer hier lacht, ist selbst schuld. Bereits im ersten Jahr erhielt Mongolia einen Preis des Internationalen Presseclubs Spaniens für „die Verteidigung der menschlichen Werte“. In der britischen und US-amerikanischen Presse sind Artikel über sie erschienen.
Erst seit Juni 2014 gibt es das Online-Magazin Orgullo y Satisfacción (Stolz und Befriedigung). Es stellte in der Woche nach dem Attentat auf Charlie Hebdo ein ganzes Heft zum Thema gratis online. Diese Zeitschrift wurde geboren, weil das älteste und größte spanische Satiremagazin El Jueves (Der Donnerstag) bei seiner Ausgabe von Anfang Juni einen Teil der Auflage einstampfen ließ, um die Titel-Karikatur zu ändern. Sie verspottete anlässlich der anstehenden Abdankung des Königs die Krone. Wegen des Rückziehers verließen ein halbes Dutzend Leute aus Protest die Zeitschrift und gründeten Orgullo y Satisfacción.

Politikeinmischung

Beim Verlassen des Gerichts, sagte Facu Diaz, dass er seine „Solidarität“ mit den Opfern zum Ausdruck bringen wollte, und versichert, dass er nie jemanden „demütigen“ wollte. Foto: Screenshot: youtube.com/watch?v=gh5NMp6ly7g6ly7g
Beim Verlassen des Gerichts, sagte Facu Diaz, dass er seine „Solidarität“ mit den Opfern zum Ausdruck bringen wollte, und versichert, dass er nie jemanden „demütigen“ wollte.
Foto: Screenshot: youtube.com/watch?v=gh5NMp6ly7g6ly7g

Satirischen Widerstand gegen Fundamentalismen und Massenbetrug gibt es also nach wie vor in Spanien. Wie die erwähnte Mongolia-Kategorie „Reality News“ zeigt, kann dieser Widerstand mit seinen Beiträgen einige Lücken füllen, die Konzernpresse und Rundfunk offen lassen. Beim staatlichen Radio Televisión Española (RTVE) werden bisweilen nach Regierungswechseln wie in Ministerien Führungspositionen neu besetzt. Der frisch ernannte Fernseh-Regionaldirektor für Katalonien, Eladio Jareño, sorgte im Januar und Februar gleich zwei Mal für einen Aufschrei in der Branche. Zuerst wurde die Journalistin und Moderatorin Cristina Puig aus disziplinarischen Gründen mit sofortiger Wirkung entlassen. Sie wollte Anweisungen nicht befolgen. Der Gewerkschaft Comisiones Obreras zufolge ging es um die politische Ausrichtung von Sendungsgästen und um Themen, die Puig mit ihnen besprechen sollte. Kurz darauf wurde ein Verfahren gegen den bekannten Journalisten Francesc Cruanyes eröffnet, weil er nebenbei für zwei Regionalzeitungen schrieb und für eine Firma arbeitete. Das tat er allerdings schon seit Jahren. Kürzlich hatte er jedoch die Berichterstattung von RTVE in Sachen katalanische Unabhängigkeitsbewegung kritisiert. Der neue Chef Jareño hatte früher schon beim Fernsehen gearbeitet, kam aber jetzt direkt vom Posten des Pressesprechers der katalanischen PP-Spitze.
2014 gab es innerhalb weniger Monate bei den beiden größten spanischen Zeitungen, El Pais und El Mundo, Chefredakteurswechsel. Bei beiden hatte es den Anschein, dass die Geschassten der regierenden PP nicht genehm waren (siehe M 3/2014). Nichts zu deuteln hatte es 2013 gegeben, als die PP-Regionalregierung des Bundesstaates Valencia den einzigen Sender abschaltete, der im Regionaldialekt sendete, „Canal Nou“. Ein Konzept des Betriebsrates versprach einen billigeren Weiterbetrieb, wurde aber von der Regierung nicht geprüft (s. M 8/2013).

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