Ein kritischer Blick des Berliner Journalisten Holger Schmale auf die Trends der politischen Berichterstattung im Bundestags-Wahljahr
M | Alle Wahljahre wieder wird geklagt, die Politik-Berichterstattung werde immer unpolitischer. Politische Sachthemen würden marginalisiert, stattdessen dominierten sogenannte Prozessthemen, also Berichte über Wahlkampagnen, Wahlwerbung etc. Ist an dieser Klage was dran?
Holger Schmale | Ich glaube, viele Medien bemühen sich zumindest immer auch, Wahlprogramme inhaltlich aufzubereiten, zu zeigen, was die Parteien wollen und was sie unterscheidet. Insofern kann ich dem so nicht zustimmen. Unabhängig von der Wahlberichterstattung: Wenn man in den letzten Wochen schaut, was es da an großen politischen Themen gab – Prism, NSA, der Drohnen-Skandal – das ist schon eine sehr politische Berichterstattung, die wir zur Zeit haben.
Der politisch-mediale Erregungsspiegel, so konstatieren Kommunikationswissenschaftler, nimmt ständig zu. Ein zugespitztes Beispiel: Bei der letzten „Jahrhundertflut“ ging es in der Berichterstattung weniger um adäquate Gegenmaßnahmen als um die Frage, welcher Politiker mit und welcher ohne Gummistiefel am Katastrophenschauplatz auftritt …
Eine generelle Tendenz der Berichterstattung ist die Personalisierung und die Boulevardisierung von Themen. Diese Tendenz zieht sich durch alle Politikfelder, durch alle Medien. Das führt dann genau zu solchen Erscheinungen.
Die Boulevardmedien haben also kein exklusives Copyright mehr, was die Boulevardisierung der Berichterstattung angeht?
So ist es.
Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf die zunehmende Skandalisierung von Politik: Letztes Jahr traf es zum Beispiel Wulff, jetzt gerade sind de Maizière und Lammert dran, der eine allerdings tatsächlich konfrontiert mit einem handfesten Politskandal, dem gescheiterten Rüstungsprojekt Sky Hawk, der andere mit einem Plagiatsvorwurf. Brauchen die Medien alle Naselang eine neue Sau, die sie durchs Dorf treiben können?
Es sieht ganz so aus. Das hängt natürlich auch mit der Personalisierung und der Boulevardisierung zusammen. Die Tendenz zur Skandalisierung lässt sich nicht leugnen. Ursache ist der Konkurrenzdruck, wobei die digitalen Medien beschleunigend wirken. Der Themenrhythmus wird immer schneller. Dadurch wächst auch der Druck, solche Themen schnell und einfach aufzubereiten.
Trifft das alle Medien, auch die häufig als „seriöse“ Medien apostrophierte überregionale Qualitätspresse?
Eindeutig ja. Mit ganz wenigen Ausnahmen haben fast alle Medien das Problem, eine richtige Relevanzhierarchie noch zu erkennen. Was sind heute wichtige Themen, was weniger? Gelegentlich werden irrelevante Themen unter diesem Eindruck plötzlich sehr bedeutsam. Wenn etwa die Frage, ob dem ehemaligen Bundespräsidenten Wulff irgendwann einmal ein Bobbycar geschenkt wurde, plötzlich auch in seriösen Medien ernsthaft erörtert wird.
Der Verbraucher bzw. der Medienkonsument spielt da offenbar gern mit …
Es wird oft damit argumentiert, dass Medien ein Nachfrageprodukt sind. Mit einigem Recht. Wenn kein Leser-, Seher-, Hörerinteresse für solche Themen da wäre, dann gäbe es sie auch nicht.
Auf das Ansehen der Medien hat dieser Typ Journalismus aber offenbar keine positive Wirkung. Im kürzlich veröffentlichen Korruptionsbarometer von Transparency International schnitten die politischen Parteien weltweit am schlechtesten ab, auch in Deutschland. Die Medien rangierten in Sachen Glaubwürdigkeit an drittletzter Stelle, nur knapp vor den Parteien und der Privatwirtschaft, aber noch hinter der öffentlichen Verwaltung und dem Parlament. Eine deprimierende Bilanz, oder?
Wohl wahr. Das hängt auch damit zusammen, dass Politik und Medien von vielen Menschen als „eine Klasse“ betrachtet werden. Medienvertreter und Politiker erscheinen als eine Clique, die sich untereinander die Dinge zuschiebt. Unter dieser Perspektive leidet natürlich das Ansehen der Journalisten. Auch da spielen die digitalen Medien, spielt die Blogosphäre eine gewisse Rolle. Betrachtet man, auf welchem Niveau sich politische Debatten in den Diskussionsforen, etwa bei Spiegel Online, bewegen – das ist unfassbar dürftig. Ganz zu schweigen vom Bild, das dort von Politikern und Journalisten gezeichnet wird. Andererseits: Laut jüngster Media-Analyse lesen noch immer fast 60 Prozent der Deutschen Zeitungen. Die Zeitung ist also immer noch ein echtes Massenmedium. Und die „Tagesthemen“ werden jeden Abend von 2,6 Millionen Menschen gesehen. Es gibt also nach wie vor ein Millionenpublikum, das an einer ordentlichen, sauberen politischen Berichterstattung interessiert ist. Das hat schließlich auch etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun.
Gelegentlich erweckt es den Anschein, als dränge es Journalisten gerade in Wahlkampfzeiten dazu, selbst Akteur in der politischen Manege zu sein. So genannten Alpha-Journalisten wie Stern-Vize Hans-Ulrich Jörges oder dem damaligen Berliner Spiegel-Büroleiter Gabor Steingart wurde 2005 der Vorwurf gemacht, den Altkanzler Schröder nieder zu schreiben. Wie nehmen Sie das wahr?
Ich finde, es ist ein Problem, wenn Journalisten in die Rolle von Politikern schlüpfen. Und es gibt kaum Absurderes, als wenn Journalisten Journalisten zu politischen Ereignissen befragen, was in Talkshows ja häufig passiert. Hans-Ulrich Jörges spielt da eine besonders prägnante Rolle. Andererseits hat es dieses Phänomen immer gegeben. Es gab auch schon in der Bonner Republik Journalisten, die sich für die besseren Politiker gehalten haben und die auch versucht haben, Politik zu machen. Dieses Phänomen ist durchs Fernsehen, speziell durch Talkshows, nur noch auffälliger geworden. Für einen Journalisten sollte es aber nichts Wichtigeres geben als Distanz zu wahren – gerade in der Politikberichterstattung.
Gibt es eine mediale Negativkampagne gegen den aktuellen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück? Oder gehen seine schlechten Umfragewerte hauptsächlich auf eigenes Ungeschick zurück?
Natürlich trifft beides zu. Auch das hat es früher schon gegeben. Kohl wurde in seiner frühen Phase in Bonn in den Medien oft als „Birne“ bezeichnet. Neu ist der Herdentrieb, der in weiten Teilen der Medien herrscht. Das wiederum liegt daran, dass die früher ganz klar ausgeprägte politische Zuordnung wichtiger Medien mittlerweile völlig abgeschliffen ist. Früher gab es Lager: auf der einen Seite die sozialliberal orientierten Medien, auf der anderen die eher konservativen. Entsprechend ausgerichtet war die Berichterstattung. Das ist heute völlig weg. Heute regiert der Herdentrieb, alle schreiben in eine Richtung, und wer da hineingerät, so wie aktuell Steinbrück auch durch eigene Ungeschicklichkeit, dem ergeht es nicht gut. So ist die fast schon kampagnenartige Berichterstattung gegen Steinbrück zu erklären.
Nach Auffassung des Hamburger Journalistikprofessors Siegfried Weischenberg ist das bisherige Dreieck der politischen Kommunikation aus Politik, Medien und Öffentlichkeit längst zum Viereck mutiert. Immer wichtiger werde die Rolle von Demoskopen, Spin Doctors und sonstigen Kommunikationsberatern. Ist das so?
Diese fast zwanghafte Orientierung an Meinungsumfragen betrifft gleichermaßen Politiker wie Journalisten. Die ständigen Wasserstandsmeldungen, etwa die Sonntagsfrage, wirken auf die Berichterstattung zurück. Menschlich ist das nachvollziehbar – keiner ist gern auf der Verliererseite – das spielt auch bei Journalisten eine Rolle. Dieses Phänomen würde ich aber von Spin Doktoren trennen – das ist eine ganz eigene Spezies. Ob das in Deutschland so gut funktioniert, da habe ich meine Zweifel.
Als Wahlkampf-Höhepunkt wird allgemein der Showdown zwischen Merkel und Steinbrück am 1. September angesehen. Zum zweiten Mal findet dieses Duell als Gemeinschaftsveranstaltung öffentlich-rechtlicher und privater TV-Sender mit vier Moderatoren statt. Wie beurteilen Sie diese Konstellation?
Das ist natürlich ein absurdes Format. Vier Journalisten befragen zwei Politiker, die eigentlich miteinander diskutieren sollten. Und obendrein sitzt auch noch Stefan Raab dabei. Diese Konstellation ist auch eine Folge der Feigheit der Kanzlerin. Merkel hat die Debatte auf dieses eine Duell, was in Wirklichkeit keines ist, beschränkt. Warum gibt es nicht – wie in den USA – mehrere solcher Duelle, bei denen die Beteiligten tatsächlich miteinander diskutieren müssen. Mit klar abgesteckten Themen in zwei, drei Runden, vielleicht auch mit Publikum. Aber Merkel scheut diese Art von Debatte, nicht, weil sie sich ihr nicht gewachsen fühlt, sondern weil sie vermeiden will, dass Steinbrück dadurch an Aufmerksamkeit und Profil gewinnt.
Spätestens seit dem 1. Präsidentschaftswahlkampf von Obama 2008 wird auch hierzulande dem Internet eine größere politische Relevanz eingeräumt. Was für eine Figur geben Politiker und Parteien im Netz(wahlkampf) ab?
Ich glaube, das ist alles schon wesentlich professioneller geworden als noch vor einiger Zeit. Dass da aber viel stattfände, kann man wahrlich auch nicht sagen. Was in Deutschland überhaupt noch nicht funktioniert hat: Es ist noch nicht gelungen, das Internet als Mobilisierungsplattform zu benutzen. Das hat ja den Obama-Wahlkampf ausgezeichnet, Mobilisierung auch im Sinne von Spendensammeln. In Deutschland funktioniert das nicht, wurde wohl auch noch nicht probiert. Das hat möglicherweise etwas mit der andersartigen politischen Kultur zu tun. Ansonsten ist das Netz auch ein Spiegel der Realität. Wir haben überhaupt noch keine Spannung in diesem Wahlkampf. Warum sollte sich dann im Netz viel abspielen?
Müssten sich die Politiker angesichts des Bedeutungsverlusts traditioneller Medien in der jüngeren Generation nicht verstärkt um solche Kommunikationsmöglichkeiten kümmern?
Das tun sie ja. Aber die Resonanz ist nicht groß.
Auch die digitale Avantgarde gibt sich mittlerweile skeptisch – selbst der Chef der Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus, Christopher Lauer, twittert seit einem halben Jahr nicht mehr. Seine Erkenntnis: Über Zeitungen und TV-Talks erreiche man mehr Wähler – und das „mit weniger Aufwand und weniger Kollateralschäden“.
Gerade Twitter spielt aber in der politischen Kommunikation heute schon eine wesentlich größere Rolle als noch vor vier Jahren.
Michael Spreng, Ex-Berater von Edmund Stoiber, meinte vor vier Jahren, der Internetwahlkampf werde frühestens ab 2020 wirklich relevant werden. Stimmen Sie ihm da zu?
Ob es wirklich noch so lange dauert, weiß ich nicht. Aber es wird noch dauern.