Auf den letzten Drücker

Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie in deutsches Recht ohne Beiwerk

Weitergehende Wünsche, Hoffnungen und Forderungen gab und gibt es zuhauf, doch nun drängt die Zeit. Bis zum Jahresende 2002 muss die „Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts“ der Europäischen Union (M 5/2001) in deutsches Recht umgesetzt werden. Dazu hat das Bundesjustizministerium einen Gesetzentwurf ohne jegliches Beiwerk vorgelegt.

Erklärtes Ziel von Ministerin Herta Däubler-Gmelin: Das Gesetz soll noch in dieser Legislaturperiode – also vor der Bundestagswahl am 22. September – vom Parlament beschlossen werden, um dann gerade noch rechtzeitig am 1. Januar 2003 in Kraft zu treten. Damit wird nicht nur eine Klage der EU vermieden, sondern auch ein Versprechen der Ministerin an die Urheber eingelöst.

Der Zeitdruck ist enorm, denn am 7. Juli hat der jetzige Bundestag seine letzte Arbeitssitzung. Um das äußerst knappe Timing zu schaffen, hat das Ministerium in seinem „Referentenentwurf für ein Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ vom 18. März 2002 wirklich nur das aufgenommen, „was umgesetzt werden muss und wo es keinen Streit gibt“, so der zuständige Ministerialdirektor Elmar Hucko laut „Financial Times Deutschland“.

Timing gesprengt – weitere Reformen werden geschoben

Denn „Streit“ ums Urheberrecht gab es in den vergangenen Monaten genug – beim wichtigsten Reformvorhaben, der Novellierung des Urhebervertragsrechts, gegen das Verlegerverbände eine millionenschwere Kampagne entfachten (siehe M 3 / 2002). Dies hat auch das Timing für andere von der Ministerin in ihrer Grundsatzrede am 6. März 1999 den Urhebern auf dem Kongress „Kreativität ist nicht umsonst“ in Aussicht gestellte Reformvorhaben obsolet gemacht.

Nichts wird es mehr in dieser Legislaturperiode mit der Erhöhung der seit 1985 unveränderten Fotokopiervergütung wie auch der Urhebervergütungen für Geräte und Speichermedien – wie Mitte 2000 von der Bundesregierung im „2. Vergütungsbericht“ empfohlen – oder auch der gesetzlichen Klarstellung, dass solche Abgaben für PCs und Peripheriegeräte entrichtet werden müssen.

Neues Online-Recht und mehr Rechte für Künstler

Im Gesetzentwurf fehlt ebenso eine rechtliche Klarstellung, dass elektronische Pressespiegel unter die so genannte „Pressespiegel-Ausnahme“ (§ 49 Urheberrechtsgesetz – UrhG) fallen, für die eine angemessene Vergütung an die Verwertungsgesellschaften gezahlt werden muss, die den Autoren bzw. Fotografen zugute kommt. Dies unterscheidet den Gesetzentwurf übrigens von demjenigen, den der damalige FDP-Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig 1998 ebenfalls kurz vor der Bundestagswahl vorgelegt hatte. Wütende Verlegerproteste waren seinerzeit die Folge.

Die Materie, um die es damals wie heute geht, ist die Umsetzung von zwei internationalen Verträgen der UN-Organisation für geistiges Eigentum (World Intellectual Property Organization – WIPO) von Dezember 1996 zum Schutz des Urheberrechts in digitalen Medien in nationales Recht sowie der darauf fußenden oben genannten EU-Richtlinie. Dabei geht es um eine Kernregelung im digitalen Zeitalter, das Recht der öffentlichen Wiedergabe.

Neben dem klassischen Senderecht (Rundfunk und Fernsehen) wird ein neues Online-Recht eingeführt, das analog zum WIPO Copyright Treaty als „Recht der öffentlichen Zugänglichmachung“ (neuer § 19a UrhG) bezeichnet wird. Damit und durch eine Anpassung des Öffentlichkeitsbegriffs wird klargestellt, dass auch das Vorhalten von Werken zum Abruf in digitalen Netzen – beispielsweise eines Artikels auf einer Internet-Seite oder eines Videos-on-Demand – nur mit Zustimmung des Urhebers erlaubt ist.

Über die Vorgaben der WIPO-Verträge hinaus wird dieses Recht nicht nur Urhebern, ausübenden Künstlern und Tonträgerherstellern, sondern auch Sendeunternehmen eingeräumt. Gleichzeitig werden mit dem neuen Gesetz durch eine Neufassung der Paragrafen 73 bis 83 UrhG in Umsetzung des WIPO Performances and Phonograms Treaty die Rechte ausübender Künstler gestärkt und quasi denen der Urheber gleichgestellt.

Durch die Gesetzesnovellierung wird das Recht zum Vervielfältigen zum privaten Gebrauch in § 53 UrhG auf „beliebige Träger“ und damit auf digitale Medien ausgeweitet. Das wird auf der einen Seite vom Industrieverband BITKOM heftig kritisiert, und auf der anderen Seite von den Verwertungsgesellschaften und der Phonowirtschaft ausdrücklich begrüßt.

Parallel wird die Umgehung technischer Schutzmaßnahmen von Werken verboten und durch drastisch erhöhte Strafen und Bußgelder unattraktiv gemacht. Die Formulierung der Schutzmaßnahmen in § 95a ist so weit gefasst, dass darunter fast jede Art von Kopierschutz, digitalen Wasserzeichen und Systemen zum Digital Rights Management (DRM) fallen, sofern sie „wirksam“ sind.

Strafe für das Knacken von Schutzmechanismen

Strafbewehrt ist auch die Entwicklung und Verbreitung von „Cracker-Werkzeugen“ gegen solche Schutzmechanismen. Andererseits müssen die Rechteinhaber dafür sorgen, dass die „Schranken des Urheberrechts“ durch die Schutzmechanismen gewahrt bleiben, also jene Regelungen, die im Interesse der Allgemeinheit das ausschließliche Verwertungsrecht der Urheber einschränken. Sie müssen also beispielsweise technische Mittel zur Verfügung stellen, damit eine erlaubte Nutzung für Schul- und Unterrichtszwecke möglich ist. Andernfalls werden ebenfalls bis zu 200.000 Euro Bußgeld fällig.

Von den zahlreichen urheberrechtlichen Schranken, die durch die EU-Richtlinie ermöglicht werden, übernimmt der Gesetzentwurf eine neue für Deutschland. Der neue § 45a UrhG privilegiert die Vervielfältigung und Verbreitung von Werken für behinderte Menschen. Die Urheber erhalten dafür eine angemessene Vergütung über die Verwertungsgesellschaften.


Zeitplan geplatzt

Auf Grund zahlreicher Änderungsvorschläge und Kritik in der Anhörung am 22. April (nach Redaktionsschluss) ist der Zeitplan des Justizministeriums geplatzt.

Der Gesetzentwurf soll erst nach der Wahl im Oktober in den Bundestag eingebracht und bis zum Jahresende beschlossen werden. Vor der Sommerpause soll noch ein überarbeiteter Kabinettsentwurf im Bundesrat behandelt werden.

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